Arcandor dominiert 2009 den Strukturwandel im Einzelhandel

Arcandor

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Mit einem erwarteten Umsatzrückgang von nominal 2% für 2009 steht der deutsche Einzelhandel noch gut da: Im verarbeitenden Gewerbe gingen die Erlöse bis Ende September um 19,3% zurück. Tröstlich ist allein die Tatsache, dass sich der Rückgang im September mit -13,6% verlangsamt hat. Und auch der Maschinenbau kann sich freuen, dass die Umsätze im September mit 23,3% weniger stark gesunken sind als noch im Juli und August mit -32%. Einen ähnlich hohen Umsatzrückgang wie 2009 verzeichnete der Einzelhandel zuletzt im Krisenjahr 2002 mit einem Minus von nominal -1,8%, bis dato der niedrigste Wert seit 1995. Der deutsche Einzelhandel hat zweifellos schon seit langem den Boden gefunden.

Dennoch hinterlässt die Krise verheerende Spuren im deutschen Einzelhandel und in Deutschlands Innenstädten wie die Insolvenzen von Sinn-Leffers, Wehmeyer, Woolworth, Quelle, Pohland oder Hertie zeigen. Und mit Arcandor entfällt auch der größte Insolvenzfall Deutschlands auf den Einzelhandel.

Doch auch wenn der Strukturwandel gerade die Warenhäuser, den Universalversand und die traditionellen Bekleidungskaufhäuser seit Jahren vor erhebliche Herausforderungen stellt, so bleibt bei der Bewertung der Entwicklung doch festzuhalten, dass es sich hier im Wesentlichen um die Krise eines Konzerns handelt – wenn man von Pohland und Woolworth einmal absieht.

Denn nach Jahren verfehlter Unternehmensstrategie im ehemaligen Karstadt-Quelle-Konzern half auch der von Ex-Arcandor-Chef Thomas Middelhoff seit 2005 vollzogene Verkauf der Einzelteile wie der kleinen Karstadt-Kompakt-Häuser (zuletzt Hertie), Wehmeyer und SinnLeffers nichts mehr, die Versäumnisse und Fehlentscheidungen zu korrigieren. Die aufgeschobene Insolvenz des Gesamt-Konzerns konnte unter dem Einfluss der Krise nicht mehr verhindert werden.

Schon im Herbst 2004, als Karstadt-Quelle in einer dramatischen Rettungsaktion mit Hilfe von massiven Kapitalerhöhungen gerettet werden musste, war das Unternehmen angezählt und Middelhoff hat mit seinen Verkaufsaktionen vor allem Zeit gewonnen. Eine Weltwirtschaftskrise dieses Ausmaßes ist dann der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Vor allem dann, wenn sich die Großaktionärin Madeleine Schickedanz bereits vorher finanziell verausgabt und sich die Privatbank Sal Oppenheim verspekuliert hatte – und kein Geld mehr in die Rettung des Arcandor-Konzerns stecken wollten oder konnten.

In den einzelnen Insolvenzverfahren musste Versäumtes nachgeholt werden. Ein Teil der Sinn-Leffers-Bekleidungskette konnte durch ein Insolvenzplanverfahren entschuldet und als Ganzes im Frühjahr 2009 gerettet werden. Damit ist der Sturm zwar abgezogen, wie Peter Zühlsdorff, Gesellschafter der Sinn Leffers GmbH, im April feststellte, doch gilt es nach jahrelangen Fehlern Sinn-Leffers ein schärferes  Profil zu geben. Doch das Beispiel Peek & Cloppenburg zeigt, dass  traditionelle Textilkaufhäuser erfolgreich sein können. Auch C & A hat nach einer langen Durststrecke Ende der 1990er-Jahre erfolgreich den Turnaround geschafft.

Von den 47 Sinn-Leffers-Filialen wurden 24 gerettet. Für die restlichen müssen nun Nachmieter oder Nachnutzungskonzepte gefunden werden. Das ist keine leichte Aufgabe, da die unrentabelsten Standorte aussortiert worden waren, oder solche, bei denen die Vermieter nicht zu Mietsenkungen bereit waren. Wegen zu hoher Mieten hatte der Vorstand eine Überschuldung befürchtet und Insolvenz angemeldet.

Für die insolvente Bekleidungskette Wehmeyer, die 1994 durch Übernahme der alten Hertie aus Frankfurt Bestandteil des Karstadt-Konzerns geworden war, fand Insolvenzverwalter Frank Kebekus in dem indischen Unternehmer Rajive Ranjan einen neuen Eigentümer mit Branchen-Know-how. Der sieht für Wehmeyer mit noch 23 der zuvor 39 Standorte gute Chancen in Kleinstädten, wo Mono-Marken-Shops fehlen. Diese Lücke soll Wehmeyer nun schließen.

Für die ehemaligen Karstadt Kompakt-Warenhäusern (Hertie), die Middelhoff 2005 an den britischen Investor Dawnay, Day verkaufte, bemühte sich Insolvenzverwalter Biner Bähr bekanntlich ein Jahr lang vergeblich um eine tragfähige Zukunft. Dawnay, Day war bei der Miete nicht zu Konzessionen bereit und glaubte bis zuletzt, dass die innerstädtischen Objekte zu hohen Preisen Käufer finden würden.

Seit Schließung der Filialen im Sommer wissen es die Briten besser. Erst 14 bis 15 ihrer 64 Immobilien sind verkauft. Einige sind vermietet. Wie die Investitionsstrategie der Briten auf dem deutschen Immobilienmarkt einzuschätzen ist, lässt sich an der Tatsache ablesen, dass sie für den Geschäftsbetrieb von Hertie nur 1 Euro gezahlt haben. Doch ohne erfolgreiches Betreiber-Konzept sind großflächige Handelsimmobilien nicht zu führen. Und schon gar nicht mit Mieterhöhungen.

Dass Insolvenzverwalter Bähr für den Geschäftsbetrieb keinen Käufer fand, weil der Immobilien-Eigner nicht zu Mietsenkungen bereit war und Hertie mit seinen 73 Häusern liquidiert werden musste, hat in der Branche eine Schockwirkung erzeugt. Die Eigentümer der Karstadt-Filialen, das Highstreet-Konsortium, dürften sich dieses Szenario genau angeschaut haben.

Und auch die Liquidation des Traditions-Versenders Quelle nach 82 Jahren zeigt, dass gerade für ein Versandunternehmen die Insolvenz – anders als von der Bundesregierung bei den zähen Verhandlungen um eine Bürgschaft  beschworen – eben doch nicht immer eine neue Chance bedeuten muss. Die Weigerung der Factoring-Bank Valovis, auch künftig die Finanzierung sicher zu stellen, verhinderte laut Insolvenzverwalter Klaus Hubert Görg den Verkauf an einen Interessenten. Schon nach Anmeldung der Insolvenz im Juni hatte die Bank die Finanzierung ausgesetzt und so den Druck des Winterkatalogs verzögert, was zu einem erheblichen Umsatzeinbruch führte.

Günstige Geschäftsentwicklung bei Karstadt gibt Hoffnung

Aus dem Arcandor-Konzern hat die Karstadt Warenhaus GmbH die besten Voraussetzungen für die Zukunft. Nach dem Verkauf der problematischeren Kompakt-Warenhäuser setzt sich Karstadt heute aus den besten Sport- und Warenhaus-Standorten – darunter die Premium-Häuser KaDeWe, Alsterhaus und Oberpollinger – zusammen. Inzwischen ist klar, dass von den 129 Filialen 120 fortgeführt werden können und die Kette nach Auskunft des Insolvenzverwalters schwarze Zahlen schreibt. Das wichtige Weihnachtsgeschäft läuft also offenbar gut.

Einzelne Filialen in Orten mit mehreren Karstadt-Häusern werden bis zum 31. März 2010 geschlossen: Das sind die Sport- und Multimedia-Filiale in Celle, das Technikhaus in der Dortmunder Kampstraße, Karstadt im Hamburger Elbe Zentrum, die Livingfiliale in Hannover, die Filiale „Alter Markt“ in Kiel, das „Haus am Dom“ in München und das Sporthaus in Recklinghausen. Ganz aufgegeben werden die Standorte in Kaiserslautern, Ludwigsburg und in Hanau.

Derzeit erarbeitet Insolvenzverwalter Görg den Insolvenzplan für Karstadt, in dem festgelegt werden wird, wie hoch der Forderungsverzicht der Gläubiger ausfallen muss, um das Unternehmen zu entschulden und so als Ganzes zu erhalten. Nach Mitteilung des Verwalters sind die Gespräche bislang konstruktiv verlaufen. Es ist aber nicht zu erwarten, dass die entscheidende Gläubiger-Versammlung noch vor Weihnachten stattfinden wird.

Auch das Highstreet Konsortium, dem der größte Teil der Immobilien gehört, hat sich bereit erklärt, in den nächsten 3 Jahren Mietreduktionen von über 200 Mio. Euro zu akzeptieren. Immerhin haben die Investoren 3,7 Mrd. Euro für die Immobilien gezahlt. Eine Liquidation wie bei Hertie würde deren Wert drastisch mindern. Insofern hat der Berater von Highstreet, Insolvenzverwalter Frank Kebekus, klar gemacht, dass das Konsortium an der Erhaltung von Karstadt großes Interesse hat.

Dass Karstadt nach Auskunft eines Sprechers von Insolvenzverwalter Görg schwarze Zahlen schreibt, dürfte den eingeleiteten Verkaufsprozess erleichtern. Inzwischen soll es zwei Dutzend Interessenten geben. Bleibt die Frage, wer als Käufer in Frage kommt? Für einen strategischen Investor allein, so schätzen Experten, dürfte der Kauf schwer zu stemmen sein, da noch einiges an Geld in die Neuausrichtung gesteckt werden muss. Ob sich die britische Warenhaus-Kette Debenhams, mit der Karstadt schon einmal über eine Kooperation gesprochen hatte, gemeinsam mit einem Investor interessieren könnte, ist offen. Genauso wie die Frage, ob der Betreiber der italienisch-französischen Warenhaus-Kette La Rinascente /Pinault Printemps Redoute, Maurizo Borletti, der zum Immobilien-Konsortium gehört, sich womöglich noch stärker engagiert? Von Vorteil ist für Insolvenzverwalter Görg aber, dass der relativ stabile deutsche Einzelhandelsmarkt im Fokus ausländischer Investoren bleibt.