Arcandor-Insolvenz: Die Messlatte ist sehr hoch gelegt

Seit dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind die Karten beim Essener Arcandor-Konzern völlig neu gemischt. Wie das Unternehmen am Ende des angestrebten Planinsolvenzverfahrens in Eigenverwaltung aussehen wird, ist derzeit schwer abzuschätzen. Insolvenzexperte und Arcandor-Generalbevollmächtigter Horst Piepenburg hat aber schon klar gemacht, dass das Verfahren auf Grund der komplexen Konzern-Struktur mit über 500 Gesellschaften lange dauern wird.

Als die Beteiligten am 9. Juni medienwirksam vor dem Haupteingang der Arcandor-Verwaltung in Essen ankündigten, dass sie eine Planinsolvenz in Eigenverwaltung anstreben, um die im April begonnene Sanierung fortzusetzen, den Fortbestand des Unternehmens und seiner Töchter sowie möglichst vieler der rd. 40 000 betroffenen Arbeitsplätze zu sichern, haben sie die Messlatte sehr hoch gelegt. Geht es im Wesentlichen doch um die schwierige Erhaltung der zahlungsunfähigen Gesellschaften Arcandor, Karstadt, Quelle und Primondo als Ganzes und nicht um die Zerschlagung  in Einzelteile, für die sich bereits viele Interessenten gemeldet haben.

Doch offensichtlich hatten sich die Verantwortlichen auf die Möglichkeit der Insolvenz schon seit April vorbereitet, wie Arcandor-Chef Karl-Gerhard Eick in einem Fernsehinterview mitteilte, und den erfahrenen Düsseldorfer Insolvenzverwalter Horst Piepenburg als Berater hinzu gezogen. Eine Sanierung im Planverfahren braucht viel Vorbereitungszeit, da den Gläubigern und dem Gericht ein schlüssiges und tragfähiges betriebswirtschaftliches Sanierungskonzept mit Zukunftsfähigkeit vorgelegt werden muss, das sie davon überzeugt, dass sie von ihren Forderungen mehr zurück erhalten werden, wenn der Geschäftsbetrieb fortgeführt und das Unternehmen nicht in Einzelteilen verkauft wird. Nur unter diesen Bedingungen werden sie bereit sein, dem Sanierungsplan zuzustimmen und auf einen wesentlichen Teil ihrer Forderungen zu verzichten.

Horst Piepenburg hat sich bereits sehr weit aus dem Fenster gelehnt als er darauf verwies, dass Arcandor der größte Insolvenzfall Deutschlands sei und er „keine aussichtslosen Fälle“ übernehme. In Verbindung mit dem Planinsolvenzverfahren von Sinn-Leffers, das er als Insolvenzverwalter vor einiger Zeit erfolgreich abgeschlossen hatte, hat er sich damit unter den Erfolgsdruck gesetzt, an der Seite von Insolvenzverwalter Klaus Hubert Görg den Arcandor-Konzern so vollständig wie möglich zu erhalten.

Dabei hat das Amtsgericht Essen durchaus die Basis für die Planinsolvenz bei Arcandor geschaffen, indem es den auf die Sanierung gefährdeter Unternehmen spezialisierten Kölner Insolvenzexperten Klaus Hubert Görg (Foto) von Görg Rechtsanwälte zum Insolvenzverwalter ernannte. Und das gleich für alle 18 der im Arcandor-Konzern von der Insolvenz betroffenen Gesellschaften. Das erleichtert die Abstimmungsprozesse. Denn in Deutschland sind beileibe nicht alle Insolvenzverwalter auf das Thema Planinsolvenz – und damit die Erhaltung des Gesamtunternehmens – spezialisiert. Im Gegenteil, eine Plansanierung erfordert hohe betriebswirtschaftliche Kompetenz und viel Zeit. Eine Zerschlagung ist für den Verwalter leichter und wahrscheinlich meist auch billiger.

„Ich bin gewiss, dass es uns gelingen wird, für Arcandor und die Mitarbeiter auch in dieser schwierigen Situation  viel versprechende Perspektiven für eine Sanierung zu eröffnen“, bekräftigte denn auch Insolvenzverwalter Görg. Erstes Ziel war es, kurzfristig die Finanzierung des Quelle-Versands über einen Massekredit — nachdem eine Bürgschaft abgelehnt wurde – zu sichern. Und dann geht es darum mit den Karstadt-Vermietern und Banken über Kompromisse zu verhandeln. Nachdem der Geschäftsbetrieb der betroffenen Gesellschaften einigermaßen stabilisiert ist, will Görg gemeinsam mit dem Vorstand und Piepenburg die Eckdaten eines Sanierungskonzepts entwickeln. Dann wird auch klar werden, in welcher Höhe von den Anteilseignern – Schickedanz und Sal. Oppenheim – Beiträge zur Restrukturierung nötig werden. Dass Sal. Oppenheim seine direkt gehaltene Beteiligung von 3,7% verkauft hat, hält den Fortgang des Verfahrens nicht auf. Und auch falls sich die Bank entscheidet, die rd. 25% der Anteile zu veräußern, die sie über eine Industrieholding hält, so glauben Experten, würden sich dafür auch Käufer finden.  

Dass die Karstadt-Warenhäuser zuletzt einen kleinen Gewinn im einstelligen Millionenbereich vorgelegt haben, wie Eick selbst bestätigte, sind für das weitere Verfahren positive Vorzeichen. Das unterstreicht auch die Bedeutung der Warenhaussparte für das Gelingen der Sanierung. Denn der Versand-Bereich um die Fürther Quelle steckt weiterhin in den roten Zahlen und mitten im langwierigen Sanierungsprozess.

Schon kurz nach der Fusion mit dem Essener Karstadt-Konzern 1999 zeigte sich, dass der Universalversender Quelle ein Sanierungsfall war. Durch den permanenten Wechsel an der Vorstandsspitze fand das Unternehmen nie zu einer kontinuierlichen Versand-Strategie, und auch nicht zu einer gezielten Expansionsstrategie ins wachstumsstärkere Ausland. Zudem verlieren die Universalkataloge seit den 1990er-Jahren – das gilt auch für die Wettbewerber – an Bedeutung. Das Geschäft verlagert sich vor allem auf die Spezialkataloge für klar umrissene Zielgruppen.

Das belegt die Tatsache, dass die  Spezialversender der Primondo-Versand-Gruppe von der Insolvenz ausgenommen sind. Deshalb dürfte Quelle nur eine Chance haben, wenn sich der Versender immer stärker auf Spezialkataloge konzentriert. Aber wie der Chef der Hamburger Otto Group, Hans-Otto Schrader, laut FAZ sagte, braucht der Umbau Jahre. Und wie weit es gelingt, das Versandgeschäft in der Insolvenz zu stabilisieren und zu regenerieren, davon wird die Zukunft von Quelle abhängen.

Dass in diesem arbeitsaufwendigen Planverfahren zur Erhaltung des Gesamtkonzerns erst einmal kein Raum für weitere Gespräche mit dem Metro-Konzern über die Gründung einer „Deutschen Warenhaus AG“ bleibt, liegt auf der Hand. Zum jetzigen Zeitpunkt können die Verantwortlichen kaum über die Abgabe eines ganz wesentlichen Geschäftsfeldes verhandeln. Damit würden sie das angestrebte Ziel des Planinsolvenzverfahrens gleich wieder aufgeben. So bestätigt auch Görg, dass derzeit „Blitzverkäufe“ kein Thema seien – „weder an die Metro noch an andere Interessenten“.

Bleibt schließlich für die Immobilienbranche die wichtige Frage, ob und wie viele der 89 Karstadt-Warenhäuser im Zuge der Insolvenz aufgegeben werden müssen. Eine erste Größenordnung hat Metro-Chef Eckhard Cordes, der zweifellos das Warenhaus-Netz des Wettbewerbers genau hat analysieren lassen, genannt: Etwa 60 Warenhaus-Standorte will er in die geplante „Deutsche Warenhaus AG“ übernehmen. Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass auch im Zuge des Insolvenzverfahrens eine ganze Reihe schwacher Häuser aufgegeben werden müssen.

Das ruft natürlich auch die Eigentümer der Immobilien auf den Plan. Neben dem bekannten „Highstreet-Konsortium“, das den größten Teil hält, ist eine ganze Reihe von Warenhäusern breit auf andere Eigentümer verteilt. Und einige der Eigentümer etwa von Objekten, bei denen das Mietverhältnis demnächst ausläuft oder deren Filialen schwach sind, so erfuhr der „Handelsimmobilien Report“ aus gut informierten Kreisen, loten andere Nutzungsmöglichkeiten für ihre Warenhaus-Immobilen aus. Das gilt auch für Kaufhof-Standorte, denn bekanntlich wollen auch die Kölner bis 2010 zwischen 4 und 8 Häuser aufgeben.

Im Gegenzug sind auch Projektentwickler und Shopping-Center-Spezialisten wie etwa ECE, Sonae Sierra, mfi oder Concepta Projektentwicklung an Standorten interessiert, um sie weiter zu entwickeln. Last not least haben die Städte Interesse daran, die Leerstände schnell wieder zu beseitigen. Schon in der Vergangenheit sind Warenhäuser in Einkaufszentren umgebaut worden wie die ehemaligen Hertie-Häuser in Braunschweig und Köln oder – ganz aktuell – das Zentrum-Warenhaus in Dresden.

Dabei gibt es bei der Umstrukturierung nicht „die eine Lösung“, wie Karsten Burbach, Head of Retail Germany bei CB Richards Ellis feststellt. Warenhäuser seien von der Bausubstanz oder der Größe her nicht immer als Shopping-Center geeignet. „Es ist immer die Betrachtung des Einzelfalles notwendig“. Problematisch vor allem: Die vielen Geschosse der Warenhäuser. Die oberen Stockwerke laufen heute nicht mehr so gut. Auch deshalb ist nicht jeder Standort automatisch auch als Shopping-Center geeignet. So bietet sich laut Burbach vielfach die Geschäftshaus-Lösung an. Und dabei ist Kreativität mit Blick auf die Mehrfach-Nutzung gefragt: Etwa Einzelhandel im Erdgeschoss, darüber Büros oder Hotels oder Wohnungen. Ziel ist es laut Burbach, „an einem Standort ein Vermietungskonzept zu entwickeln, das nachher den Umbau rechtfertigt.“