Baurecht: Chancengleichheit für alle Vertriebstypen

Zunächst hatte sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag die umfassende Überprüfung der Baunutzungsverordnung vorgenommen. So wie es derzeit aussieht, wird davon nicht viel bleiben. Ungewiss ist auch, ob die EU-Kommission ihrem Mahnschreiben weitere Aktionen folgen lässt. Dabei wäre im Interesse der viel diskutierten Nahversorgung eine Lockerung der Flächenbeschränkung nützlich.

Als 1986 mit der Novelle von § 11,3 BauNutzungsverordnung (BauNVO) die Genehmigung großflächiger Einzelhandelsmärkte mit mehr als 800 qm Verkaufsfläche außerhalb der Innenstädte verschärft werden sollte, liefen die betroffenen SB-Warenhaus-Betreiber Sturm dagegen. Vergebens. Die Novelle trat in Kraft.

Einen Vorstoß zur Novellierung der Novelle unternahmen große Lebensmitteleinzelhändler – vor allem Supermarktbetreiber – 1999/2000, weil sie sich bei ihrer Expansion z.B. gemessen an den Discountern benachteiligt sahen. Denn die kommen mit ihrem Sortiment aus etwa 1500 schnell drehenden Artikeln auf 800 qm Verkaufsfläche gut zurecht, die Vollsortimenter mit 10 000 bis 15 000 Artikeln eher nicht. Sie wandten sich deshalb ans Bundeskanzleramt.

In der Tat stellte etwa auch Angelus Bernreuther von der BBE Handelsberatung rückblickend fest, dass das Baurecht mit ein Grund für das rasante Wachstum der Discounter war, die heute an vielen Standorten die Nahversorgung bestreiten. Eine eigens mit dem § 11,3 BauNVO befasste Arbeitsgruppe empfahl 1999/2000 denn auch eine flexiblere Handhabung der Vermutungsregelung für großflächige Lebensmitteleinzelhandelsbetriebe mit 1 200 bis ca. 2 000 qm Geschossfläche. Auf eine Novelle wurde verzichtet. Was für die Unternehmen nach diesem Kompromiss jedoch bleibt, ist der große Aufwand für die zeitraubende Begründung für den Bedarf der Großfläche. Das macht die Genehmigungsverfahren langwierig und zeitraubend. Was man brauche, sei eine Freistellung von der Begründung, finden Experten.

Zuletzt keimte Hoffnung auf, als CDU, CSU und FDP am 26. Oktober 2009 im Koalitionsvertrag – neben der Stärkung von Klimaschutz und Innenentwicklung im Baurecht – auch eine umfassende Prüfung der Baunutzungsverordnung vereinbarten. Geblieben von den Zielen – ganz im Sinne der Energiewende und des Themas „Klimaschutz“ – ist davon im jüngsten Referenden-Entwurf, der im Februar vorgelegt wurde, aber nur die „klimagerechte Stadterneuerung“.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sieht in punkto Novelle des § 11,3 BauNVO in seiner aktuellen Fassung ohnehin keinen Handlungsbedarf. Ein Teil des großflächigen Lebensmitteleinzelhandels sieht das aber anders. Schon allein deshalb, weil der Flächenbedarf in modernen Supermärkten wächst, da heute breite Gänge und niedrige Regale ein „Muss“ sind. Hier geht es also nicht um mehr Fläche für mehr Produkte, sondern um die Berücksichtigung moderner Kundenansprüche.

Und auch in Teilen der Politik wird § 11,3 BauNVO kritisch gesehen, wie der Vorstoß der Bayerischen Landesregierung zeigt, die offenbar erreichen will, dass auf dem Land auch großflächige Supermärkte als Nahversorger zum Zuge kommen – nicht nur Discounter. Denn nach dem Ministerratsbeschluss sollen Vollsortimenter bis zu einer Mindestbetriebsgröße von 1 200 qm Verkaufsfläche in Gemeinden ohne zentralörtliche Einstufung zulässig sein. Ob die bayerische Initiative Bestand haben wird, ist aus Sicht von Experten fraglich. Denn nach statischer Rechtsauffassung könnte die Unterscheidung in Discounter, für die bleibt die 800 qm-Grenze fest, und Vollsortimenter gegen das „Gleichheitsprinzip“ verstoßen. Andererseits verstößt es bei nüchterner Betrachtung genauso gegen das „Gleichheitsprinzip“, wenn unterschiedliche Vertriebstypen ohne Berücksichtigung ihrer Eigenheiten über den einheitlichen Kamm der festgeschriebenen Flächengröße „geschoren“ werden. D.h. wenn nicht berücksichtigt wird, dass ein Supermarkt mit 15 000 Artikeln und Bedientheken mehr Platz benötigt, als ein Discounter, der Geld- und Zeitsparend in schlichten  Geschäftsräumen aus dem Karton verkauft.

Während Berlin derzeit wenig Anstalten macht, an § 11,3 BauNVO etwas zu novellieren, könnte ein Mahnschreiben, das das Generalsekretariat der EU-Kommission 2009 an den deutschen Außenminister schickte, frischen Wind in die Angelegenheit bringen. Stein des Anstoßes ist zwar nicht § 11,3 BauNVO, sondern u.a. § 24, a LandesentwicklungsProgramm NRW (LEPro). Doch beide Regelungen sind inhaltlich verknüpft, da es in beiden Fällen um die Steuerung des großflächigen Einzelhandels geht. Insofern ist nicht ausgeschlossen, dass die EU-Kommission sich gegebenenfalls auch zu § 11,3 BauNVO äußert.

Den Stein ins Rollen hatten bei der EU-Kommission Beschwerden über die Planungsvorschriften des nordrhein-westfälischen Landesentwicklungsprogramms in der Fassung vom 19. Juni 2007 sowie des Regionalplans für die Region Stuttgart vom 13. März 2002 gebracht.  „Nach Auffassung der Kommission stellen sich bei diesen Rechtsvorschriften in der Tat gewisse Probleme hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht und insbesondere mit dem Artikel 43 EG-Vertrag zur Niederlassungsfreiheit“, heißt es im Schreiben. Dadurch, dass die Niederlassung von Einzelhandelsbetrieben den Planungsvorschriften der fraglichen Rechtsakte unterworfen sei, werde die Ausübung der Niederlassungsfreiheit zumindest unattraktiver.

Wann Brüssel entscheidet und ob die Kommission tatsächlich einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit feststellen wird, ist noch offen. Das Bundesbauministerium scheint bei seinem weiteren Vorgehen die Entscheidung der Kommission aber zunächst nicht abwarten zu wollen. Doch auch ohne ein mögliches Votum aus Brüssel gibt es im wirtschaftlichen Interesse der Unternehmen und gerade auch mit Blick auf eine qualitative Nahversorgung Aspekte, die eine Lockerung der Vermutungsregel nahe legen, um eine Waffengleichheit zwischen Supermarkt und Discounter herzustellen, da § 11,3 BauNVO Discounter begünstigt und Supermärkte benachteiligt.

Supermärkte und Discounter im direkten Vergleich

So bieten Supermärkte auf größerer Fläche mehr Frische-Produkte und greifen dabei häufiger auf lokale Anbieter zurück, die davon profitieren. Große Supermärkte bieten in der Vorkassen-Zone Raum für Dienstleister wie Bäcker, Metzger, Apotheken oder Blumenläden, was dem Anspruch der Konsumenten, beim Einkauf möglichst viele Besorgungen zu erledigen, entgegen kommt. Das wirkt sich positiv auf die Umwelt aus, da weniger Verkaufsfahrten notwendig sind.

Supermärkte beschäftigen nicht selten mehr Personal, bieten eher Beratung und können in ihren breiteren und tieferen Sortimenten bei der Packungs-Größe nach großen und kleinen Haushalten differenzieren. Zudem sind die Konflikte mit Zentren-relevanten Sortimenten beim Discounter größer, da deren Nonfood-Angebot umfangreicher ist. Hinzu kommt, dass Discounter auf Grund ihres begrenzten Sortiments nur einen geringeren Teil der Bedarfsdeckung bieten, ihre realisierbaren Marktanteile also geringer sind als die des Supermarktes und sie deshalb zur Auslastung bei gleicher Größe ein größeres Einzugsgebiet benötigen.

Zudem werden bei Konzernen wie Rewe und Edeka viele Märkte von privaten Kaufleuten geführt, die ihre Gewerbesteuer vor Ort bezahlen. Das fördert Kommunen und Mittelstand. Es geht bei der Diskussion also nicht darum, Discounter zu benachteiligen, sondern Nachteile für Supermärkte abzubauen – im Sinne der Konsumenten.