Karstadt – Beispiel einer verfehlten Shareholder-Value-Politik

Arcandor

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Schnelle Gewinne und hohe Ausschüttungen: Der Fall der Arcandor-Tochter Karstadt zeigt, wie der Vorstand im Zuge des Shareholder-Value-Prinzips lange Zeit ordentliche Ergebnisse präsentieren kann, ohne eine fundierte Strategie fürs operative Geschäft zu haben. Die Reserven müssen – wie im Falle des Warenhaus-Konzerns – nur groß genug sein.

Karstadt dürfte in seinen Glanzzeiten als Europas größter Warenhaus-Konzern auch Deutschlands Einzelhändler mit dem weitaus größten Immobilien-Vermögen gewesen sein. Unter Ägide des früheren Vorstandsvorsitzenden Walter Deuss verfolgte der Warenhaus-Konzern gezielt die Strategie, das Gros der Immobilien im Bestand zu halten, um bei den regelmäßigen Investitionen ins Filialnetz freier agieren zu können. Wettbewerber Kaufhof griff dagegen häufiger zu Sale-and-Lease-Back-Konstruktionen, um  Geld fürs operative Geschäft zu mobilisieren.

Zudem verfolgte Deuss – im Sinne einer konservativen Bilanzierungsstrategie – eine moderate Dividendenpolitik und die Strategie, im Konzern gezielt stille Reserven anzulegen. Eine Politik, die typisch war für die Manager dieser Genration in Zeiten des Rheinischen Kapitalismus. Vor diesem Hintergrund war Karstadt zur Jahrtausendwende, als das Unternehmen unter Ägide des Großaktionärs Schickedanz (47,7% der Anteile), an den Ex-Metro-Vorstand Wolfgang Urban überging, ein Unternehmen mit sehr hohen Reserven. Das dürfte Urban als langjährigem Finanzvorstand des Wettbewerbers Kaufhof nicht verborgen geblieben sein.

Doch diese konservative Bilanzpolitik und ihre Protagonisten gerieten stark unter Beschuss, als Ende der 1990er-Jahre mit dem Vormarsch des angelsächsischen Shareholder-Value-Prinzips die Maßstäbe vollständig verrückt wurden: Im Zentrum stand der Ausweis maximaler Gewinne, die z.T. auch aus Buchgewinnen bestanden, die im Zuge des Fair-Value-Prinzips bei günstigen Marktbedingungen erzielt wurden, sowie eine offensive Dividendenpolitik mit hohen Ausschüttungen – eben im primären Interesse des Shareholders (=Aktionär). Die Leistung des Vorstands wurde an der Gewinnentwicklung gemessen und dem Börsenkurs der Aktie – und das unter den wachsamen Augen von Analysten und Börse von Quartal zu Quartal.

Es gab zwar zahlreiche Kritiker, die auf die Schattenseiten dieses System hinwiesen, doch breitete sich das Shareholder-Value-Prinzip einem Tsunami gleich über Deutschland aus. Es war angelsächsisch, modern und damit sexy und seine Gegner wurden als die ewig gestrigen Anhänger der verstaubten Deutschland AG einfach niedergebrüllt.

Der Zwang zu kurzfristigen Gewinnsteigerungen von Quartal zu Quartal, der durch langfristige Unternehmensstrategien in kurzen Zeiträumen kaum erreicht werden kann, fördert somit vor allem den Ideenreichtum beim Schöpfen stiller Reserven. So setzten – und setzen – börsennotierte Unternehmen in Deutschland im Wesentlichen auf Kostensenkungsprogramme – gern wurde dabei auf die Personalkosten mit ihren übertariflichen Anteilen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld zurück gegriffen oder die Auslagerung des Personals in neue Gesellschaften mit niedrigeren Gehaltsstrukturen. Gerade die Personalkosten boten in Deutschland erhebliche Reserven.

Auf die Frage, warum der Otto Versand keine Ambitionen habe, an die Börse zu gehen, verwies der damalige Unternehmenschef und heutige Aufsichtsratsvorsitzende Michael Otto gerade auf die Nachteile der kurzfristigen Quartalsdenke:  Um eine langfristige Strategie zu realisieren, müsse ein Unternehmern auch den Spielraum haben, für einen längeren Zeitraum rückläufige Gewinne hinzunehmen. Das Streben nach kurzfristiger Gewinn-Maximierung erschwert somit langfristig angelegte Unternehmensstrategien.

Kopie der Kaufhof-Strategie aus den 1980er-Jahren

Auch bei Karstadt-Quelle setzte der Finanzmann Urban im Wesentlichen auf Kostensenkungsprogramme und äußerst ehrgeizige Gewinnziele. Bei der Bilanz-Pressekonferenz im Mai 2001 präsentierte er für 2000 ein Ergebnis vor Ertragssteuern (EBT) von 273 Mio. Euro, legte das Ertragsziel für 2003 aber auf 729 Mio. Euro. Um das zu erreichen, hätte er das Vorsteuerergebnis in 3 Jahren um 167% steigern müssen – und das in einem Markt, in dem gerade die Hightech-Blase geplatzt war und viele Anleger viel Geld verloren hatten. Der konjunkturelle Abschwung nach dem Börsenhype zur Jahrtausend-Wende begann sich bereits deutlich abzuzeichnen.

Ganz offensichtlich sah sich Urban – im Sinne des Shareholder-Value-Prinzips – getrieben, die hohen Ergebniszahlen, die sich der Karstadt-Quelle-Konzern im Verschmelzungsbericht zur Fusion 1999 gesetzt hatte, zu erreichen. Doch zu diesem Zeitpunkt war bereits allen klar, dass die Zahlen viel zu optimistisch kalkuliert waren. 

Zudem zeigte der Zahlenmensch Urban in punkto Warenhaus- und Versandgeschäft wenig Gespür für die operativen Feinheiten. Urban war kein Einzelhandelsstratege. Mit kleinteiligen Aktionen wie der  Beteiligung an der Coffee-Shop-Kette Starbucks oder am Sportsender DSF spulte Urban die Strategie des Kaufhof aus den 1980er-Jahren ab, die der zum Ende der 1990er-Jahre aber längst wieder aufgegeben hatte –  in der Erkenntnis, dass es wenig hilfreich ist, sich in Klein-Engagements zu verzetteln. Diese Politik sahen auch die Analysten mit großer Sorge.

So führte Urbans Politik Karstadt-Quelle im Jahr 2003 nicht in die Sphären von Rekordergebnissen, sondern auf den Boden der Tatsachen einer an kurzfristigen Ertragszielen orientierten Politik ohne tragfähige Konzepte für das operative Kerngeschäft. Das Ergebnis vor Steuern und Abschreibungen (EBTA) erreichte – ohne Sondereffekte – nur noch magere 9 Mio. Euro. Um die Vergleichbarkeit zu verwischen, war der Karstadt-Quelle-Chef, der zuvor immer das Vorsteuerergebnis EBT zugrunde gelegt hatte, nun auf das EBTA ausgewichen.

Und indem er die Pensionsverpflichtungen des Konzerns in einen Fonds auslagerte und diese durch einen Teil des großen Immobilienvermögens deckte, das zu Marktpreisen auf den Fonds übertragen wurde, konnte Urban das EBTA mittels Sonderträge noch auf 225 Mio. Euro pushen. (Lehrstück: wie plündert man den eigenen Pensionsfonds?). Damit wurde bereits offensichtlich, dass das operative Geschäft nicht mehr rentabel war. 2004 rutschte der Konzern in die roten Zahlen. Und im Mai 2004 wurde Urban abgelöst. Zu diesem Zeitpunkt waren 60% des Immobilien-Vermögens beliehen und das Geld verbrannt.

Die Auswirkungen der verfehlten Unternehmensstrategie wurden erst im Herbst 2004 wirklich offenkundig. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Quelle-Chef Christoph Achenbach, ein lang gedienter Quelle-Manager mit viel Erfahrung im Versandgeschäft und Günstling von Großaktionärin Madeleine Schickedanz die Leitung übernommen. Erst nach zähem Ringen konnte der Konzern Ende 2004 durch eine Kapitalerhöhung und einen syndizierten Kredit von 1,75 Mrd. Euro durch die Gläubigerbanken vor dem Zusammenbruch gerettet und der Geschäftsbetrieb gesichert werden.

Immobilienverkauf verschaffte Arcandor eine Galgenfrist

Doch das Unternehmen war zu diesem Zeitpunkt schon angezählt, da ein wesentlicher Teil der Reserven und Sicherheiten aufgebraucht waren. Thomas Middelhoff, der Achenbach im Mai 2005 ablöste, verlängerte mit seiner Immobilienpolitik im Grunde nur die Galgenfrist. Der komplette Verkauf des Immobilienvermögens, begünstigt durch den Immobilien-Boom, der es zunächst ermöglichte, die größten Löcher zu stopfen, konnte die fehlende nachhaltige Unternehmensstrategie zur Sicherung des operativen Geschäfts nun einmal nicht ersetzen.

Das Beispiel Karstadt-Quelle resp. Arcandor zeigt, dass beim  Shareholder-Value-Prinzip die qualitative Bewertung der operativen Unternehmenspolitik zu kurz kommt. Es macht keinen Unterschied, ob der Vorstand erfolgreich ist, weil er die Mitarbeiter bis auf den letzten Cent beim Gehalt ausquetscht oder das Immobilienvermögen beleiht, oder ob er das Unternehmen  mit einer tragfähigen Strategie im Kerngeschäft zum Erfolg führt. Für ein Unternehmen kann das aber den Unterschied ausmachen zwischen Sein oder Nichtsein.