Ambulant vor stationär – Kommunen müssen sich stärker der alternden Bevölkerung stellen

Auch norddeutsche Kommunen sind nicht ausreichend auf die älter werdende Bevölkerung eingestellt. Nirgends kann man den Bedarf an so genanntem „betreutem Wohnen“ decken. Das könnte bald richtig teuer werden

Überraschend ist das Ergebnis nicht: Die Kommunen in Deutschland sind nicht ausreichend auf die älter werdende Bevölkerung vorbereitet. Bis auf Frankfurt am Main und Leipzig kann keine einzige Kommune den Bedarf an so genanntem „betreutem Wohnen“ abdecken. Insgesamt fehlen in den 30 größten Kommunen rund 70.000 betreute Wohnungen – so die aktuelle Untersuchung von Terragon. Für die Berechnung des Versorgungsgrades wurde die Statistik der Einwohnerzahlen der Städte von Senioren über 70 Jahren erfasst. „Diese Altersgruppe repräsentiert erfahrungsgemäß die Hauptnachfragegruppe für betreutes Wohnen“, sagt Michael Held, Geschäftsführer von Terragon Investment. „Die Situation ist umso bedauerlicher, wenn man bedenkt, dass die meisten Menschen zuhause alt werden wollen, was auch die Kosten für die Kommunen senken würde. Die eigene Wohnung ist für Pflegebedürftige aber nur dann förderlich, wenn sie auch altersgerecht ist.“

So bezifferte die Prognos-Studie „Potenzialanalyse altersgerechte Wohnanpassung“ vom März 2014 das Einsparpotenzial der Kommunen bei konservativer Schätzung auf 600 Mio. € jährlich. Ein Betrag, der sich bis 2030 auf 1 Mrd. € erhöhen wird. „Voraussetzung dafür ist aber eine flächendeckende Versorgung mit altersgerechten Wohnungen“, so Held.

Doch da sieht es düster aus: Auch norddeutsche Städte können bei der Untersuchung nicht bedingt glänzen. So gilt bei der Verteilung, rein statistisch, dass in Hamburg und Hannover auf 100 Über-70Jährige etwa gut sechs betreute Wohnungen kommen. In Kiel sind es nicht mal mehr sechs, in Braunschweig gut fünf und in Bremen nur noch magere drei Wohnungen. Zum Vergleich: In Frankfurt und Leipzig kommen auf 100 Über-70-Jährige etwa zehn betreute Wohnungen. Das durchschnittliche Angebot für betreutes Wohnen der Top-30-Städte liegt bei 4,5%. Damit lägen die norddeutschen Großstädte bis auf Bremen noch im oberen Drittel. Aber: „Der unterschiedliche Versorgungsgrad in den Kommunen zeigt noch nicht den tatsächlichen Bedarf an betreutem Wohnen“, erklärt Held. Um den zu ermitteln, hat Terragon die gegenwärtige Pflegeversorgungsquote als Vergleichswert herangezogen. In den Top-30-Städten liegt diese bei 7,1%. Durch die Verwendung dieses Wertes kann ein Überschuss beziehungsweise Defizit an betreuten Wohnungen erfasst werden. Demnach erzielen Frankfurt und Leipzig als einzige Städte in den Top-30 einen Überschuss. In allen anderen Städten besteht ein erheblicher Bedarf an betreuten Wohnungen.

Warum ist das so? „Die großen Unterschiede dürften auf die unterschiedliche politische Gewichtung des Themas zurückzuführen sein“, ist Held sicher. „Fest steht, dass die Versorgungssituation nur mit einer aktiven Politik verbessert werden kann.“ Seiner Einschätzung nach braucht Deutschland mehr betreute Wohnungen, vor allem der Neubau von barrierefreien Wohnungen sollte angekurbelt werden.

„Das könnte man erreichen, indem man beispielsweise Grundstücke im kommunalen Besitz bei Verkauf mit der Auflage verknüpft, barrierefreie Wohnungen zu verwirklichen.“ Kommunen könnten zudem Priorität bei der Bearbeitung entsprechender Bauanfragen und Baugenehmigungen einräumen. Darüber hinaus sollt der Bund das KfW-Programm „Altersgerechter Umbau“ für den Neubau öffnen und das Programm von zinsgünstigen Krediten auf Baukostenzuschüsse sowie steuerliche Förderung von barrierefreien Wohnungen erweitern.