Bietet Lebensmitteleinzelhandel immer noch Investitionsperspektiven?

 

Forscher schreiben Status Quo fort

  

Während die Fachleute und Referenten der BIIS-Bewertertagung vor wenigen Wochen gerade vor dem Hintergrund der Amazonisierung des Lebensmittel-Einzelhandels und des Starts einiger Lieferdienste („Der Immobilienbrief“/Platow 5.5.17) berichten TLG Immobilien AG und bulwiengesa AG über die attraktiven Perspektiven, die der Lebensmitteleinzelhandel Immobilieninvestoren weiterhin biete.

 

Vor dem Hintergrund der Langfristigkeit von Immobilieninvestitionen und der „plötzlichen Rasanz“, mit der e-Commerce, wie von „Der Immobilienbrief“/“Der Platow Brief“ schon seit der Jahrtausendwende vorhergesagt, in den Handel generell eingreift, sind das sicherlich mutige Empfehlungen, gegen eine absehbar gefährliche, aber nicht quantifizierbare Entwicklung zu investieren. Auf Grund der bestehenden Strukturen hat der Einzelhandel einfach nicht genug Ressourcen zur Verfügung stehen, um einer Amazonisierung nachhaltig entgegenzuwirken und die bestehende Umsatzsituation langfristig fortzuschreiben. Andererseits ist Amazonisierung eine Bedrohung, jedoch wird auch langfristig der Bedarfsdeckungshandel seine Bedeutung behalten. Und im Übrigen steht auch dem Internet-Handel aus Sicht des Autors vor Umweltgesichtspunkten in nicht ferner Zeit eine Konsolidierung bevor. Auslöser wird da die Frage sein, ob wirklich für jede Schraube oder Pfund Butter Same Hour Delivery das Ziel sein kann.

 

Die Marktstudie „Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland – Marktstrukturdaten 2016“ von bulwiengesa im Auftrag der TLG resümiert, dass der Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland Immobilieninvestoren ungeachtet des aktuellen Renditerückgangs weiterhin attraktive Investitionsperspektiven biete. Als maßgebliche Trends zur Beurteilung der Investitionschancen sieht bulwiengesa ein relativ konstantes Verkaufsflächenangebot, insgesamt steigende Umsätze und einen „anhaltend geringen Anteil an Online-Umsätzen“. Gleichzeitig käme der weiter fortschreitende Konzentrationsprozess den für Investoren relevanten Betriebsformen zugute.

 

Die Verkaufsfläche im Einzelhandel in Deutschland summiere sich derzeit auf rd. 123,7 Mio. qm (Stand: 2015). Das entspräche einer Pro-Kopf-Verkaufsfläche von 1,51 qm, womit Deutschland im europaweiten Vergleich an vierter Stelle liege. Seit 2010 hat sich die vorhandene Verkaufsfläche lediglich um 1,8% erhöht. Die Einzelhandelsumsätze stiegen in derselben Zeit um rund 13,1% auf 483 Mrd. Euro im Jahr 2016. Der Anteil des Online-Handels lag insgesamt bei 10,9%. Rd. 35,6 Mio. qm Verkaufsfläche entfallen dabei auf den Lebensmitteleinzelhandel. Im Lebensmitteleinzelhandel fiel der Umsatzanstieg mit 16,6% sogar noch höher aus, während der Umsatzanteil des Online-Handels im Lebensmittelsegment mit nur 1,5% deutlich geringer war. Dies rechnet die Studie wohl in die Zukunft hoch.

 

Auch die demografische Entwicklung beurteilt die Studie positiv. Der Einzelhandel müsse sich immer stärker an den Ansprüchen älterer Menschen orientieren und bspw. breitere Gänge, niedrigere Regalhöhen, größere Produktbeschriftungen und mehr Sitzmöglichkeiten vorsehen. Allerdings fragt sich, ob nicht in vielen Fällen direkt zum Seniorensicheren Bestell-Tablet gegriffen wird. Schließlich sind in Ballungsräumen Same Day oder sogar Same Hour Delivery absehbar. Das könnte in einer Dekade auch in die Fläche wandern. Bulwiengesa bringt sogar noch ein weiteres zu berücksichtigendes Gefährdungs-Argument selber. Während in Ballungsgebieten stabile Bevölkerungszahlen zu erwarten seien, sei in vielen ländlichen Regionen sowie in Teilen Ostdeutschlands damit zu rechnen, dass die Bevölkerung dort bis zum Jahr 2060 deutlich abnehmen werde.

 

Im Ergebnis erwartet Bulwiengesa eine insgesamt positive Umsatzentwicklung im Lebensmitteleinzelhandel bei nahezu allen Betriebsformen. Lediglich kleine Lebensmittelgeschäfte verzeichneten rückläufige Umsätze. Es gebe eine Bereitschaft der Verbraucher, für Lebensmittel entsprechender Qualität auch höhere Ausgaben zu tätigen. Die Marktanteile der großen Supermärkte und der Supermärkte stiegen seit 2007 um rd. 25% bzw. 14%. Discounter stellen mit einem Marktanteil von 45,4% nach wie vor die größte Anbietergruppe im Lebensmitteleinzelhandel dar. Dagegen hält bei den SB-Warenhäusern der Restrukturierungsprozess bei den großen Betreibern noch an. Die Mieten im Lebensmitteleinzelhandel haben sich lt. Bulwiengesa seit 2000 positiv entwickelt und stiegen in Westdeutschland insgesamt um 25,5% und in Ostdeutschland um 24,9%. Bedingt durch das starke Interesse von Investoren an Einzelhandelsimmobilien haben sich die Renditen in den vergangenen Jahren in nahezu allen Lagen reduziert. Die höchsten Renditen waren 2016 mit 6,7% in C- und D-Städten Ostdeutschlands zu verzeichnen.

 

Fazit: Verglichen mit anderen Assetklassen sei das Renditeniveau bei Einzelhandelsimmobilien im Bereich der Nahversorgung bzw. des Lebensmitteleinzelhandels vor allem wegen ihrer vergleichsweise hohen Stabilität und der langfristigen Sicherheit trotz der eingetretenen Rückgänge nach wie vor attraktiv. Das restriktive deutsche Baurecht schütze bestehende Einzelhandelsflächen umfassend vor neuen Wettbewerbern. Die in der Regel sehr langfristigen, teilindexierten Mietverträge mit bonitätsstarken Ankermietern böten den Vermietern ein relativ hohes Maß an Sicherheit. Insgesamt böten Nahversorgungsstandorte in guten Mikrolagen daher langfristig gesicherte Mieteinnahmen. Das ist aus „Der Immobilienbrief“-Sicht alles dann richtig, wenn die Genehmigungspraxis restriktiv bleibt, der Flächenbedarf der Nahversorgung tatsächlich von absehbaren Entwicklungen wie eben dem Wachstum des e-Commerce und der Amazonisierung frei bleibt. Gleichzeitig müssen dann noch die Mieter den Transformationsprozess überstehen und vertragstreu bleiben. Sinnvollerweise sollten die Immobilien in der Mietzeit getilgt bzw. amortisiert sein. Ansonsten schützt der Mietvertrag wie auch bei immer schwerer rechenbaren Core-Immobilien vor allem den Entscheidungsträger in der investierenden Kapitalsammelstelle, der für seine persönlichen Perspektiven Sicherheit und Renditedifferenz, also „Alpha“, einkauft, und weniger den Endanleger, der mit den Langfristkonsequenzen leben muss. Hier wiederum formulierte auf einer Tagung im März der Manager des Handelsspezialisten Hahn Gruppe, Bergisch-Gladbach, er erwarte in den nächsten 10 Jahren disruptive Veränderungen, die es überhaupt ausschlössen, eine 10-Jahresprognose für Fonds-Prospekte zu machen.