Die Innenstadt nicht vergessen

Iris Schöberl, Vorsitzende des ZIA-Ausschusses Handel und Kommunales; Managing Director F&C REIT Asset Management GmbH & Co. KG.

Wenn unsere Großeltern von früher erzählen, tauchen Kurzwaren, Ludgers Bücherstübchen oder Frau Bethkes Herrenmoden auf. Unsere Kinder wiederum wünschen sich zu Ostern einen Gutschein von Zalando und treffen sich mit Freunden bei Starbucks. Entsprechend sehen auch unsere Innenstädte heute anders aus als vor 20 Jahren. Familiengeführte Geschäfte sind selten, bestimmte Produkte gibt es kaum noch vor Ort, vielfach dominieren Ketten – und mancherorts der Leerstand. Gerade kleine Städte tun sich häufig schwer, noch einen soliden Mix an Einzelhandel im Zentrum zu halten.

Das ist nicht nur dramatisch für die Versorgung der Menschen vor Ort, sondern wirkt auch auf das Stadtbild und das Wohlbefinden in Gänze. Auch heute hängen Prosperität und Attraktivität der Innenstädte vom stationären Handel und den begleitenden Gastronomie- und Kultureinrichtungen ab. Eine fortschreitende Umsatzverschiebung zu Lasten des stationären Handels könnte für Städte gravierende Nachteile haben: Reduzierung der Flächenrentabilität, Rückgang an Handelsflächen, drohende Leerstände, sinkende Mieten und mehr Verkehr durch Kurierfahrten und Retouren.

Eine funktionierende Innenstadt muss daher Ziel von Politik, Kommunen und Händlern zugleich sein. Dazu bedarf es einer Vielzahl von Maßnahmen. Zum einen sind Gesetzesänderungen nötig, zum anderen müssen Kommunen den vorhandenen Handlungsspielraum einfach ausschöpfen. Erforderlich sind außerdem liberale Ladenöffnungszeiten, gleichmäßige Sonn- und Feiertagsöffnungen, eine gute ÖPNV-Anbindung, ausreichend Parkmöglichkeiten, mautfreie Innenstädte, ausreichend Flächen für Außengastronomie und ein Gewerbesteuersatz, der auch kleineren Händlern genügend Luft lässt.

Städte und Kommunen dürfen den stationären Handel nicht durch gesetzliche, verkehrliche oder steuerliche Barrieren erschweren. Vielmehr sind gemeinsame Planung aller Beteiligten zum Wohle der Stadt das Motto der Stunde. Dies hat der ZIA intensiv im Ausschuss Handel und Kommunales diskutiert. Ergebnis ist das ZIA Einzelhandelspapier mit Forderungen und Anregungen für alle Beteiligte:

  • Der Einzelhandel braucht mehr Freiheit bei Umstrukturierung, Nachnutzung, Rück- und Umbau. Nur so kann es gelingen, flexibel auf geänderte Bedürfnisse vor Ort einzugehen und damit die Versorgungsstruktur attraktiv zu halten.
  • Die Zusammenarbeit der Kommunen muss über Verwaltungsgrenzen hinweg besser werden. Nachteilige Maßnahmen einzelner Kommunen, die sich auf weitere Kommunen auswirken, werden somit vermieden.
  • Kommunen brauchen mehr Planungs- und Genehmigungsfreiheit sowie Verlässlichkeit von oben, um Genehmigungen nach eigener Einschätzung erteilen und somit Steuern einnehmen und ihren Haushaltsplan erfüllen können. Eine fachlich fundierte Unterstützung durch externe Experten aus der Wirtschaft (integrierte Stadtentwicklungspolitik) wäre bei Entscheidungen zu Nutzung, Geschossflächen etc. eine gute Ergänzung und führt zu mehr Planungs-und Investitionssicherheit.
  • Die Innenstadt der Zukunft muss kooperativ und mittels moderner Instrumente entwickelt werden. Hierzu zählen neben Investitionsanreizen vor allem Eigentümerstandortgemeinschaften, Business- und Housing Improvement Districts (BIDs und HIDs) sowie generell eine Stärkung von PPP-Projekten. Schließlich ist selbst bei dem besten aller Konzepte die Frage der Finanzierung elementar. Wegen zunehmender Finanzprobleme der öffentlichen Haushalte kann diese nicht nur über Fördermittel sichergestellt werden.
  • Auch die Einzelhändler selbst sind gefordert. Nicht die Konkurrenz zwischen Innenstadt und nicht-integrierten Lagen ist das Hauptproblem, sondern der zunehmende Online-Handel. Eine Handhabe sind Multichannel-Konzepte, mit denen Online- und stationärer Handel intelligent verknüpft werden.  Kritisch hinterfragt werden müssen auch Sinn und Anwendbarkeit von Sortimentsbeschränkungen.

 

Jede Stadt ist anders und braucht individuelle Lösungen. Gelegentlich genannte pauschale Richtwerte oder allgemeine Rahmendaten für die Entwicklung von Handelsformaten sind kontraproduktiv. Vielmehr muss der Wettbewerb um attraktive und starke Innenstädte – und damit immer auch Stadtteilzentren oder Nachbarschaftszentren nach dem Leitbild der kompakten Stadt – durch eine Vielfalt von Konzepten ausgetragen werden. Wirtschaftliche Prosperität, sozialer Ausgleich, gesunde Umwelt sowie kulturelle und gesundheitliche Erfordernisse sind dabei im Sinne der Leipzig Charta gleichzeitig zu berücksichtigen.