Gefährliche Ignoranz – Wie sehr darf man den Begriff „Nachhaltigkeit“ strapazieren

Anika Reißner, Dr. Thomas Beyerle, IVG Immobilien AG ,
Bereich Corporate Sustainability & research

Immobilien – und zwar vor allem nachhaltige Immobilien – gelten als Betongold, sie versprechen bekanntlich einen gewissen Schutz vor Inflation. Wer aber schützt den Begriff der Nachhaltigkeit in der Immobilienwirtschaft vor Inflation, genauer: vor inflationärem Einsatz?

Fast schon möchte man von Hyperinflation sprechen, so sehr greift der Nachhaltigkeitsbegriff um sich, er scheint nichts mehr wert. Bestenfalls nervt der Begriff, im schlimmsten Falle stellt sich Ignoranz ein. Dabei steht die Immobilienwirtschaft beim Thema Nachhaltigkeit noch längst nicht da, wo andere Branchen stehen. Gemeint ist Nachhaltigkeit nicht nur bezogen auf Gebäude, also das Geschäftsfeld von Immobilienunternehmen, sondern bezogen auf die Unternehmensebene selbst. Die Sicht ist umfassender – sie inkludiert die jeweiligen Produkte (Immobilien), aber auch sämtliche unternehmerischen Prozesse, die nachhaltigkeitsrelevant sind. Letztlich wird die gesamte Liefer- und Leistungskette betrachtet. Die Gebäudeebene blickt allein auf wie viel Energie wird fürs Heizen oder Kühlen aufgewendet wird. Die Unternehmensebene beleuchtet, ob sich die Mitarbeiter sich fortbilden können, ob sie von einem Elektroauto oder einer CO2 Herausforderung sich von A nach B bewegen. Und im Idealfall auch, ob das Kantinenessen aufwändig aus Übersee importiert wurde oder aus der Region kommt.

Wie weit wir beim Unternehmens-Nachhaltigkeitsbericht im Vergleich zu anderen Branchen noch am Anfang stehen, zeigt folgendes Zahlenspiel: Beachtliche 9 von 10 im DAX notierte Firmen haben 2012 einen solchen Bericht publiziert. In der Immobilienwirtschaft waren es im gleichen Jahr ebenfalls 9 Unternehmen, allerdings im absoluten Sinne, als absolute Zahl zu verstehen. Für das aktuelle Jahr dürfte eine Verdopplung möglich sein, aber dennoch bleibt die Zahl damit lächerlich klein.

Die Immobilienwirtschaft ist also eindeutig Nachzügler. Vorreiter sind im Übrigen die Energiebranche, die Automobil- sowie die Chemiewirtschaft. Die Allianz beispielsweise veröffentlichte bereits 2003/2004 einen so genannten Statusbericht mit Bezug zu Nachhaltigkeitsthemen. Die knappe Stellungnahme zum Thema umfasste zehn Seiten. Sieben Jahre später enthält der Nachhaltigkeitsbericht der Allianz über 100 Seiten. Oder nehmen wir BASF. Dort gab es bereits im Jahr 2000 einen 60-seitigen Bericht zum Thema Umwelt, Sicherheit und Gesundheit sowie einen Bericht zur gesellschaftlichen Verantwortung. Die SAP AG publiziert seit 2007 Nachhaltigkeitsberichte beziehungsweise integrierte Berichte.

Meist sind die Berichte im Laufe der Zeit gewachsen, sowohl an Umfang als auch an Tiefgang. Ersteres ist als neutrale Feststellung zu werten. Ein Mehr an Seiten muss nicht immer besser sein. Letzteres hingegen ist positiv zu werten. Viele anfänglich publizierte Berichte muten durchaus als green washing an, als oberflächliches Grünreden des eigenen Handelns. Heute ist man in anderen Branchen so weit, dass unternehmensbezogene Nachhaltigkeitsaspekte – gemessen als einheitlich definierten Schlüsselindikatoren – es erfreulicherweise sogar in die Finanzberichterstattung geschafft haben.

Die ersten Nachhaltigkeitsberichte der deutschen Immobilienwirtschaft sind im Jahr 2010 veröffentlicht worden. Die Berichterstattung ist somit noch sehr jung. Und noch längst nicht immer ausgereift, lange mangelte es an Standards. Die Unternehmen taten und tun sich folglich schwer, sie zögern. Noch immer fehlt es vielen Immobilienunternehmen an einer konzernweiten, strukturierten Integration von Nachhaltigkeitsstrategien und daraus folgend auch an einer vollständigen Dokumentation. Dahingegen befassen sich die großen DAX-Unternehmen wie dargelegt teilweise seit über 10 Jahren mit der Nachhaltigkeitsberichterstattung. Die multinationalen Konzerne besitzen einen entsprechend großen Erfahrungsschatz.

Und so zieht die Immobilienwirtschaft zieht erst jetzt nach. Umgekehrt könnte man sagen: Immerhin. Ohne die konzertierten Aktion des ZIA, der als Branchenverband einen Nachhaltigkeits-Kodex bezogen auf die Ebene des Immobilienunternehmens und einen damit einhergehenden verpflichtenden Publikationsrahmen vorgelegt hat, wären wir vermutlich noch nicht einmal so weit, wie wir sind. Zum anderen haben die Einführung und die Novellierungen der Energieeinsparverordnung EnEV einen Umdenkprozess befördert und Bewegung in die deutsche Immobilienbranche gebracht: Die Entwicklungen im Bereich der Energieeffizienz und die Anforderungen an den Gebäudesektor steigen rasant. In der Novellierung der EnEV 2012 wurde zuletzt das Ziel festgelegt, ab 2019 alle Neubauten CO2-neutral zu halten. Das betrifft zwar wieder den vorgenannten Immobilienebene (und damit das Produkt der Unternehmen). Nur ist natürlich die Qualität der Produkte mit dem Ergebnis der unternehmensbezogenen Nachhaltigkeitsbemühungen eng verknüpft.

So kommt es, dass sich langsam, aber immerhin stetig, zunehmend mehr Immobilienunternehmen dem Zweig der Nachhaltigkeit widmen. Analog zu den steigenden Ansprüchen an den Gebäudesektor wurde auch der Standard, nach dem das Nachhaltigkeitsreporting idealerweise erfolgen sollte, angepasst. Der allgemein akzeptierte Standard wird von der Global Reporting Initiative (GRI) vorgegeben. Akzeptiert im Übrigen nicht nur in der Immobilienwirtschaft. Und nicht nur in Deutschland. Die Nachhaltigkeitsberichterstattung basiert weltweit zum großen Teil auf den Richtlinien der 1997 gegründeten GRI. Allerdings gilt auch hier: Das Supplement für die Immobilien- und Baubranche „CRESS“ wurde erst im Jahr 2011 publiziert. Erst seit diesem Zeitpunkt können Immobilienunternehmen auf branchenspezifische Indikatoren zurückgreifen.

Trotz der Fortschritte bleibt die Praxis schwierig. Die Nachhaltigkeitsberichterstattung ist als konzernumfassender Bericht zu verstehen, der alle Standorte sowie im Idealfall die gesamte Lieferkette abbildet. Folglich gilt es, den Überblick über sämtliche Standorte, Gebäude, Aktivitäten und Einflussfaktoren zu behalten. Das in der Realität umzusetzen, bedeutet oft an Grenzen zu stoßen. Zumal Nachhaltigkeit nicht selten einen kompletten Perspektivenwechsel erfordert, den die Geschäftsführung mittragen muss. Geschäftsmodelle müssen angepasst, neue Ziele formuliert werden. Dabei gilt zu beachten, dass Nachhaltigkeitsziele, die einmal festgelegt sind, später nicht mehr revidiert werden sollten. Die Nachhaltigkeitskommunikation muss sorgsam geplant und widerspruchsfrei umgesetzt werden. Nachhaltigkeit fordert dabei natürlich immer auch einen nicht zu unterschätzenden Personal-, Zeit- und Kostenaufwand. Die steigenden Ansprüche an die Berichterstattung führen zudem zu wachsenden Anforderungen an systemübergreifende IT-Systeme. Gerade die Vernetzung nachhaltigkeitsrelevanter Informationen zwischen Asset-, Property- und Facility-Management sowie den Zentralbereichen ist eine wichtige Grundlage für eine reibungslose Datenerfassung.

Und bei allem gilt: Immobilienbezogene Nachhaltigkeitsaspekte sind langfristig zu planen und zu integrieren. Es sollten alle Lebensphasen der Immobilie betrachtet und kontrolliert werden – von der Planungs- und Bauphase über die anschließende Nutzungsphase bis hin zum Abriss. Das entsprechende Controlling muss auf diese Betrachtungsweise ausgerichtet sein. Und: Dabei ist nicht nur die Datenerfassung und -auswertung sowie der Soll-Ist-Abgleich von Zielen und Realität, sondern auch die Analyse möglicher Fehlerquellen anspruchsvoll.