Glamourpolitiker – Eine neue Spezies am deutschen Polithimmel

Prof. Dr. Volker Eichener, Rektor EBZ Business School

Karl-Theodor zu Guttenberg (Name abgekürzt) ist der erste deutsche Spitzenpolitiker, der den Typus des „Glamourpolitikers“ vertritt, welcher insbesondere in der angelsächsischen Welt mit John F. Kennedy, Ronald Reagan, Bill Clinton, Tony Blair und Barack Obama eine Reihe hervorragender Vertreter gefunden hat und inzwischen weltweit adaptiert wird.

Im Unterschied zu dem in Deutschland viel häufigeren Typs des Taktierers, der sich auf innerparteiliche Macht- und Intrigenspiele konzentriert, um in hohe politische Ämter aufzusteigen, steht beim Glamourpolitiker das Bemühen im Fokus, die Popularität in der Bevölkerung und Wählerschaft zu maximieren.

Dazu setzt der Glamourpolitiker Marketingstrategien und –instrumente ein, die dem Film- und Showgeschäft entliehen sind. Typische Strategien eines Glamourpolitikers beinhalten

•              die systematische Bedienung nicht nur der politischen Medien, sondern auch der Unterhaltungsmedien – insbesondere der Regenbogenmedien – mit persönlichen und lebensstilbezogenen Informationen,

•              den Aufbau eines Persönlichkeits-Images, das hohe Emotionalisierung und Sympathiewerte bezweckt,

•              die systematische Darstellung von Glamour-Elementen wie Aussehen, Eleganz, Kleidung, Lebensstil,

•              die Einbeziehung von Lebenspartner/innen in die Medienpräsenz,

•              in politischer Hinsicht Eloquenz, visionäre Sprache, Entschlusskraft und klare, mutige Ziele, mit denen man sich in den Augen der Wähler von der Taktiererei des üblichen Politikbetriebs abzuheben scheint.

Guttenberg hat diese Klaviatur in hervorragender Weise zu spielen gewusst. Durch die systematische Versorgung der Medienlandschaft mit sorgfältig ausgewählten Bildwelten (mit Ehefrau im Smoking bei der Gala, im karierten Hemd mit Bierdose in den Wäldern, als DJ mit AC/DC-T-Shirt etc.) hat er so hohe Sympathiewerte bei unterschiedlichen Alters- und Lifestylegruppen erzielt, dass ihn die Zeitschrift Stern auf dem Titel als „Der coole Baron“ (18.7.2009) darstellen konnte.

Die Strategie war aufgegangen. Von Juni 2009 bis Anfang Februar 2011 hat Guttenberg nahezu permanent die höchsten Popularitätswerte aller deutschen Spitzenpolitiker erzielt.

Typisch für Glamourpolitiker ist, dass sie ihre Beliebtheit nicht auf politische Ziele oder Kompetenzen gründen, sondern auf Sympathie, also Emotionen. Dies führt zu dem häufig zu beobachtenden „Teflon-Effekt“: Sachliche Kritik – so berechtigt sie sein mag – perlt an den Sympathieträgern einfach ab. Selbst offensichtliche Fehlentscheidungen werden dem Glamourpolitiker nicht übelgenommen – im Gegenteil, übereiltes Handeln wird von den Anhängern trotz offenkundiger Fehlerhaftigkeit als Entschlusskraft gelobt.

Das Risiko des Glamourpolitikers liegt – genau wie sein Erfolg – weniger im sachlichen als im emotionalen Bereich. Glamourpolitiker emotionalisieren und polarisieren gleichzeitig. So stark die Sympathien sind, die ihnen von den Anhängern entgegengebracht werden, so stark ist aber auch der Hass, der bei ihren Gegnern entsteht. Den Sachpolitiker schätzt man oder kritisiert man, aber man ist emotional weitgehend distanziert. Den Glamourpolitiker liebt man oder hasst man.

Liest man auf den einschlägigen websites (z.B. Kommentar-Threads bei Spiegel Online oder auf Guttenplag) Kommentare über Guttenberg, so erschrickt man über den im Schutze der Anonymität ausgegossenen Hass, der sich in übelsten Beleidigungen, Verunglimpfungen, übler Nachrede und Verdächtigungen Bahn bricht – ein Phänomen, mit dem in ähnlicher Weise Reagan, Clinton, Blair und Obama in ihren Heimatländern zu kämpfen hatten bzw. immer noch haben.

Diese Hassgefühle sind die Kehrseite des Teflon-Effekts. Hass und Wut entstehen aus dem Gefühl der Ohnmacht, dem Glamourpolitiker nicht durch Sachargumente beikommen zu können. Weil die politischen Gegner erkennen, dass Argumente nicht wirken, werden Glamourpolitiker dann auch in ihrer Person angegriffen.

Strategisch wird dabei nach Schwachstellen gesucht: Im Bereich sexueller Affären (hier bot Bill Clinton ein einfaches Ziel), im Bereich geschäftlicher, finanzieller und steuerlicher Affären (auch hier hat man es bei den Clintons versucht) oder im Bereich persönlicher Redlichkeit.

Und hier hat Guttenberg tatsächlich eine Schwachstelle entblößt. Guttenbergs Fehler war, dass er meinte, sein Image auch noch durch einen Doktorgrad abrunden zu müssen, der ihm die Intellektualität bescheinigt, die man Showstars im allgemeinen nicht zutraut.

Auslöser des Angriffs war ein linker Rechtswissenschaftler, der sich in einer linken Zeitschrift Guttenbergs Dissertation in einer Rezension vorgeknöpft und eine vergleichsweise bescheidene Zahl von Plagiaten gefunden hatte, die zwar oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze lagen, aber zu diesem Zeitpunkt noch mit der Vorstellung von einer eigenen Leistung Guttenbergs vereinbar waren.

Was dann passierte, ist am ehesten mit dem Zauberlehrling (tatsächlich lautet die ursprüngliche Bedeutung von „glamour“ auch „Zauber“) zu vergleichen: So wie Guttenberg die Medien funktionalisiert hatte, um sein Image aufzubauen, so machten sie jetzt die Plagiatsaffäre über mehrere Tage hinweg zum Top-Thema. Auf Spiegel Online wurde über fehlende Fußnoten in ähnlichem Umfang berichtet wie sonst über den Ausbruch eines größeren Kriegs.

Hatte Andreas Fischer-Lescano noch eine vergleichsweise geringe Zahl von Plagiaten gefunden, setzten nun Schwarmintelligenz und Bienenfleiß der web 2.0-Gemeinschaft ein. Auf der website https://de.guttenplag.wikia.com/ sind binnen zweier Tage auf nicht weniger als 268 Seiten, das entspricht 68% aller relevanten Seiten (Stand 19.2.2011, 23:43), Plagiate gefunden worden. Schon der erste Satz der Einleitung war abgekupfert.

Die Plagiate waren wohl auch dadurch zustande gekommen, dass Guttenberg sich der Zuarbeit der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages bediente, wie Spiegel Online vom 19.2.2011 (https://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,746518,00.html) berichtete. Damit würde es sich zumindest um eine Variante von Ghostwriting handeln.

Auch wenn eine gefälschte Doktorarbeit nichts Unmittelbares für die Kompetenzen für ein Ministeramt aussagt, ist zumindest die persönliche Integrität schwer erschüttert. Angesichts des Ausmaßes der Plagiate lässt sich auch nichts mehr retten: Die Universität Bayreuth wird nicht anders können, als den Doktorgrad abzuerkennen, wenn sie nicht ihre wissenschaftliche Reputation aufs Spiel setzen will. Die Blamage für den Referenten der Dissertation, der die Plagiate nicht erkannt hat, ist groß genug, betrifft aber nur einen Professor und nicht gesamte Hochschule.

Für die Medien sind solche Affären willkommene Geschenke, um Leserzahlen, Einschaltquoten und Seitenaufrufe zu steigern. Pranger waren schon immer äußerst beliebt und Missgeschicke prominenter Persönlichkeiten wie Skiunfälle (Ministerpräsident Althaus), Geschwindigkeitsüberschreitungen (Verkehrsminister Wittke), Trunkenheitsfahrten (EKD-Vorsitzende Käßmann) oder die Nutzung eines Testautos (Brandenburgs Minister Rupprecht) werden von den Medien heute in einer Weise ausgebeutet, dass sie die betroffenen Personen das Amt kosten.