Großes Hotelsterben unvermeidbar

Winfried D.E. Völcker

„Trotz Fachkräftemangels werden Jugendliche in einigen Branchen ausgenutzt“ – zu lesen auf der ersten Seite der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 23. Juli 2017. FAS-Recherchen ergaben: „Die Lage ist laut Auskunft von Berufsschullehrern und Auszubildenden besonders schlimm in der Gastronomie und Hotellerie, bei Friseuren, Zahnarztpraxen und Reisebüros. Jugendliche werden vielerorts mangelhaft und unter unwürdigen Bedingungen ausgebildet.“

 

In einem Zwiegespräch haben sich zwei Experten mit der Problematik auseinandergesetzt: Professor Dr. Ing. Tom Sommerlatte, Chairman des Advisory Board of Arthur D. Little, The Square, Frankfurt am Main und Winfried D. E. Völcker, Hotelier und Geschäftsführer der VHC Völcker Hospitality Company GmbH, Bad Schwartau:

 

Herr Professor Sommerlatte, wir Hotelleute haben ein „Uralt-Problem“, das Ex-Kempinski-Chef Reto Wittwer in 2012 so formulierte: „In Zukunft schließen Hotels nicht mangels Gästen, sondern mangels Mitarbeitern“. Er klagte nicht, sondern handelte. Seine GMs machten ihren MBA. Für den Nachwuchs führte er den „Career Day“ ein und 1.000 Bewerber kamen. Kein Beleg für fehlenden Nachwuchs, oder?

Wittwer feuerte selbst Top-Performer in seine Reihen, die sich nicht um das Wohlergehen ihrer Mitarbeiter kümmerten.

Ich frage Sie: Können Sie verstehen, warum viele Führungskräfte in 2017 immer noch nicht begriffen haben: “Mitarbeiter sind freie Menschen, um deren Wohlergehen man sich zu bemühen hat, und keine Sklaven!“ Den weit verbreiteten Mangel an Respekt und würdevollem Umgang mit Menschen die für unsere Gäste und unseren Erfolg arbeiten werde ich nie verstehen. Nur, kann eine Image-Initiative wie „Fair Job Hotels“ das Problem ändern?

 

 

Zwar kenne ich die Hotelbranche nicht so gut wie Sie, Herr Völcker, auch wenn ich geschäftlich oft auf Reisen und daher in vielen Hotels zu Hause bin. Das Image eines Hotels entsteht für mich und meinesgleichen immer aus dem Zusammenspiel von mehreren Faktoren: Neben dem optischen Erscheinungsbild, der Servicequalität und dem Produkt-Leistungsverhältnis zählen ganz entscheidend die Einsatzfreude, die Kompetenz und die spürbare Identifikation des Personals mit dem Haus.

Wie schaffen manche Hotels es, diese Atmosphäre der freundlichen Fürsorge, der dauerhaften Kompetenz und Qualität zu beweisen?

Da lohnt sich ein Blick in andere Branchen, in denen Service eine große Rolle spielt. In den letzten 10, 15 Jahren hat sich da zunehmend die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Außenbeziehungen nur so gut sein können wie die Innenbeziehungen, nämlich die Art und Weise,  wie die Führung mit ihren Mitarbeitern umgeht.

Der Test ist das Vertrauensklima im Unternehmen: Weg vom autoritären Führungsverhalten und Machtausübung hin zu partizipativer Führung, zur Teambildung, zum Spielraum für eigenverantwortliches Engagement der Mitarbeiter.

 

 

Einverstanden, Herr Professor Sommerlatte, nur noch einmal die Frage: „Kann eine Image-Kampagne der Hoteliers den schlechten Ruf drehen? Wäre eine faire Auseinandersetzung mit der Ur-Sache nicht bekömmlicher, als etwas provozierend gesagt: „Konsenslaberei in zehn Geboten“? Muss alles immer schön hirngerecht und leicht verdaulich daher kommen? Liegt die Ursache des schlechten Images nicht in den Führungsköpfen der Branche? Die Mundpropaganda unzufriedener, enttäuschter und frustrierter Mitarbeiter sorgt seit Jahrzehnten für eine abschreckende Verbreitung dieses Virus – weit in die Familien und Freundeskreise hinein…

 

GMs dieser Tage stammen aus der GEN-Baby-Boomer und Best-Ager, sind 40 bis 69-plus. Sie lernten noch per autoritärer Anweisung bei Chefs, die „das Personal“ oft mit nutzloser Schinderei traktierten. Das war damals leider oft so. Respekt, Wertschätzung, Anteilnahme, gar Einflussnahme meist ein No-Go. Streift man diese Schule so einfach ab? Ein namhafter PCO beschrieb jüngst seine Erfahrungen mit Hotelmanagern so: „Würden die Hotelchefs ihre Gäste wir ihre Mitarbeiter behandeln, sie hätten keine Gäste mehr.“ Und dabei wissen wir doch, Wertschätzung schafft Wertschöpfung…

Liegt das Problem also tiefer? Hat es grundsätzliche Ur-sachen? Liegt es an Einstellung und Verhalten der Chefs? Ich habe gelernt: Führungskräfte haben zu führen und zwar als „Hands-on-Vorarbeiter“ an der Gästefront, dort wo der Umsatz gemacht wird. Umsatz erfordert nämlich Einsatz. Wahre Führungsautorität kommt von der Art und Weise wie ein „Häuptling“ seine Aufgabe lebt und ausführt. Nicht qua Position.

Wird eine Führungskraft als nicht authentisch empfunden, versagen smarte Mitarbeiter ihr die Gefolgschaft – wie im richtigen Leben. Ergebnis: Nachwuchs- und Fachkräftemangel.

 

Die GEN X & Y hat viele smarte Leute auf der Suche nach Karriere mit Sinn und Selbstverwirklichung. Die haben Recht, die wollen eigenverantwortlich, teamorientiert und effektiv arbeiten. Sie sind nicht leistungsfeindlich und auch keine Freizeitfanatiker. Sie sind die Chance für den allfälligen Turnaround in der Branche. Warum geben wir den Leuten diese Chance nicht? Steve Jobs: „It doesn´t make sense to hire smart people and tell them what to do; we hire smart people so they can tell us what to do”.

 

 

Herr Völcker, Sie treffen die Ur-Sache des Nachwuchs- und Fachkräftemangels auf den Kopf: tradiertes, nicht mehr zeitgerechtes Führungsverhalten, unzureichende Wertschätzung der Mitarbeiter, daher schlechtes Vertrauensklima. Gerade weil das Führungsverhalten Tradition hat, früher ja glorifiziert wurde und daher einen gehörigen Schuss Selbstherrlichkeit beinhaltet, fällt es den Betroffenen schwer, darin die Ursache des Problems zu erkennen. Die Feststellung „Würden die Hotelchefs ihre Gäste wir ihre Mitarbeiter behandeln, sie hätten keine Gäste mehr“, sagt doch alles. Eine Image-Kampagne ist da wie Schminke, sie verdeckt das Problem – die Mitarbeiter, die Kandidaten und eben auch die Gäste durchschauen auf Dauer den Schmu.

 

 

Verraten Sie es mir Professor Sommerlatte, welche Verhaltenskur, welche Wurzelbehandlung hilft? Vielleicht eine Kopfwäsche?

 

 

Herr Völcker, es muss mit der Erkenntnis beginnen, dass Unternehmen, bei denen wertschätzend und vertrauensbasiert geführt wird, nachweislich die besseren Mitarbeiter anziehen und auch die besseren Ergebnisse erzielen. Die besseren Mitarbeiter sind dann auch die, die das Business Modell neu durchdenken helfen, die mit der Digitalisierung vertraut sind und die Effizienz steigern. Sie setzen eine positive Spirale in Gang, aber sie wollen als Teampartner behandelt werden. Es gibt in anderen Branchen, besonders auch im Mittelstand, genügend Beispiele, dass es so geht.

Aus dieser Erkenntnis heraus kann die Verhaltenskur eingeleitet werden, der Wandel hin zu einem Vertrauensklima auf der Basis wirklich fairer Führung. Sie, lieber Herr Völcker, können wahrscheinlich gut einschätzen, welche auch ökonomischen Auswirkungen das in der Hotelbranche haben könnte.

 

 

Sparen, Herr Professor Sommerlatte, ist jedenfalls der falsche Weg. Ich halte es mit Mövenpick Gründer Uli Prager, der sagte: „Anfangs musst Du Geld zum Fenster raus werfen, damit es laufend zur Tür wieder rein kommt“. Auf laufende Betriebe bezogen behaupte ich, dass die mit Digitalisierung einhergehende, notwendige Neuerfindung aller Arbeitsabläufe in allen Bereichen, ggf. unter Mitwirkung der Gäste, ein Optimierungspotenzial von 15 bis 25 Prozent an Manpower möglich macht. Nebenbei: Wir sprechen gerade über Gewinnoptimierung….

 

Wer mithilft, smart zu optimieren, sollte auch partizipieren. Das nenne ich fair: Ein fairer Teil der nachhaltigen Einsparungen geht an die Mitarbeiter, teils als Gehaltserhöhung – teils als Ergebnis bezogenes Incentive, womit die notorisch schlechten Löhne der Branche der Vergangenheit angehören würden. Zweitens würden kleinere Ensembles den gleich guten Service leisten und der Fachkräftemangel sich so quasi von selber auflösen. Geht nicht, gibt´s nicht!

Man muss es nicht nur wollen, man muss es auch tun.

An dieser Stelle entscheiden viele erst mal eine Nacht drüber zu schlafen, bevor sie´s vergessen, oder gehen gleich zum Golfen…

 

 

Lieber Herr Völcker, ich hoffe und wünsche der Hotellerie, speziell in Deutschland, dass diese sehr pragmatische Perspektive zum Handeln und zum echten Führungswandel aufrüttelt. Es gibt den Begriff des „disruption denial“, d.h. des Sich-Verschließens für den Wandel.

Der lässt sich aber nicht verhindern. Die sich ihm verschließen, gehen – à la Gorbatschow – nicht mit der Zeit, mit allen Folgen.