Opel-Forum: Blindflug mit Acrest oder Gier frisst Hirn

Dr. Martin Klingsporn

„Gier frisst Hirn“, das gilt nicht nur für größenwahnsinnige Banker und wild gewordene Kleinanleger sondern auch für überforderte Lokalpolitiker, wie der Fall „Opel-Forum Rüsselsheim“ zeigt.

Die Fakten: Die Berliner Entwickler Acrest Property will durch Umnutzung des so genannten Opel-Altwerks ein weiteres Shopping Center mitten im Rhein-Main-Gebiet auf den Markt bringen. Das Investitionsvolumen wird mit 130 Mio. Euro angegeben, die Fläche mit 30.000 qm auf denen sich ca. 110 Mieter tummeln sollen. Opel hat das Altwerk bereits an eine von lokalen Honoratioren gehaltene Grundstücksgesellschaft (HKS GmbH) abgegeben. Bei dem Objekt handelt es sich um unter Denkmalschutz stehende Industriearchitektur der frühen Moderne, das direkt an die Rüsselsheimer Innenstadt grenzt.

Da die Rüsselsheimer Innenstadt durch eine Reihe von Planungsfehlern der 70er und 80er Jahre komplett ruiniert ist, bildet der historische Bau das letzte architektonische Tafelsilber der Stadt. Die letzten 20 Jahre haben eine fast vollständige Verödung gebracht, in der Fußgängerzone breiten sich Automatenspiele und Ramschläden aus, der Facheinzelhandel stirbt weg. Ein Karstadt-Haus mit rund 5000 qm steht schon seit über 10 Jahren leer. Direkt daneben wurde in den 80er Jahren der letzte Rest des historischen Kerns (einschließlich der ersten Werkstadt Adam Opels) zugunsten einer Betonburg („Löwencenter“) geopfert, dessen „Frequenzbringer“ heute ein Drogeriemarkt von Schlecker und das Arbeitsamt sind. Angesichts der desolaten Verhältnisse werden die Entwickler des Opel-Forums von der Lokalpolitik als Heilsbringer gehandelt, weil „die Investoren endlich wieder Geld in die Stadt“ bringen.

Genau hier beginnt die Gier das Hirn von Bürgermeister und Stadtverordneten aufzufressen: Die Entwickler sind offenbar nicht die Investoren, die die in Aussicht gestellten 130 Mio. Euro haben: „Die Investition in die Liegenschaft erfolgt nicht über die operativ tätige ACREST Property Group GmbH“ erklärte Acrest auf Anfrage und stellte zudem klar: „HKS ist in diesem Zusammenhang nicht relevant, da die bisherigen Investoren lediglich einen Minoritätsteil der Eigenkapitaltranche übernehmen werden.“ Und schlimmer noch: „Nein, derzeit gibt es keine konkreten Verhandlungen mit einem Investor. Wir möchten zum jetzigen Punkt nicht ausschließen, dass zu gegebener Zeit ein End-Investor für das Objekt angesprochen wird.“

Das hätten Lokalpolitiker und die heftig für das Projekt trommelnde Lokalpresse („Letzte Chance für Rüsselsheim“) auch vorher wissen können. Das einfache Gebot des gesunden Menschenverstandes, einfach den Hintergrund zu prüfen, hätte hier per Abfrage im Handelsregister zutage gefördert, dass es da eben nur zwei kleine GmbHs mit je 25.000 Euro Stammkapital gibt. Das Eigenkapital der Acrest beläuft sich der neuesten im Register hinterlegten Bilanz (per Ende 2010) auf rund 1,1 Mio. Euro – Dank einer wundersamen Vermehrung um 1364% gegenüber dem Vorjahr (2009: rund 76.000 Euro), die auf einem Bilanzergebnis von 1.103.440,40 Euro beruht. Die HKS fällt daneben lediglich durch extreme Schulden auf mit rund 9,4 Mio. Euro Verbindlichkeiten bei einem Eigenkapital unter 200.000 Euro, wieder gemessen am neuesten derzeit im Register verfügbaren Abschluss (per Ende 2009). Außer dem Grundstück, viel warmer Luft und bunten Papieren ist nicht viel vorhanden, aus dem man erraten könnte, woher die wohl als Minimum anzusetzenden 39 Mio. Euro (30% Eigenkapital auf den Projektwert von 130 Mio. Euro) denn kommen sollen. Eine abgesicherte Endfinanzierung sieht anders aus.

Und es spricht auch wenig dafür, dass es wesentlich mehr werden könnte. Das angedachte Shopping-Center liegt mittig zwischen den Oberzentren Frankfurt, Wiesbaden, Mainz und Darmstadt, deren Innenstädte jeweils etwa 20-30 Autominuten entfernt liegen. Zwischen den Städten liegen noch weitere große Einkaufszentren wie das von ECE betriebene Main-Taunus-Zentrum. Hinzu kommen noch zwei neu vom Branchenführer ECE angeschobene Projekte in Mainz (vier S-Bahnen-Stationen entfernt) und in Frankfurt (sechs S-Bahn-Stationen). Die große Shopping Mall mit den schicken Marken-Boutiquen wird es in Rüsselheim also kaum geben können angesichts dieser Konkurrenzsituation.

Das ficht die wackeren Acrest-Entwickler aber auch gar nicht an, sie stützen ihre Pläne nämlich interessanterweise auf eine Standortanalyse, die den relevanten Einzugsbereich auf das lokale Umfeld begrenzt, die nahe gelegen Großstädte kommen darin nicht mehr vor. In diesem lokalen Bereich machen sich allerdings schon eine Menge Fachmarkt- und Nachversorgungszentren massiv Konkurrenz, die Kannibalisierung ist dort längst in Gang gekommen – was einem Opel-Forum beschränkten Zuschnitts zunächst sogar nützen könnte: Die umliegenden Zentren sind überwiegend schon recht betagt. Daher ist bei den wichtigen Einzelhändlern durchaus Interesse an neuen Standorten innerhalb des Einzugsgebietes vorhanden. Nur hätte man dann eben ein neues, zusätzliches auf den Nahbereich zielendes Einkaufzentrum, das die Umsätze innerhalb des Einzugsgebiets lediglich umschichtet, ohne neue zu generieren.

Zunächst müsste allerdings die Kalkulation von „phantasievoll“ auf „markgerecht“ umgestellt werden, ein Preis von fast 4.300 Euro/qm (130 Mio. / 30.000 qm) ist recht sportlich verglichen mit dem derzeit von der LHI platzierten Fachmarktzentrum Erding. Das kommt selbst im teuren Großraum München mit 2.600 Euro/qm aus. Schließlich muss der Preis über die (im Raum München höhere) Miete eingespielt werden. Auch dieser Vergleich zeigt, dass die Acrest-Pläne wohl nicht marktgerecht sind.

Mit einem entsprechend beschränkten aber in sich tragfähigen Konzept könnte die Finanzierung schnell geregelt sein (auch durch einen geschlossenen Fonds, wenn sich kein Investor findet) wäre da nicht ein weiteres Problem: Solche Industrieobjekte sind immer mit Altlasten verbunden. So auch hier, einem Standort der Rüstungsproduktion im 2. Weltkrieg. Wo so wenig Rücksicht auf die Menschen genommen wurde, hat die Umwelt noch stärker gelitten, was an zwei Punkten sichtbar wird: Die Motorenprüfung hat eine hohe Belastung mit Altöl im Erdreich hinterlassen. Und in der so genannten Härterei wurden mechanisch besonders belastete Bauteile vor allem mit Zyaniden aber auch anderen Giften veredelt – mit entsprechenden Rückständen. An beiden Problemen wurde oder wird bereits gearbeitet. Ein Restrisiko bleibt aber immer bestehen. Ein institutioneller Investor würde das über den Kaufpreis regeln. Bei einem Publikumsfonds müsste über dieses Risiko aber im Prospekt aufgeklärt werden, was die Platzierung bei privaten Anlegern zur sportlichen Aufgabe macht: Wird korrekt aufgeklärt, kostet es wohl Umsatz; werden die  Fakten verschwiegen, drohen hohe Haftungsrisiken: Welcher Vertrieb tut sich das an, vor allem mit einem offenkundig überteuerten Produkt?