Presserecht (3): Über die Zulässigkeit von Verdachtsberichterstattung – „Ein Mörder steht vor Gericht“

Eine Schlagzeile wie die Überschrift dieses Artikels zeigt das Problem. Viel zu oft wird in den Medien eine Vorverurteilung ausgesprochen, obwohl es noch gar kein Urteil gibt. Ein Mensch ist eben erst dann ein Mörder, wenn er rechtskräftig wegen Mordes verurteilt worden ist. Vorher gilt die Unschuldsvermutung. Natürlich haben die Medien ein berechtigtes Interesse daran, über Verdächtigungen, Strafanzeigen oder Ermittlungsverfahren zu berichten auch wenn die Vorwürfe sich hinterher als haltlos erweisen. Auf der anderen Seite steht aber das Interesse Betroffener, dass ihr Ruf nicht durch mediale Vorverurteilungen ruiniert wird. Zur Bewältigung dieses Spagats wurden spezielle Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Verdachtsberichterstattungen entwickelt. Wer sich daran nicht hält, berichtet rechtswidrig und setzt sich beispielsweise Unterlassungsansprüchen des Betroffenen aus.

Um über einen Verdacht berichteten zu können, muss es sich um einen schwerwiegenden Fall handeln. Das kann sich zum Beispiel aus der Qualität der vorgeworfenen Straftat, ihrem Bezug zur Öffentlichkeit, ihre auffallende Begehungsweise oder die Prominenz der Beteiligten ergeben. Länger zurückliegende Fälle jedoch oder Fälle von Kleinkriminalität oder gar Ordnungswidrigkeiten sind sicherlich keine Vorgänge, die eine Berichterstattung erlauben. Handelt es sich um einen berichtenswerten Vorwurf, so hat der Journalist äußerst sorgfältig zu recherchieren. Ist der Vorwurf schlüssig, ist die Quelle zuverlässig, gibt es stichhaltige Anhaltspunkte für die Tat und vor allem, wurde dem Betroffenen Gelegenheit gegeben, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen?

An dieser Stelle und dies insbesondere im schnellen Geschäft des Online-Journalismus scheitert eine zulässige Verdachtsberichterstattung regelmäßig. Das Abschreiben von bereits erschienenen Artikeln ersetzt die Recherche auch nicht. Im Lichte der sich gegenüberstehenden Rechte, der Presse- und Meinungsfreiheit einerseits und das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen andererseits, hat der Journalist genau abzuwägen zwischen der Gefahr nicht wieder gut zu machender Rufschädigungen, der Qualität des Vorwurfs und der durch die Recherche gewonnenen Erkenntnis, das der Vorwurf höchstwahrscheinlich zutrifft. Kommt der Journalist zu dem Ergebnis, berichten zu dürfen, so darf der Vorwurf nicht als feststehende Tat dargestellt werden. Es muss klar gestellt werden, dass es sich um einen Verdacht handelt. Entlastende Tatsachen oder Argumente sind zu schildern. Und schließlich ist die Frage zu beantworten, ob der Verdächtigte beim Namen genannt oder identifizierbar umschrieben werden darf. Überwiegt das Interesse der Öffentlichkeit an einer Namensnennung? Besteht an der Person des Betroffenen ein besonderes Interesse? Dies wird man nur bei besonders schwerer Kriminalität, bei besonderem Bezug des Tatvorwurfs zur Öffentlichkeit oder wegen der besonderen gar öffentlichen Stellung des Verdächtigten annehmen können. Besteht kein öffentliches Interesse an der Person des Betroffenen, so ist jede Namensnennung oder Umschreibung des Betroffenen, die seine Identifizierung zulässt und sei es nur für sein soziales Umfeld, unzulässig.

Ein Journalist besitzt natürlich nicht die gleichen Möglichkeiten zur Erkenntnisgewinnung wie Ermittlungsbehörden. Wer das berechtigte Interesse der Medien, über Verdachtslagen zu berichten, seriös wahrnehmen will, sollte daher stets die Gefahr existenzgefährdender Vorverurteilungen bei sich möglicherweise als unbegründet herausstellenden Verdachtslagen vor Augen haben. Eine Zurückhaltung in der Darstellung eines Verdachts dient schließlich auch der Vermeidung einer Haftung.

(Im vierten Teil dieser Serie wird es in vier Wochen um die Verwertbarkeit von Personenaussagen gehen. .www.omg-legal.de)

Phillipp von Mettenheim