Regulierung und Verband setzen 30 Jahre Anlegerschutz auf „Reset“

 

Neuer Fonds-Performance-Standard ohne Soll/Ist-Leistungsbilanz

Die Regulierung verzichtet auf die Prognoserechnung, Der Branchenverband setzt die die Soll-/Ist-Leistungsbilanz aus. Das ist die neue „weiße Welt“ der Regulierung – und die hat nicht nur Vorteile, sondern auch Tücken. Die Anbieter nützen die neuen Chancen der Vergangenheitsbewältigung.

Über 30 Jahre hat der Anlegerschutz bei geschlossenen Immobilienfonds an der Prospektierung gearbeitet. Heraus kam in Verbindung mit paralleler Rechtsprechung der geschlossene Immobilienfonds als transparenteste und am besten prospektierteste Kapitalanlage überhaupt. Die Prognoserechnung lieferte den Maßstab für den Soll-/Ist-Vergleich. Der Anleger mit Informationsinteresse konnte sich nahezu vollständig informieren. Allein schon das Enthaftungsinteresse der Initiatoren sorgte für Perfektionsstreben. Allerdings schützt der Prospekt einer unternehmerischen Beteiligung nicht vor Markt-Unbillen, euphorischen Lemminge-Investitionen, Steuerverwerfungen oder einfacher Ignoranz von Markttransformationen. Marktzusammenbruch in den neuen Bundesländern, 15 Jahre Mietverfall und Marktumstellung in den alten Bundesländern, Crash der Schiffsmärkte nach der Finanzkrise, Steuerdesaster bei Medienfonds oder Windstille bei Windmühlen sorgten für Milliardenvernichtung von Anlegerkapital. Über 15 Jahre quittierten Initiatoren in ihren Prospekten den andauernden Preisverfall von Büroimmobilien mit Wertsteigerungsmodellen auf Inflationsbasis, die bis heute seit 20 Jahren einer statistischen Grundlage entbehren.

Erkauft wurde der Prospektierungsperfektionismus zudem mit 200-Seiten-Prospekten, die niemand mehr lesen konnte oder wollte, und Scheingenauigkeit der Prognoserechnungen. Bereits 1994 entlarvte der Autor in einem DER PLATOW BRIEF Fonds-Spezial den Prospekt als „das Spielfeld genialer Kreativität des Initiators. … Excel ist geduldig. Wir werden Ihnen gleich zeigen, daß so viele kleine Schräubchen multiplikativ miteinander verbunden sind, daß kleine Abweichungen nach oben oder unten, denen auch ein Fachmann nicht nachhaltig widersprechen kann, in der Multiplikation die ganze Geschichte als superrentabel oder völlig uninteressant erscheinen lassen können.“

In der Folge entstanden dann noch Super-Leverage Fonds, die den IRR tunten. Aktuelles Fonds-Bashing in der Wirtschafts- und Publikumspresse nutzt die Prognosen als Material für Vorwürfe nach dem Motto: „Bis zu zweistellige Renditen wurden prognostiziert. Nur 9% wurden im Niedrigzinsumfeld erreicht. Was sagt der Initiator zur katastrophalen Prognoseabweichung?“. Super-Prospektierung, Leistungsbilanz-Überinterpretation und Scheingenauigkeit schufen sicherlich nicht die beste der Anlegerschutzwelten, es ist jedoch fraglich, ob Abschaffung der Prognoserechnung und von Soll-/Ist-Vergleichen eine bessere Welt schafft.

30 Jahre Anlegerschutz waren wohl fehlerhaft – jetzt kommt die „weiße Welt“

Jetzt wurden die 30 Jahre Anlegerschutz auf „Reset“ gesetzt. Nach KAGB wird keine Prognoserechnung Geschlossener Investment-KG’s mehr verlangt. Die Initiatoren werden jetzt wohl auf die eigene Kontrollierbarkeit „verzichten“. Der Branchenverband bsi Bundesverband Sachwerte und Investmentvermögen e.V. (früher VGF) schob letzte Woche den neuen „Standard für Performance-Berichte“ nach, der den bisherigen Leistungsbilanz-Standard mit Soll-/Ist-Vergleich ersetzt. Der neue Berichtsstandard integriert die Berichterstattung über Produkte nach KAGB und VermAnlG und erweitert lt. bsi die Darstellung vom Publikums-AIF auf das Geschäft mit Spezial-AIF. Das Ergebnis sei eine breitere Datenbasis, die ein vollständiges Bild der Leistungsfähigkeit als Assetverwalter und -manager auf Ebene der KVG liefere. Basis seien die erhöhten Genehmigungs- und Berichtsanforderungen des KAGB zu Bilanzierung, Anlegeranfragen oder Bewertung bis hin zu monatlicher Berichterstattung an Verwahrstelle, BaFin oder auch Bundesbank. Das dürfte dauerhaftes doloses Handeln sehr erschweren und „Fonds nach Gutsherrenart“ mit einseitigen Vorstellungen zur Chancen-, Risiko- und Kostenverteilung ein Ende bereiten. Dieses neue Umfeld ist natürlich bei der Abschaffung tradierter Anlegerschutzstandards zu berücksichtigen.

Andererseits macht vielleicht nur der Verzicht auf die Prognoserechnung das Perpetuum Mobile aus überhöhten, nicht risikoadäquaten Immobilien-Einkaufspreisen bei sog. Core-Immobilien und hohen, kaum noch darstellbaren Regulierungs-Kosten wieder rechenbar. Gleichzeitig wird der mögliche Fonds-Klippensturz des Mietvertragsendes ausgeblendet.

Der bekannte Soll-/ist-Vergleich des Prospektes mit der Realität sei vom Gesetzgeber nicht mehr gewollt, fasst der Hauptgeschäftsführer des bsi, Eric Romba, in der PK zusammen. Als Jurist machte Romba deutlich, dass der Verzicht des Kapitalanlagegesetzbuches auf eine Prognoserechnung in der Prospektierung eine andere juristische Qualität darstelle als die frühere Gesetzeslage, die keine Prognoserechnung verlangte. Das ist Juristen-Logik. Der Autor kann sich zumindest in den letzten 30 Jahren des Anlegerschutzes nicht an ein Gesetz erinnern, dass eine ausführliche Prognoserechnung vorgeschrieben hätte. Die oft gescholtenen Initiatoren lieferten sie trotzdem und machten sich kontrollierbar. In der neuen Welt wird es das nicht mehr geben. Inwieweit der neue rechtliche Rahmen, der in Bezug auf die Freiwilligkeit der Leistung eigentlich gar nichts verändert, ein Fortschritt in Bezug auf Anlegerschutz ist, bleibt offen. Für Nicht-Juristen bleibt zudem die Frage offen, inwieweit ein Gesetz, das eine freiwillige Prognoserechnung eben nicht erwähnt, eine über Jahrzehnte verfeinerte Rechtsprechung in Bezug auf Aussagefähigkeit, Transparenz, Verständlichkeit und Praxis der Prospektierung aushebelt.

Wir wollen an dieser Stelle das neue, auch komplexe und kostenintensive Berichtswesen von Kapitalverwaltungsgesellschaften, das „Fondsgestaltung nach Gutsherrenart“ weitgehend ausschließen wird und für formale Korrektheit der Mittelverwendung sorgen wird, nicht beurteilen. Die Branche feiert auf jeden Fall den geschlossenen AIF „endlich“ auf einer Ebene mit Wertpapieren in der „weißen Welt“ der Kapitalanlage. Der neue Performance-Mindeststandard des bsi ist wohl ein echter Fortschritt – für die Initiatoren.

Und der Anleger in Geschlossene AIF sieht sich nun endlich bei seiner Kapitalanalage in einer Liga mit den Modellbaukasten-Prospektierungs-Standards (gefloppter) Lebensversicherungen, (Pleite gegangener) Immobilien Aktiengesellschaften, (hoch riskanter) Projektentwicklungs-Anleihen, (risikoerweiternder) Genussscheinkonstruktionen oder (abzuwickelnder) Offener Immobilienfonds. Glückwunsch.

Positivauslese und Konsolidierung – Möglichkeiten der Vergangenheitsbewältigung

Es bleibt darüber hinaus natürlich die Frage nach der vergangenheitsbezogenen Berichterstattung der Kapitalverwaltungsgesellschaften. Hier werden die KVG zukünftig die Performance der aufgelösten Fonds ausweisen müssen – allerdings nur der aufgelösten Fonds. Solange die Assets nicht verkauft sind, sei die Rendite nicht berechenbar. Für die Investitionsrechner des Autors wäre eine laufende Prognoseanpassung auf Basis aktueller, wahrscheinlicher Anschlussmarktmieten und angepasster realistischer Veräußerungserlöse allerdings nicht besonders schwierig, aber wahrscheinlich lästig für manche Player. Anpassungen im Rahmen einer revolvierenden Planung waren sogar schon in meiner Studienzeit Standard.

Die Renditeberechnung im neuen Performance-Standard basiert, wie ich das auch schon gelernt habe, finanzmathematisch auf den eingetretenen oder erwarteten Zahlungsströmen. Aber so einfach ist das nicht. Sofern Steuereffekte die Performance deutlich beeinflussen, kann lt. bsi Performance-Regelung die KVG auf die Berechnung auch für aufgelöste Fonds verzichten, da sie unzureichende Ergebnisse darstellen würde. Komisch, wie sich Vergangenheitsbewältigung vom Verkaufsgeschehen unterscheidet. Seit 30 Jahren ist es der Branche nie schwergefallen, Steuereffekte in Prognosen hineinzurechnen. Außerdem ist die Einbringung aller früheren Fonds in die Berichterstattung eine faktisch freiwillige Leistung, da sich bei Bedarf immer alternative Gestaltungen finden lassen.

Zombie-Fonds und Zeitbomben werkeln weiter unerkannt vor sich hin

Offen bleibt naturgemäß das Problem der Zombie-Fonds, die unter Gebührenerzielungsabsicht oder Imageängsten über 20 Jahre auch ohne Anlegerperspektiven oder sogar unter Wecken unrealistischer Anlegerhoffnungen an Lebenserhaltungssysteme angeschlossen bleiben. Das dürfte auf viele Fonds der neuen Bundesländer, die längst keinen spürbaren Eigenkapitalanteil mehr haben, ebenso zutreffen wie auf viele Schiffsfonds jüngeren Datums oder auch West-Immobilienfonds mit problematischer Anschlussmiet- oder Sanierungssituation. Insofern ist zu fragen, inwieweit die aufgelösten Fonds nicht schon automatisch eine positive Auslese des Marktes darstellen und damit in der Performanceberichterstattung irreführend sind. Hier wird die Praxis zeigen, ob tatsächlich sichergestellt werden kann, dass Kapitalverwaltungsgesellschaften realistisch über die aktuelle Situation von Zombie- und Zeitbomben Fonds mit auslaufenden Mietverträgen in aktuellen Vertriebsphasen berichten werden. Auf oberster Ebene wird die Performance auf aufgelöster Fonds dann auch noch als Durchschnittssumme Volumens gewichtet dargestellt.

Fazit: Einer der sehr renommierten Geschäftsführer von prominenten Initiatoren geschlossener Immobilienfonds resümierte einmal vor zwei Jahren auf einer Tagung des bsi, dass der Anlegerschutz nach Kapitalanlagegesetzbuch für den Anleger „für den A…“ sei. Der neue Performance-Mindeststandard des bsi detailliert diese Aussage.

Ich selber habe natürlich zwei Seelen in der Brust. Auf der einen Seite bin ich als Unternehmer Bestandteil der Branche. Für mich war der geschlossenen Immobilienfonds immer die am besten prospektierteste Kapitalanlage überhaupt, auch wenn es mir nicht gelang, den Verband zu dieser Aussage zu bewegen. Außerdem benötigt auch der Publikumsmarkt Zugang zu professionell gemanagten Sachanlagen. Dies gilt im heutigen wirtschaftlichen Rahmen der Währungsunsicherheiten und Niedrigstzinsen mehr denn je. Von daher erhoffe ich eine Renaissance der seriösen Sachanlage auch für den Publikumsanleger und begrüße die heutige Transparenz mit monatlicher Berichterstattung an die Verwahrstelle und Überprüfung der Kapitalverwaltungsgesellschaften nach annähernden Bankenmaßstäben.

Auf der anderen Seite begleite ich die verschiedenen Phasen des Anlegerschutzes in der Immobilienwirtschaft jetzt seit über 25 Jahren. Ökonomisch ahnungslose Huddelei der juristischen Wegbegleiter hat oft zu Schmunzeln oder hilflosen Kopfschütteln geführt. Jetzt tut mir der Nacken richtig weh. Erneute Scheingenauigkeit mit gestaltbarer Positivauslese führt in Verbindung mit dem jetzt gesetzlich begründeten Verzicht auf freiwillige Leistungen gegenüber früheren freiwilligen Leistungen zu inzwischen schmerzhafter Hilflosigkeit. Interessant wird die Lösung des juristischen Problems, ob das bloße Nichtnennen einer Sache in einem Gesetz die dezidierte, über Jahrzehnte gewachsene Rechtsprechung zu genau derselben Tatsache, die niemals gesetzlich erwähnt war, aushebeln kann. Das könnte für die Kapitalverwaltungsgesellschaft wieder einmal ein neues interessanteres Haftungsszenario aufzeigen.

Andererseits, was soll die Meckerei? Vielleicht wird ja das Drücken des Anlegerschutz-Reset-Knopfes Fonds zu einem Neustart geschlossener Immobilienbeteiligungen für das Publikum führen. Die Zusammenführung von Publikumswelt und institutioneller Welt ist zudem der beste praktische Anlegerschutz, wenn es gelingt, die Bevorzugung institutioneller Anleger und Interessenkonflikte zu vermeiden. Das wird aber nicht einfach, da Institutionelle naturgemäß den schnelleren Asset-Zugriff haben. Die deutliche Erschwerung dolosen Handelns und die Verhinderung von Gutsherrn-Fonds mit gleichzeitiger Jahrzehnte währender Intransparenz macht die verbleibenden Produkte und Anbieter attraktiver. Zudem muss man klar erkennen, dass die Marktveränderungen der vergangenen 20 Jahre auch unter der Ägide immer ausgefeilter Prospekte und immer detaillierter Anlegerschutz-Rechtsprechung zu Kapitalverlusten geführt haben. Die Anlegerschutz-Prospektierung hat nicht einen einzigen Skandal verhindert. Warum sollte also nicht eine sinnvolle Immobilienkapitalanlage in einem prosperierenden Marktumfeld auch bei verkürzten Prospekten nicht doch eine gute Kapitalanlage darstellen? Also freuen wir uns doch einfach auf den Neustart und warten ab, was das neue Betriebssystem uns für Überraschungen beschert.