Urbanisierungstrend gestoppt?

Aktuell verweisen zwei Forschungsinstitute anerkannte „Mega-Trends“ der Presse ins Reich der Vorurteile. Eine alte Erfahrung besagt, dass zu jedem als nachhaltig erkannten Trend sich längst ein Gegentrend manifestiert hat. In Verbindung mit einer weiteren klassischen Aussage, das jede wirklich bahnbrechende Erfindung zunächst in ihren Wirkungen völlig überschätzt wird, um dann nach Entäuschung der Euphorie völlig unterschätzt zu werden, lassen sich eine Menge richtige Voraussagen machen. Platzen der Internetblase war damit ebenso klar wie die völlige Unterschätzung der Internetfolgen. Re-Nationalisierungsbestrebungen nach dem Globalisierungs-Megatrend waren ebenso klar wie die Überbetonung der deutschen Demografie-Entwicklung zur Jahrtausendwende. Ein Land wie Deutschland wird nicht leer, sondern nur multikultureller. Aktuell sind die Megatrends unaufhaltsamer Urbanisierung, die vor 25 Jahren niemand prognostiziert hätte, und dauerhaft steigende Mieten mit zunehmender Wohnraumverteuerung Stand der Trendforschung. Arbitrage- und Marktüberlegungen werden vernachlässigt. Mieten steigen nur bis zur Belastbarkeitsgrenze. Die regelt dann auch den Urbanisierungswillen. Brisanz gewinnen die Meldungen vor dem Hintergrund gestriger ministerialer Aussagen von Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD), wegen des knappen Wohnraums in den Metropolenoffenbar das Grundgesetz zu ändern. „Markt“ bleibt ein politisches Fremdwort.

Die aktuelle Ausgabe des Wirtschafzsmagazin Capital wird diese Woche mit Bezug auf das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) melden, dass Deutsche aus teuren Städten wieder vermehrt in das günstigere Umland ziehen. Die Einwohnerzahlen in Metropolen stiegen nur noch durch Zuzug von Ausländern. Ähnliches war nach Platowerfahrungen im Berlin der frühen 90er Jahre mit Spitzenmieten für Wohnungen von 40 DM bzw. 20 Euro festzustellen. Die Mieten stürzten ab. Nach vielen persönlichen Speckgürtel-Erfahrungen drehte die Entwicklung und machte Berlin in Verbindung mit Hauptstadt-Zuzug zur Wachstumsmetropole. Jetzt ändert sich lt. DIW der Trend-Kompass erneut. Wie Capital (Ausgabe 9/2016, EVT 18. August) berichten wird, haben nach Berechnungen des DIW bereits im Jahr 2014 mehr Deutsche die sieben größten Städte des Landes verlassen, als neu hinzugezogen sind. Vorläufige Zahlen für Berlin, München und Köln bestätigen den Trend auch für das vergangene Jahr. Damit ende eine Urbanisierungswelle, die seit Ende der 90er Jahre vor allem junge Arbeitnehmer in die Metropolen gespült und dort etliche Jahre die Immobilienmärkte zusätzlich angetrieben habe. 2014 zogen erstmals wieder gut 5 000 Deutsche aus Großstädten aufs Land. 2015 könnte die Zahl nach ersten Daten des DIW noch höher ausfallen. Einen negativen Wanderungssaldo gab es in Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt, Stuttgart und Düsseldorf zuletzt Ende der 90er Jahre. Überlagert werde dieser Trend in der Statistik vom starken Zuzug ausländischer Bürger. Von ihnen wanderten 2014 rund 100 000 Menschen in die sieben größten Städte, wie DIW-Forscher Konstantin Kholodilin anhand regionaler Bevölkerungsstatistiken ermittelt habe.

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln wiederum gab diese Woche Entwarnung für den deutschen Wohnungsmarkt. Annahmen, die Mieten stiegen in Deutschland dramatisch und es herrsche ein erheblicher Mangel an bezahlbarem Wohnraum, stimmten nicht. Vielmehr seien die Mieten „in der Breite“ in Deutschland stabil geblieben oder würden relativ zum Einkommen sogar günstiger. Dies konnten Sie in den vergangenen Jahren regelmäßig auch bei Platow nachlesen. Trotz steigender Mieten in einigen Ballungsgebieten, gebe es keinen allgemeinen Mangel an bezahlbarem Wohnraum, heißt es in der Studie. Seit 2010 seien die Mieten um 10,2% gestiegen. Im selben Zeitraum hätten sich die durchschnittlichen Einkommen allerdings um 11,5% erhöht. In weiten Teilen Deutschlands werde Mieten also relativ gesehen günstiger, nicht teurer. Wer 25% seines verfügbaren Einkommens für die Miete ausgebe, bekomme durchschnittlich 94 qm Wohnfläche. Das seien 2 qm mehr als vor 6 Jahren. Selbst in München und Frankfurt können sich Mieter mit durchschnittlich 70 qm größere Wohnungen für den gleichen Anteil ihres Einkommens leisten. Am teuersten seien relativ die Studentenstädte Trier, Freiburg, Heidelberg und Würzburg mit nur 60 qm. Dies dürfte aber vor allem an den niedrigen Einkommen der Städte mit hohem Studentenanteil liegen. Allerdings verlören Gebiete und Städte, die nicht in Pendeldistanz zu den Arbeitsplätzen lägen, immer mehr Einwohner. In der Folge wchsen die großen Städte und die Mieten steigen dort. Gleichwohl gibt das IW Entwarnung. In nur etwa einem Viertel aller Kreise und kreisfreien Städte kann sich ein Durchschnittshaushalt weniger Wohnfläche leisten als vor 6 Jahren. Unter den zehn größten Städten gilt das für Berlin, Stuttgart und Dortmund. Mittelfristig rechnet das IW damit, dass sich die Situation in Deutschland auch in den gefragten Großstädten entspannen wird. Die Politik müsse daher keine neuen Programme initiieren oder die Wohnungsmärkte stärker regulieren. Die Wohnungsmärkte funktionieren, die Bautätigkeit zieht als Reaktion auf die gestiegenen Mieten spürbar an, resümiert die Studie. Vielleicht ist das für Frau Hendricks von Interesse. Allerdings dürfte es unter Bundestagswahl-Aspekten interessanter sein, parallel zur öffentlich anerkannten Meinung Probleme anzugehen, deren Lösungen sich von selbst ergeben.