Wann hört der mediale Bullshit über 30 Milliarden Euro versenkte Anlegergelder pro Jahr endlich auf?

Edmund Pelikan

 Kluge Journalistinnen und Journalisten kommentieren gekonnt derzeit (siehe Fußnote) den Kapitalmarkt von Sachwerten. Grund ist das anstehende Kleinanlegerschutzgesetz und die erwarteten Veränderungen. Es ist dabei richtig, Beteiligungen, Unternehmensanleihen und Genussrechte als riskante Anlagen zu bezeichnen. Nur nebenbei: Staatsanleihen, Aktien und offene Immobilienfonds sind dies bei detaillierter Betrachtung durchaus auch.

 Ein Fehler zieht sich aber seit 2008 durch zahlreiche dieser Berichte: angeblich sollen jährlich 30 Milliarden Euro an Anlegergelder versenkt werden. Meist wird diese Aussage noch ergänzt um den Halbsatz – vor allem durch geschlossene Fonds.

Der Unsinn entstammt einer Studie, die im Auftrag des Verbraucherschutzministeriums – damals noch unter Ilse Aigner – von der Unternehmensberatung Evers-Jung im Jahre 2008 angefertigt wurde. Diese Untersuchung war der Auftakt für die Planung einer weitreichenden Regulierung, die in das heutige KAGB und die FinVermV mündete. Der besagte Satz in der Studie hieß wörtlich: Durch diese belastete Ausgangskonstellation sind Fehlleistungen eher die Regel als die Ausnahme und auch empirisch zu belegen. Zum Beispiel werden 50 bis 80% aller Langfristanlagen mit Verlust vorzeitig abgebrochen und die gesamten Vermögensschäden auf Grund mangelhafter Finanzberatung werden auf jährlich 20 bis 30 Mrd. EUR geschätzt…. Nichts steht hier explizit von Beteiligungen oder anderen Produkten des grauen Kapitalmarktes. Vielmehr müssen hier alle Produkte in der Finanzberatung des weißen Kapitalmarktes eingeschlossen sein. Auch stellt diese Zahl insgesamt auf Fehlberatung inklusiv Lebensversicherungen, Sparverträgen, Aktien oder Bausparen ab, wobei die Studie eine finale Definition von Falschberatung schuldig bleibt.

Wie weit die Zahl an der Realität vorbeigeht, sich nur auf Sachwertfonds sich zu beziehen,  zeigt der gesunde Menschenverstand nach wenigen Vergleichen:

 Die großen bekannten Betrugs- und Insolvenzfälle der letzten Jahre und ihre jeweilige Größenordnung waren Prokon, ca. 1,4 Milliarden Euro (Genussrecht), Infinus,  ca. 400 Millionen bis eine Milliarde Euro (Orderschuldverschreibung, teilweise KWG-Lizenz), S & K, ca. 150 Millionen bis 240 Millionen Euro (Geschlossene Fonds), Wölbern Invest, ca.137 Millionen Euro (Geschlossene Fonds), Windreich, ca. 125 Millionen (Mittelstandsanleihe), Phönix, ca. 600 Millionen Euro, (Hedge-Fonds, KWG-Lizenz) oder Göttinger Gruppe, mehr als eine Milliarde Euro (atypisch stille Beteiligung). Das sind die größten Fälle der letzten 15 Jahre. Das würde pro Jahr etwa 333 Millionen Euro ergeben, immer die Höchstwerte unterstellt und auf fünf Milliarden aufgerundet.

 Eine andere Rechnung: Rund 1.500 Schiffsfonds platzierten in den letzten 25 Jahre ein Eigenkapitalvolumen von etwa 33 Milliarden Euro. Wenn nun tatsächlich 450 dieser, also rund ein Drittel der Fonds, Pleite gehen würden, stehen rund 10 Milliarden Euro im Feuer. Das ist schlimm genug. Aber es geschieht nicht in einem Jahr. Kurz: diese plakative Zahl von 30 Milliarden Euro jährlich versenkten Anlegegelder vor allem in geschlossenen Fonds ist schlicht und ergreifend FALSCH.

 Als eventuell richtig könnte diese Zahl von 30 Milliarden Euro nur angenommen werden, wenn man alle Geldverluste durch Marktbewegungen inklusiv staatlicher Schuldenschnitte wie Griechenland 2012 und die Kosten für die deutschen Steuerzahler und Privatanleger hier konsequent mit einrechnet. Jede Marktentscheidung wie die Auflösung der Schweizer Franken Bindung an den Euro löst Verluste aus. Dies ist aber grundsätzlich keine Falschberatung, da man diese Entwicklungen nicht vorhergesehen hat. Dies ist aber sicherlich nicht von den Autoren dieser Artikel gemeint.

 Man glaubt zu gerne an eine schwarz-weiße Finanzwelt, und dort sind nun mal Staatsanleihen und Bankguthaben sicher und Aktien, Beteiligungen und Genussrechte hochriskant. So einfach ist die globale Welt der Hochfinanz leider nicht. Selbst EZB-Chef Mario Draghi wird im Handelsblatt am 12. März 2015 unter der Rubrik „Wort des Tages“ wie folgt zitiert: „Wir sind uns bewusst, dass mit unseren Maßnahmen einige Risiken für die Finanzstabilität verbunden sein könnten.“ Für die Allgemeinheit übersetzt heißt das: Nichts ist sicher!

 Mehr Informationen zu diesem Artikel:

Statement zu den Berichten von Nadine Oberhuber aus Capital am 23. März 2015 „Selbstschutz für Anleger“ https://www.capital.de/investment/selbstschutz-fuer-anleger-4144.html und Gertrud Hussla Leitartikel aus dem Handelsblatt am 12. März 2015 „Zweifelhaftes Geschenk“

 Hier auch der Link zur Studie Evers-Jung aus 2008 auf der Seite des BMEL https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Verbraucherschutz/FinanzenVersicherungen/StudieFinanzvermittler.pdf?__blob=publicationFile