Was ist Digitalisierung in der Immobilienwirtschaft?

Garantiert kein PropTech sondern Geodaten und Co.

Dr. Thomas Beyerle

Was ist was?

Die Erwartungshaltung in der Wirtschaft rund um die „Digitalisierung“ nimmt mittlerweile inflationäre Züge an. Auch die Immobilienwirtschaft durchläuft diesen Hype-Zyklus. Sicherlich wird eine Vielzahl von Technologien auch in der Branche die Phase der Produktivität erreichen. Doch aktuell wird durch die stetige Betonung der Wichtigkeit des Themas Digitalisierung auch immer offensichtlicher, dass sich danach bzw. davor ein Ozean an „doch wie machen wir das jetzt“? aufbaut. Wichtig ist es deshalb die maßgeblichen Triebkräfte der digitalen Transformation zu identifizieren.

 

Obwohl nahezu jeder den Begriff im Sinne der Bits und Bytes irgendwie gebraucht, beschreibt der Begriff Digitalisierung letztlich einen Prozess – und eben kein Produkt – der gemeinhin die Veränderungen von Objekten und Ereignissen zur Folge hat, die aufgrund einer zunehmenden Nutzung digitaler Impulse erfolgt. Klar ist an dieser Stelle auch, dass bei rationaler Betrachtung kein Endpunkt erreicht werden kann, gemäß dem Motto „mission accomplished“.

 

Prozesse, nicht Produkt

 

War „Big Data“ bis vor wenigen Jahren nur einem kleinen Zirkel von IT Spezialisten bekannt, sind in der Folge die positiven Sichtweisen geradezu explodiert. Kaum war der kleine Bruder „Data Mining“ en vogue, jubelten Marktanalysten über die Aussage dass „Daten der Rohstoff des 21. Jahrhunderts“ seien – endlich fand ihr Mantra auch von außen Bestätigung. Vorläufiger Höhepunkt in dieser Zukunftserwartung ist das Zauberwort „Künstliche Intelligenz“ bzw. „Predictive Analytics“. Es geht hier um nichts weniger als die stabile Prognose der Zukunft auf Basis lernender Maschinen. Wenn dann noch Bücher wie z.B. „Super Forecasting“ monatelag die Hitlisten der Wirtschaftsbücher anführen, bedarf es nur noch der „denkenden Maschinen“ dann herrscht die Überzeugung vor den Stein der Weisen gefunden zu haben. Die Daten machen dies vermeintlich möglich. Und wenn Big Data das nicht hergibt, dann wird es „Small Data“ aber sicherlich tun. Obwohl ein nüchterner Blick jenseits des Hypes zeigt, dass wir zwar dann jede Menge Daten haben, aber kaum ein Mehr an Informationen.

 

Die ersten Abwendungen der Entrepeneure

 

Wer kann nicht behaupten, dass er in den letzten beiden Jahren etliche Präsentationen, Aussagen oder gar Seminare zur Digitalisierung erlebt hat? Und danach dynamisierter aber auch verwirrter rauskam als er hineingegangen war. Da war dann in bestem Sprech die Rede von Information als Rohstoff, Risikoreduktion, Prognosesicherheit, gezielter Kundenansprache, Individualität, Schwarmverhalten und zuletzt gar von der Weltrevolution durch Algorithmen. Doch das Konkrete – sieht man von Start-ups der Prägung „-Tech“ einmal ab – war irgendwie noch nicht greifbar. Zwar reden auch die allermeisten Immobilienunternehmen über die fantastischen Möglichkeiten, doch auch weiterhin lässt sich in der Tendenz ein kollektives Herumirren nach dem richtigen Weg in Zeiten der Digitalisierung diagnostizieren. Obwohl jeder dem einzelnen Datensatz, sofern er ihn erkennt, einen Wert als solchen zuspricht.

 

Interessanterweise scheint es aber eine Korrelation zu geben zwischen Immobilienunternehmen mit eigenen Researchbereichen und solchen ohne – gerade in Bezug auf das Verständnis von Daten(werten). Einfacher formuliert: dort wo bereits Daten anfallen und veredelt werden bei der Dienstleistungserstellung – vulgo Marktanalyse basierend auf Datenbanken – lässt sich eine hohe Bereitschaft erkennen diese in den Produktionsprozess einzubeziehen und ökonomisch zu veredeln. Zu nennen sind dabei – sicherlich verallgemeinert – die großen Maklerunternehmen, Immobiliensachverständige bzw. Wertermittler und – mit Abstrichen – international agierende Immobilieninvestoren. So vermeintlich differenziert dies auch auf den ersten Blick scheinen mag, so vielschichtig sind dann aber auch die Anwendungsebenen: Mietpreisprognosen, Preis- und Risikomodelle sind bisher die greifbaren Ergebnisse dessen, was aktuell als state-of-the-art zum Thema „Big Data“ in Deutschland gelten darf.

 

Scharnier zur Immobilienwirtschaft: die Geodaten

 

Die DNA der Immobilienwirtschaft ist das Produkt „Immobilie“ und das hat eine eindeutige Position auf der Erdoberfläche. Weniger geografisch formuliert: jede Immobilie hat mindestens zwei Ebenen durch welche eine Wertzuweisung erfolgt: den Standort und die Lage. Während die Lage eine zumeist subjektive Wertzuweisung durch Marktkräfte ist („gute Lagen korrelieren mit hohen Werten“), aber gleichzeitig einem nur mittelbaren Standardisierungsverfahren unterliegt, ist der Standort durch seine geografischen Koordinaten (Kugelkoordinaten, mit denen sich die Lage eines Punktes auf der Erde beschreiben lässt) von einer Einmaligkeit geprägt. Genau an dieser Stelle und durch diese Sichtweise setzt die Big und Small Data Diskussion an. Geoinformationen stellen quasi per Definition den Rahmen aller daraus abgleitenden Aussagen zur Immobilien dar.

 

Am Beispiel der Arbeit von Wertermittlern wird dies vereinfacht deutlich: Die Anwendung von Geoinformationen in der Immobilienbranche, besonders im Bereich der Immobilienbewertung, ist bereits heutzutage nicht mehr wegzudenken. Für die Bewertung ist der Standort einer Immobilie ein entscheidender Parameter für den Marktwert und die Nutzungsmöglichkeit des Objektes. Doch erst die Anzahl der bewertenden Immobilien an unterschiedlichen Standorten (Big oder Small) bringt eine signifikante Marktbewertung mit sich. Der Immobiliensachverständige muss z.B. auf Grund der großen Nachfrage immer mehr Immobilien in einem immer strafferen Zeitrahmen bewerten. Dieser Bewertungsprozess wird durch die Anwendung von georeferenzierten Marktdaten (GIS geografische Informationssysteme) erleichtert und beschleunigt, zeigt aber auch auf, dass in dynamischen Marktzeiten eine exaktere Marktbewertung erfolgen kann als in Zeiten von wenigen Nachfragern bzw. Transaktionen.

 

Die heute bereits verfügbaren Geoinformationssysteme ermöglichen, dass immobilienspezifische Geodaten digital erfasst und bearbeitet, gespeichert und verwaltet, analysiert und recherchiert sowie visualisiert werden. Exakt das ist die Auffassung und Definition dessen was als Digitalisierung bzw. Big Data und Analytics in der Branche aktuell die Basis darstellt.

 

Fazit:

Aktuell kann zu Big Data vs. Small Data jede Lösung gezählt werden,

  • mit deren Hilfe sich aussagekräftige Muster und Abhängigkeiten in Datenbeständen identifizieren lassen,
  • und auf diese Weise mögliche zukünftige Ereignisse vorhersagen sowie potenzielle Handlungsmöglichkeiten bewerten lassen.

 

In die Analyse können dabei auch sog. unstrukturierte Daten zum Beispiel aus sozialen Netzwerken einbezogen werden, wie es exemplarisch bei den „berühmten“ Passantenfrequenzzählungen Anwendung finden. Noch stehen der Marktreife bisher Fragen des Datenschutzes gegenüber; das „Zählen per Hand in der Fußgängerzone“ verdeutlicht den Status Quo und das Rückwärtsgewandte dieser Vorgehensweise obwohl eine neue Technik vorliegt.

 

Die Entstehung von Small Data Lösungen in der Immobilienwirtschaft wird in erster Linie auf das rasche Wachstum der Datenmengen in Unternehmen, den Objekten und durch „das Internet der Dinge“ zurückzuführen sein. Von daher überrascht es nicht, dass der Finanz- und Konsumgütersektor, der seit Langem mit großen Datenvolumen arbeiten, und die ersten Ansätze schon vor mehr als 20 Jahren einführten. Die Immobilienwirtschaftlich ist von einem einheitlichen Standardisierungsgerüst allerdings noch weit weg.

 

Allerdings: diese kurzfristige schnelle Entwicklung lässt die Vermutung nahelegen, dass sich dieser Big Data – Small Data Hype auch bald wieder legen kann. Doch die Technologien, vor allem aber die Fähigkeit gigantische Datenmengen zu verknüpfen verdeutlicht dem Strategen und Weitsichtigen, dass sich durch die Verknüpfung der Elemente Daten, Raum/Immobilie und der Echtzeitdarstellung erstmalig eine reale in der virtuellen Welt und umgekehrt abbilden lässt. Eine perfekte Symbiose gerade für Developer, Städteplaner oder ShoppingCenter Betreiber und Investoren mit sog. Landmark Buildings.

 

Gleichwohl bedarf es eines völlig neuen Verständnisses von Datenerfassung, Datenqualität und der Ableitung von Algorithmen. Hier ist die Immobilienbranche per se sicher etwas zurückhaltend. Der Fokus von der Hardware der Gebäude muss sich zwingend eine Erweiterung finden auf die Software der Immobilien. Derjenige welcher die Daten(Punkte) hat, bestimmt scheinbar die zukünftige Frequenz in Räumen, auf Plätzen und Immobilien und entscheidet damit über den (Markt)Wert von Raum und Objekt.