Wenn Aktien unattraktiver sind als Lotto!

Edmund Pelikan

 

Allein wenn man auf die Quote sieht, wird man stutzig: Nur etwas über vier Prozent der Anleger werden in Deutschland als Aktionäre geführt. Wenn man die relevante Zielgruppe auf die über 14-Jährigen verkleinert sind es immerhin schon über sieben Prozent. Und wie viele Deutsche spielen Lotto (erlaubt ab 18 Jahren)? Nahezu jeder Dritte, also fast 33 Prozent. Letzteres bestätigen eine Zahl der Forschungsstelle Glückspiel der Universität Mannheim und Prognosen von Marktforschungsinstituten im Auftrag des Deutschen Lottoverbandes aus 2011.

 

Das muss man sich auf der Zunge einmal zergehen lassen. Eine Eintrittswahrscheinlichkeit von 1 zu knapp 140 Millionen wird hingenommen, da ein Millionengewinn winkt. Und Aktien werden als riskant angesehen. Lassen Sie mich das bildlich darstellen: Wir lassen wie bei einem Kinderwettbewerb irgendwo in Russland einen Luftballon mit einer Karte daran in die Luft steigen. Die Versuchsanordnung ist so, dass der Luftballon überall in Russland (mit seinen 146 Millionen Einwohnern) mit gleicher Wahrscheinlichkeit laden wird, also der „ideale Markt“. In einem Datenprogramm sind alle Telefonnummern Russlands gespeichert, und mit einem Zufallsgenerator wird nun eine Nummer ausgewählt. Sie rufen diese Telefonnummer – natürlich mit perfekten Russisch – an. Wenn nun an dieser Nummer die Person in Russland dran ist, die Ihre Karte des Luftballons gefunden hat, wäre das in etwa so wie der Gewinn eines Sechsers mit Superzahl beim Spiel 6 aus 49. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Spieler sein Geld komplett verliert, liegt den Statistikern zufolge bei sage und schreibe 97 Prozent. Trotzdem investiert der durchschnittliche Lottospieler 450 Euro jedes Jahr in die Geldvernichtungsmaschine Lotto – mit staatlichem Plazet. Und Aktienanlagen werden als zu riskant abgelehnt.

 

Die Verhaltensökonomen Tobias Regele und Martin Weber von der Universität Mannheim nahmen sich dieses paradoxen Anlegerverhaltens an. Sie fanden heraus, dass sich der typische Anleger nicht von einer geringeren Schwankungsbreite bzw. Volatilität, also einem geringeren Risiken leiten lässt, sondern von einem höheren Erwartungswert. Und der richtet sich auch an der Chance nach dem höheren Gewinn aus. Und das auch, wenn die Verteilung von Chancen und Risiko sehr ungleich sind wie beim Lotto. Die Finanzwissenschaftler bezeichnen das als „Schiefe“. Sie unterscheiden dabei positive und negative Schiefe. Positive Schiefe besteht, wenn es eine geringe Wahrscheinlichkeit für einen sehr großen Gewinn und eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen kleinen Verlust gibt. Bei negativer Schiefe ist es eher unwahrscheinlich, etwas zu verlieren, dafür aber wäre der Verlust sehr groß.

 

„Menschen haben eine starke Präferenz für positive Schiefe“, schreiben die Forscher und erklären damit die Teilnahme an Glücksspielen und Lotterien mit geringen Aussichten auf fantastisch hohe Gewinne. Daher erscheint der wenig wahrscheinliche höhere Verlust aus dem Investment bedrohlicher als der nahezu sichere kleine Verlust aus dem Lottospiel.

 

Übrigens: Wenn der Lottospieler seine 450 Euro Jahr für Jahr in einen Aktiensparplan 40 Jahre lang mit nur 4 Prozent jährlicher thesaurierender Verzinsung anlegen würde, würden über 44.000 Euro herauskommen. Und so ein „Lottogewinn“ wäre sogar wahrscheinlich.