Wohnen in Hamburg: Wohnungsbauoffensive des Senats ist gescheitert

Mieten ziehen auf breiter Front an 

Der Hamburger Senat hat derzeit eine denkbar schlechte Presse. Die Kosten für das Prestigeprojekt Elbphilharmonie laufen aus dem Ruder, die Schulreform kommt nicht voran, gegen die steigenden Kinderbetreuungskosten läuft die ganze Stadt Sturm. Und kürzlich hat die SPD-Opposition die vollmundig angekündigte Senatsoffensive zum Wohnungsneubau als „Fehlschlag auf der ganzen Linie“ bezeichnet. Angekündigt war, Investitionen in den Wohnungsbau durch den Verkauf städtischer Grundstücke in drei Schritten massiv anzukurbeln, um der Knappheit im Hamburger Stadtgebiet zu begegnen. Als Ergebnis einer kleinen Anfrage des SPD-Abgeordneten Andy Grote stellt sich heraus, dass von den insgesamt 2.000 Wohnungen, die allein in den ersten beiden sogenannten Wohnungsbauoffensiven 2006 und 2008 geschaffen werden sollten, bis heute nur 132 fertiggestellt worden sind. Die Wohnungsbauoffensive 2009, über die ebenfalls Grundstücke für 1.000 Wohnungen zur Verfügung gestellt werden sollten, ist bis heute nicht gestartet. Von den 28 Grundstücken der zweiten Wohnungsbauoffensive 2008 sind erst vier verkauft worden. Von den 1.000 dort geplanten Wohnungen sind erst 22 im Bau, fertig ist noch keine.

Am Flächenpotential liege es nicht, entgegnet die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, es hapere daran, dass auf diesen Flächen nicht gebaut werde. Immerhin bekommt die Stadt daraufhin nach acht Jahren wieder einen Wohnungsbaukoordinator, der dafür sorgen soll, dass Grundstücke schneller identifiziert und Verfahren schneller voran gehen. 

Die Hafencity im Profil II - Hamburgs Zukunft

Die Hafencity im Profil II - Hamburgs Zukunft

Auch die städtische Wohnungsbaugesellschaft Saga ist in der Kritik. Hamburgs größter Bestandshalter hatte angekündigt, bis Ende 2012 etwa 1.230 neue Wohnungen errichten zu wollen, möglichst im Passivhaus-Standard. In der Praxis hat es die Saga im vergangenen Jahr gerade einmal geschafft, 122 Wohnungen fertig zustellen. Baugenehmigungen wurden nur für 37 Wohnungen erstellt. Der Gesamtwohnungsbestand des gemeinnützigen Unternehmens  geht durch Verkäufe weiter zurück, genauso wie der Bestand an Sozialwohnungen.

Für den Hamburger Wohnungsmarkt sind die Folgen übel. Bezahlbare Wohnungen, insbesondere für Familien, sind im Stadtgebiet kaum mehr zu bekommen. Die Mieten im frei finanzierten Wohnungsbau ziehen in allen Lagen an. Empirica hatte 2009 in einer Erhebung eine Steigerung der Durchschnittsmieten im Geschosswohnungsbau von bis zu 11% gegenüber dem Vorjahr ermittelt. Damit habe Hamburg bei der Untersuchung der deutschen Großstädte den größten Sprung im Ranking gemacht. „Hamburg ist auf dem Weg in eine Wohnungsbaukrise“, sagt der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Andy Grote. Unbeeindruckt von der Finanz- und Wirtschaftskrise befindet sich der Wohnimmobilienmarkt weiter im Aufwärtstrend, bestätigt der gerade erschienene Marktbericht von Jones Lang LaSalle.

In Eppendorf, den Wohngegenden rund um die Alster und an der (citynahen) Elbe haben sich Mieter an Preise deutlich über 10 Euro gewöhnt, in den bevorzugten Alsterlagen werden Mieten von 15 Euro verlangt und bezahlt. Bei herausregenden Objekten und Lagen erreicht der Quadratmeterpreis bis 25 Euro. Selbst die wenig prestigeträchtigen Wohnlagen sind teuer geworden, sofern sie einigermaßen stadtnah liegen. Spürbar wird dies vor allem in den bisher als preiswert geltenden Altbaulagen von Altona, Bahrenfeld, Ottensen und im Schanzenviertel. Hier sind die Preise in den vergangenen Jahren explodiert. 10 Euro netto kalt werden inzwischen auch in diesen keineswegs feinen Gegenden verlangt, ein WG-Zimmer ist kaum noch unter 450 Euro zu bekommen. Preiswerter ist es nur in den wenig beliebten Randlagen wie Billstedt, Wilhelmsburg, Harburg, Lurup und Eidelstedt.

Auffällig ist aber vor allem der ungebremste Anstieg im Luxussegment. So erreichen die Quadratmetermieten beispielsweise in der Hafencity mit in der Spitze bis zu 25 Euro netto kalt pro Quadratmeter ein Niveau, wie man es bis nur aus den gewerblichen Märkten kennt. Aber selbst wenn man auf die Penthouse-Wohnung mit „Blick“ verzichtet – auch „normale“ Mietwohnungen kosten in der Hafencity 16 bis 18 Euro pro Quadratmeter, heißt es im Marktbericht von Grossmann & Berger. In der Hafencity ist keine (Eigentums-) Wohnung trotz Preisen deutlich über 6.000 Euro pro Quadratmeter lange im Angebot. Dass die Nachfrage nach Luxusimmobilien in der Hansestadt groß ist und Kunden sich auch nicht von Quadratmeterpreisen von bis zu 15.000 Euro abschrecken lassen, bestätigt Kai Enders von Engel & Völkers, die sich bevorzugt im obersten Segment tummeln.

Investoren reagieren darauf. „Vor allem im Bereich des Premium-Segments entsteht ein Wohnungsangebot, das es in den vergangenen Jahren in dieser Größenordnung und Preislage noch nicht gegeben hat“, bestätigt eine Studie von BulwienGesa. Von den sich im Bau befindlichen 929 Wohnprojekten mit einer Gesamtwohnfläche von rund 95.000 Quadratmetern liegt mehr als die Hälfte in teuren citynahen Stadtteilen.

Der Trend auf die Konzentration neuer Projekte auf den hochwertigen Wohnungsbau sei problematisch, bestätigt Jones Lang LaSalle. Nur eine bestimmte Klientel profitiere von innerstädtischen Wohnbauprojekten, während finanziell und sozial benachteiligte Bevölkerungsschichten in die Vorstädte verdrängt werden, sagt Stefan Mergen, Leiter Residential Valuation Advisory bei Jones Lang LaSalle Deutschland.

Zu den prominenten Beispielen gehören die teilweise von Karl Lagerfeld gestalteten  „Sophienterrassen“, ein Ensemble aus Villen und Luxuswohnungen in bester Innenstadtlage an der Hamburger Außenalster, die sich allerdings nicht so gut verkaufen wie erhofft. Nach langem Stillstand ist nun Baubeginn, verspricht Uwe Schmitz, Vorstandsvorsitzender der Frankonia Eurobau AG. Angeblich sind Wohnungen für 25 Mio. Euro verkauft, damit sei die Finanzierung gesichert. 340 Millionen Euro investiert die Frankonia Eurobau mit ihren Partnern Provinzial Nordwest und SV Sparkassen-Versicherung in das Großprojekt. Käufer müssen für die noble Lage mit Alsterblick zwischen 6.500 und 15.000 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche bezahlen – neben dem Marco-Polo Tower in der Hafencity sind das die teuersten Wohnungen in der Hansestadt.

Auch die 63 Luxuswohnungen auf dem Nachbargrundstück, Projektname Harvestehuder Weg 36, die die Kölner Vivacon AG für 75 Mio. Euro bauen wollte, starten verzögert. Hier hätte schon vor einem Jahr Baubeginn sein sollen. Die finanziell angeschlagene Vivacon verkaufte das Vorhaben im Sommer 2009 an die Schweizer Peach Property, die das Projekt erst starten will, wenn etwa 40% der Wohnungen verkauft sind und damit die Finanzierung gesichert ist. In den nächsten drei Monaten soll es soweit sein, sagte Peach-Property-Chef Thomas Wolfensberger. Dem Normalverdiener dürften Entwicklungen im Luxussegment ziemlich gleichgültig sein.

Spürbar wird für ihn der Preisauftrieb bei „normalen Wohnungen“. Grund dafür ist die mit der geringen Bautätigkeit verbundene Wohnungsverknappung. Überalterung und Einwohnerschwund in ländlichen Regionen stehen zudem einer erheblichen Zuwanderung in Ballungsräume sowie einem Trend zum innerstädtischen Wohnen gegenüber. Das übe in Hamburg einen erheblichen Druck auf die Märkte aus, heißt es im Marktbericht von Jones Lang LaSalle.

Langfristig liegt die Preissteigerung im Mietmarkt auch in einem Nachfrageüberhang aufgrund der steigenden Flächennachfrage begründet, so eine Expertise der HypoVereinsbank. Empirica schätzt, dass die Wohnfläche pro Kopf bis zum Jahr 2030 jährlich um 0,4 bis 0,8 Quadratmeter steigt. Über 40% der 800.000 Haushalte in Hamburg sind bereits Singlehaushalte.

Während in Hamburg die Bevölkerung seit 1998 langsam aber stetig ansteigt, weist der Wohnungsneubau ebenso kontinuierlich nach unten. Wurden 1998 noch 6846 Einheiten fertiggestellt, waren es 2007 nur noch 2899. Seitdem geht es weiter bergab, 2009 soll ein Rekordtief erreicht worden sein. Die zu geringe Bautätigkeit betrifft neben Miet- auch Eigentumswohnungen sowie Ein- bis Zweifamilienhäuser.

2010 sollen die Fertigstellungszahlen wieder ansteigen. Die private und unternehmerische Wohnungswirtschaft will in diesem Jahr 3100 Wohnungen in Hamburg bauen, kündigte der BFW auf seinem Verbandstag an. Und die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt hat angekündigt, ihr Programm um 20 Prozent auf 1.200 Wohnungen aufzustocken. 

Selbst wenn die Ankündigungen erfüllt werden – den zusätzlichen Baubedarf schätzt die Behörde für Stadtentwicklung aber auf 5.000 bis 6.000 Wohneinheiten jährlich. Bis 2020 werden mindestens 30.000 bis 40.000 Wohneinheiten benötigt. „Abgesehen davon, dass Grundstücke knapp, teuer und im Stadtstaat nicht vermehrbar sind, kommen wir nicht gegen die Nachfrage an, sagt Saga-Chef Lutz Basse. „Sie konzentriert sich auf die trendigen Stadtteile, wo alle hin wollen, auch die mobilen Älteren. Stadtteile die teuer werden, müssen  substituiert werden“.

Die Bau und Immobilienwirtschaft sieht auf viele Ballungsräume einen dramatischen Wohnungsmangel zukommen. Das Aufeinandertreffen von fehlenden Wohnungen, steigenden Mieten und sinkenden Einkommen bedrohe die wirtschaftliche Existenz von Familien, Singles und Rentnern, ist ein Fazit der kürzlich vorgestellten Studie „Wohnungsmangel in Deutschland – Auswirkungen und Ansätze zur Überwindung“ der Prognos AG. Die Studie geht für 2025 von einer Wohnungsbaulücke in rund drei Vierteln der Regionen Deutschlands aus.

Die wohnungswirtschaftlichen Verbände fordern von der Politik eine Anhebung der Abschreibungssätze und die Aufstockung von Kfw-Fördermitteln. „Die sozialen Spannungen mit allen negativen Folgen wie Ghettobildung und Kriminalität sind programmiert, wenn die Bundesregierung den Wohnungsbau nicht ankurbelt“, warnt beispielsweise Dr. Franz-Georg Rips, Präsident des Deutschen Mieterbundes auf dem Forum Wohnungsbau, dem jährlichen Treffen der Branche in Berlin. Sozialer Wohnungsbau finde bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr statt.

Gestiegene Baukosten, verschleppte Baugenehmigungsverfahren, kostentreibende Anforderungen und die Finanzmarktkrise gestalten den Wohnungsbau in Hamburg zum Krisenthema, beschreibt Andreas Ibel, Vorsitzender des BFW Nord die Situation. Die Baukostenerhöhung entstehe im wesentlichen durch die steigenden Grundstückspreise und durch die jedes Jahr neuen bautechnischen Ansprüche für den Wohnungsbau. Allein die Anforderungen aus der EnEV 2009 gestalten das Bauen um rund 150 Euro pro Quadratmeter teurer, so Ibel auf dem Verbandstag des BFW.