Miet-Märkte differenzieren sich aus – Spitze steigt, Mitte konsolidiert, Schwäche stirbt
Die neue Positiv-Story der Branchenerwartungen sinkender Zinsen, sinkender Baukosten, fallenden Neubaus, sinkender Regulierung, steigender Miet- und Investment-Nachfrage und steigender Transaktionen besticht (vgl. Editorial und Bulwiengesa-Prognose S. X) Sie kann durch die aktuelle europäische JLL-Büroimmobilienuhr für das hochwertige Bürosegment nicht widerlegt werden. Aber alles hängt vom Zins und der Bereitschaft und Möglichkeit personeller Expansion in Deutschland ab.
Auf die Zins- und Kostenkrise folgt die Immobilienkrise. Das ist Prognose. Die Research-Statistik zeigt Vergangenheit oder bestenfalls Gegenwart. Ebenso wie die Zinsmathematik, die wir Ihnen schon im Herbst 2022 ausrechneten, erst mit Zeitverzögerung von über einem Jahr zum brutalsten Abbruch des Prime Office Bewertungsindikators Victor der deutschen Industrialisierungs- und Tertiärisierungsgeschichte geführt hat (vgl. „Der Immobilienbrief“ Nr. 563 v. 9.11.23, S. 3), steht der Büromarkt für „Der Immobilienbrief“ erst am Anfang mehrerer Wellen. Erst, wenn diese Wellen auf der Nutzerseite ankommen und durch einen vorhergehenden Bauboom die Angebots-/Nachfragerelation verschoben wird, setzt die Immobilienkrise ein, die deutlich langfristiger ist. Hier steht im Moment noch die Hoffnung der Immobilienbranche, die sich vielleicht selbst befeuert, vor. Aktuell ist bis auf Konjunkturunsicherheit noch nichts im Immobilienmarkt angekommen. Die hohe Wohnungsnachfrage plausibilisiert auch medial die Bürohoffnungen.
Bedenken Sie aber: Es besteht die ernste Gefahr, dass die aktuelle Zins- und Kostenkrise bei Büroimmobilien erst der Anfang aufeinander folgender Wellen ist, die Ihnen „Der Immobilienbrief“ schon mehrfasch herausarbeitete. Die erste Phase einer Zins- und Kostenkrise hat Auswirkungen zunächst auf Bewertungen und Anschlussfinanzierungsrisiken mit dem Opferschwerpunkt in der Projektentwicklung. Das ist nach „Der Immobilienbrief“-Erfahrung noch keine Immobilienkrise, in der es zu Verwerfungen der Angebots- und Nutzerrelationen kommt. Die Frage ist, ob auf die Zins- und Kostenkrise eine Immobilienkrise folgt. Für „Der Immobilienbrief“ scheint das hoch wahrscheinlich, wenn nicht gar unausweichlich: Der Konjunkturzyklus wirkt mit Verzögerung. + + + Verstärkte ESG-Anforderungen wirken auf die Nachfrage und auf Bewertungen, Kosten und Risiken im Angebot. + + + Die tatsächliche Homeoffice-Entwicklung wird sich erst im Laufe der nächsten Jahre im Zusammenspiel auslaufender Mietverträge, flexibler Arbeitsplätze und rückkehrender Präsenzwünsche der Arbeitgeber zeigen. Der ZIA spricht von einer Büro-Schrumpfungserwartung von 20%. „Der Immobilienbrief“ bleibt bei seiner alten Schätzung, dass lediglich 10% des Gesamtbürobestandes durch Homeoffice obsolet wird. + + + Offen ist noch völlig die qualitative und quantitative KI-Auswirkung auf Büro und der Zeitpunkt, an dem die Mieter das bei ihren Anmietungsentscheidungen berücksichtigen. Da liest man die Bandbreite zwischen „50 bis 60% der Präsenzarbeitsplätze werden ersetzt“ bis zu „KI schafft Arbeitsplätze“. + + + Als größte Gefahr, das machte auch die Handelsblatt-Tagung vergangener Woche deutlich, wird die Verschlechterung relativer deutscher Wettbewerbs- und Standortqualität gesehen. Die vielen großen „D’s“ wie Demographie, Deglobalisierung, Digitalisierung, Dekarbonisierung mit Deindustrialisierung und Demobilisierung, Defense mit Verteidigungssonderschulden, Defizite der Staaten, Demontage von Infrastruktur und Bildung und vieles mehr, stellen die nächste große Welle dar. KI kann zum neuen Gamechanger werden. Da es kaum Zweifel am Eintreffen der großen, nachfragerelevanten Wellen geben kann, scheint aus „Der Immobilienbrief“-Sicht im Gefolge der Zins- und Kostenkrise der Weg in die Immobilienkrise auch mit Mietauswirkungen sehr wahrscheinlich, da ja auch Bundesbank und EZB weder Inflations- noch Zinsentwarnung geben.
Die Branche zeigt sich nach wie vor eher optimistisch. Das macht auch die JLL Immobilienuhr europäischer Büroimmobilienmärkte deutlich. Bis auf Helsinki befinden sich alle europäischen Märkte vor oder kurz hinter dem zyklischen Höhepunkt. Der verlangsamten Mietsteigerung folgt zyklisch ein schneller Mietrückgang. Vor dem Hintergrund sich ändernder Ausdifferenzierung und des knappen Spitzensegments, das sich weniger in Portfolien als mehr im Bau befindet, kann sich der Spitzenmietindex durchaus hochhalten, während die anderen Mietsegmente abschmieren. Aktuell betont JLL nach wie vor, dass Europas Spitzenmieten von der Nachfrageschwäche unbeeindruckt bleiben. Das bedarf aus „Der Immobilienbrief“-Sicht insoweit einer Relativierung, als Knappheit und steigende Mieten nur noch ein kleines Segment neuer Gebäude an Topstandorten mit New Work Qualität betrifft. A-Lagen mit klassischem Flächenzuschnitt differenzieren sich schon nach unten aus. Schwächere Qualitäten und Lagen spiegeln bereits die Nachfrageschwäche. JLL bestätigt, dass Vermietungsquoten und die Mietentwicklung lediglich für erstklassige Büroflächen positiv blieben. Flächen minderer Qualität leiden. Mietsteigerungen konnten im Q3 in 12 von 23 Indexmärkten verzeichnet werden. Dazu zählen Düsseldorf (+5,3% im Vergleich zum Vorquartal), London (+3,8%), Rotterdam (+3,8%), Utrecht (+3,4%) und Brüssel (+3,0%).
In den fünf großen deutschen Büromärkten ging der Flächenumsatz im Q3 mit 526 000 qm um 33% gegenüber Q3 2022 zurück. Mit Blick auf die Spitzenmieten stieg der Europäische Büromietindex im Q3 2023 um +1,5% im Vergleich zum Vorquartal und um +5,4% im Jahresvergleich. Allerdings wurden im Q3 mit insgesamt 2,1 Mio. qm 14% weniger als im Vorjahreszeitraum, 20% weniger als in den vergleichbaren drei Quartalen und 13% unter dem Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre für das dritte Quartal vermietet. Die Leerstandsquote für Büroflächen in Europa stiegt leicht von 7,6% im Q2 2023 auf 7,7% im Q3 2023. Insgesamt wurden im Q3 lediglich 826 000 qm Büros fertiggestellt. Das sei das niedrigste Volumen seit 2019. ■