Was ist Krise?

Rohmert’s (echtes) Erfahrungspotpourri

Die meisten heutigen Immobilienmatadore können sich doch gar nicht mehr erinnern, was eine echte Nutzer-Immobilienkrise ist. Uns erreichen eine Vielzahl von Berichten zu den Corona-Folgen Jetzt sinkt die Stimmung weltweit Ich frage mich, woher die das wissen. Durchhalteparolen für die Ahnungslosen bringen bei der Immobilie weniger als am Aktienmarkt. Manchmal nervt es, von Marktteilnehmern, die seit 13 Jahren von der Flut gehoben werden, und die meist nur ihr Boot schwimmfähig halten mussten, mitgeteilt zu bekommen, was bei Ebbe alles freigelegt wird. Das wiederum ist immobilientypisch eine der drei möglichen Antworten in den jeweiligen Phasen des Zyklus: 1. Es geht schon solange gut, dass es keinen Grund gibt, warum sich das ändern sollte. 2. Die Krise ist da, aber sie wird nicht schlimm, da die Ausgangslage gut ist. 3. Der Abschwung dauert jetzt schon so lange, dass der Talboden sicher erreicht ist. Ich gebe zu, ich selber habe keine Ahnung mehr. Ich habe das noch nicht erlebt. Aber, was ich erlebt habe, sind echte Nutzerkrisen. Hier ein Potpourri meiner eigenen Erlebnisse.

Vorab, ich habe keine Ahnung, ob ein Nutzer-Krisenszenario bei Büro oder Industrie wirklich eintritt. Gefühlt bleibe ich optimistisch locker. Nachdenken macht mich aber nicht glücklich. Die echte Krise kommt dann nämlich erst nächstes Jahr. Interessanter ist aber, was eine Nutzerkrise wirklich bewirkt.

Was ist Krise denn in der Realität?

Kaum jemand der heutigen Krisen- und Risikomanager kann sich erinnern, was 30% Neubau-Leerstand wie Mitte der 90er in den NBL bewirken. In oligopolistischen Märkten wie Großflächen in den Metropolen reichen schon 10% verfügbares Angebot mit großen Neubauflächen für denselben Effekt. Bis zu 20% Leerstand hatten wir Mitte der „Nullerjahre“ z. B. in Frankfurt oder Amsterdam durchaus. Kalkulierte 3 Jahre Vermietungszeit nach Fertigstellung können dann leicht Standard sein. In schwierigen Zeiten sind bei Erstvermietung 95% Vermietungsquote schon Vollvermietung, da Flächen vorgehalten werden müssen und Mieter das Flächenoptimum aussuchen können. Bei Nachvermietung ist die Immobilie manchmal schon mit gut 90% voll.

Eine Miethalbierung gegen realistische Kalkulation habe ich auch schon in bester Frankfurter Lage und Qualität erlebt. Flächen und Nebenflächen wurden früher fallabhängig definiert. In meinen JLL-Zeiten war die Flächendefinition wichtigstes Tuning-Instrument. Welches Gesetz verhindert das heute? Die gif-Richtlinie?  Das alleine senkte oft schon die Vollvermietung um 5 bis 10% gegenüber Kalkulation.

In der Krise wird jeder Handschlag glitschig. Bis 2009 hat in fast 20 Jahren keine schriftliche Mahnung mein Haus verlassen. Verträge kannte ich (übrigens bis heute) nur wegen des Finanzamtes. Kündigungszeiten kannte ich 20 Jahre überhaupt nicht. 2009 habe ich dazugelernt. Interessant sind renommierte Kanzleien auch als Mieter. Wenn die alten, abgeschlossenen Verträge zu hoch sind oder die erwarteten Untermietverträge nicht kommen, stimmen die Schallwerte, und was es sonst so an existenzieller Technik gibt, auf einmal nicht. Die Einstellung der Mietzahlung oder der angedrohte Nichtbezug kochen private Vermieter durchaus weich. Spaß macht es auch, wenn sie Ihr Team zum finalen Mietvertrag mittags pünktlich zusammenrufen und die Kanzlei Ihnen 5 min vor dem Termin mitteilen lässt, man habe am Morgen woanders unterzeichnet. Umgekehrt bekommen Sie zu Sitzungsbeginn mitgeteilt, wenn Sie in 3 Stunden nicht durch seien, werde man woanders unterschreiben. Und in jeder Krise gibt es Anwälte, die sich auf Formfehler von Mietverträgen spezialisieren. Ich kenne aber kein echtes Urteil, wo das wirklich gezogen hätte. Für Druck reicht das aber allemal.

Besonders blöd war ein Vermieter einer Großkanzlei in Leipzig, der den neuen Mietvertrag brav der Presse meldete. Mein Makler und ich als Vermietungsmanager kannten aber die NL-Leiterin und ihre persönlichen Nachtarbeitsängste. Dummerweise hatte der pressefreundliche Vermieter auch noch eine aufschiebende Bedingung übersehen. Kurz darauf bezog die Kanzlei meine wirklich schönen Flächen. Und lustigerweise war das auch noch der Vertag mit der höchsten, für die Refinanzierungsbank wichtigen Nominalmiete des Jahres.

Wir leben im Industrial-Boom. Kaum einer weiß aber, was es heißt, einer leerstehenden Produktionsimmobilie oder einem leergezogenen Hochregallager beim Verfaulen zuzuschauen. Das durfte ich als Immobilien-Newcomer nach vielen Mieterpleiten in einem früheren Leben im damals größten Immobilienskandal der Nachkriegsgeschichte erleben. Das Peitschen reißender Flachdächer ist eine spezielle Musik. Die Alternative ist, den ganzen Winter sinnlos dem Klimawandel einzuheizen. Bei Ausübung des Vermieterpfandrechts trifft man dann auf einen Zulieferer, der mit dem LKW gerade seine nicht mehr genau definierbaren Sachen vom Grundstück fahren will. Das verhindert man natürlich. Aber auch da muss man locker bleiben, wenn die Antwort heißt: „Pass mal auf Jung. Wenn ich hier nicht rausfahre, bin ich pleite. Ich fahre jetzt hier raus, egal, wo Du stehst.“ Da hält man besser noch den fließenden Verkehr an.

Vermarktung heißt dann bei Büro oder insbesondere Industrie, 3 Jahre durch die Gemeinden zu ziehen, alle Nachbarn periodisch abzuklappern, sich Schenkungsvorschläge  wie „ist doch nicht Dein Geld, habt Ihr doch längst abgeschrieben“ anzuhören und sich mit Maklern und Beratern rumzuschlagen, die mit jeder durch das Dorf getriebenen Nutzerkuh einen Megatrend wittern und sich niemals rechnende Nutzungsänderungen, Abbruch oder wie zu jeder Zeit Dienstleistungskonzepte und bunte Marketingmaßnahmen als unabdingbare Lösungen empfehlen. „Der Eigentümer ist tot, es lebe der Vermarktungserfolg“, ist das Motto der Berater.

Bei sinkenden Mieten und damit parallel sinkenden Courtagen drücken manche Vermieter als echte Psychologen auch noch den Prozentsatz für die Makler, die natürlich dem Weg des Geldes anderer Vermieter nachlaufen. Wie man damals hörte, stand da auch mal ein neuer Porsche bei Erfolg vor der Tür. Das kann ich allerdings weniger selbst bestätigen als Frankfurter Gerichte, die ein paar Lebensläufe durcheinanderwirbelten.

Wie wirkt sich die Krise auf den Marktwert aus?

Ungefähr 2004 prügelten sich Stefan Loipfinger und ich mit einigen Offenen Fonds und dem BVI zum Thema Einwertungsgewinne und Bewertung. Für Einwertungsgewinne war es üblich, die voll transparent am Markt erworbene Immobilie durch „Sachverständige“ zumindest um die Erwerbsnebenkosten „auf Marktniveau realistisch neu bewerten“ zu lassen. Die Technik sieht man heute noch bei geschlossenen Fonds, die oft auch billiger kaufen als zum „Marktwert“. Das BMF kam in den späteren Nullerjahren einmal auf die Idee alle Marktwerte Offener Fonds pauschal um mindestens 10% abzuwerten. Das war keine „Heißluft“, wie uns Insider bestätigten. Da war allerdings der Bereinigungsprozess schon weitgehend abgeschlossen. Früher hörten wir die „10er, 20er und 30er Regel“: 10 Jahre alt hat 10% Leerstand und entsprechenden Korrekturbedarf. 20 Jahre alt hat … usw..

Wie noch Ende Januar auf der BIIS Bewerter-Jahrestagung deutlich wurde, lebt auch der Bewerter im jeweils aktuellen Markt, auch wenn ihn selber Störgefühle umtreiben. Speziell frisch gekaufte Immobilien und Projekte im Bau dürften da auch bei Leerständen mit Vollvermietung zu aktuellen Mieten, die ja hoffentlich auch kommen, und aktuellen Renditen auf Spitzenniveau bewertet sein. Allerdings ist nicht sicher auszuschließen, dass ungeplante Leerstände zunehmen und bei Bewertungen berücksichtigt werden müssen.

Allein die Tatsache, dass 90 bis 95% Vermietungsstand bei Multitenant-Immobilien einer Vollvermietung entsprechen, führt schon zu Korrekturen von Annahmen in boomenden Phasen. Leerstand wurde in USA oft mit Null bewertet. Das ist natürlich Quatsch.  Bei einer angenommenen Vermietungsdauer von 3 Jahren in negativem Miettrend errechnet sich der Wert, den ein denkender Anleger bezahlen wird. Der besteht doch aus dem späteren Vollvermietungswertwert bzw. Kapitalwert aus Marktmiete und Multiplikator. Marktmiete und Multiplikator müssen in sinkenden Marktphasen sicherlich um je 5 bis 10% abgewertet werden. Davon sind noch 2 Jahresmieten für die dreijährige Vermietungsplanung mit teilweise schnelleren Vermietungen abzuziehen. Maklerkosten machen auch noch einmal 3 bis 6% insgesamt aus.

Eine Jahresmiete geht leicht noch an echten Vermarktungskosten für Berater, Gutachten und Konzepte drauf. Laufende Leerstandskosten (ca. gleich normalen Nebenkosten) liegen leicht bei 20% der Miete. Da geht noch einmal eine halbe Jahresmiete mindestens weg. Früher hat man einfach einen Esslöffel Olivenöl zur Geruchs- und Verdunstungsverhinderung in die Toilette und das Wasserbecken gekippt. Heute rennt bei Großflächen da jemand herum, der den ganzen Tag Wasser laufen lässt und Toiletten spült.

Incentives können leicht 10% der vereinbarten Gesamtmietsumme – und deutlich mehr – mit mietfreien Zeiten und Mieterumbauten erreichen. Ein Rundfunksender bot mir als Assetmanager einmal 4 Jahre Mietvertrag mit 1 mietfeien Jahr, Übernahme der Umzugskosten und Umbauten durch den Vermieter für schalldichte und völlig erschütterungsfreie Studios mit nicht rückbaubaren Baumaßnahmen an. Abgeschlossene Zimmer in einer Mietfläche, die bei Bedarf aufgeschlossen werden sollten, waren da noch das kleinere Übel. Ebenso lukrativ für den Mieter und unauffällig für den erfolgsorientierten, angestellten Assetmanager ist die langfristige Deckelung der Nebenkosten oder die Berechnung der Nebenkosten unter Ausschluss der Verkehrsflächenanteile und Nebenflächen.

Die Inflationsdiskussion kennen Sie sicher selber. Wenn Sie auch einmal ein Fitnesscenter mit Pleiterisiko durchkalkulieren, kommen Ihnen graue Haare. Ich habe auch einmal ein hoch renommiertes Co-Working Unternehmen als „Mieter“ gehabt und war froh, ihn ohne große Prozesse überhaupt und ohne etwaige Zahlungen loszuwerden. Ich habe mir letztes Jahr einmal im Zuge eines geplanten Börsengangs in Berlin prominente Co-Workingflächen angeschaut und fragte mich, wie ein Vermieter wohl hochwerte und teure Umbauten ohne normale Nachvermietungsmöglichkeit und mit horrenden Rückbaukosten bei Schrumpfung der New Work-Nische wohl in Vorstands- bzw. Anlegerausschuss-Sitzungen begründet hat.

„Der Immobilienbrief“-Fazit: Wenn Sie das alles einmal wirklich realistisch multiplikativ verknüpfen, sind 20 bis 30% Korrekturbedarf auch schöner Immobilien kein besonderes Problem. Wenn Sie dann noch zyklisch danebenliegen, wird es lästig. Bei älteren Immobilien kenn Sie ja die Abrissdiskussion. Die wirklich abgerissenen Hochhäuser in Frankfurt wurden lt. einer älteren JLL-Studie 38 Jahre alt. Alle 20 Jahre steht Totalsanierung mit vorherigen Leerstandsproblemen an.

Meine Gespräche zeigten in den beiden letzten Professionalisierungsdekaden immer mehr auf, dass die Immobilienwirtschaft heute immer weniger die Kärnerarbeit der Vermarktung im Vordergrund sieht. Professionelles Immobiliengeschäft war in den letzten Jahren eher der Gewinn eines Vermarktungs-Pitches, um anschließend Datenraumorganisation und Bieterverfahren mit maximal 100 allen bekannten potentiellen Käufern durchführen zu dürfen. Der Kampf ums Überleben geht anders. Ich hoffe, das werden wir diesmal nicht wieder lernen müssen. Ich glaube es auch nicht. Ehrlich.