Wer kann Redevelopment?

Während die Immobilienwirtschaft sich mit Redevelopment langsam eine neue Disziplin erschließt wie z.B. Greyfield Immobilien aus Essen, fordert die Architektenschaft eine neue Kultur des Bewahrens. Beide meinen dasselbe, reden aber noch zu oft aneinander vorbei.

Die Ausgangslage ist bekannt: Grund und Boden sind nicht vermehrbar und eine weitere Flächenversiegelung nicht nur aus Gründen des Klimaschutzes eigentlich nicht mehr verantwortbar. Zudem verursachen Neubauten in Form von Material und Energie einen erheblichen Teil unseres viel zu hohen Ressourcenverbrauchs. Was bleibt ist der Baubestand, sind die Städte und ländlichen Regionen wie sie da sind, mehr oder weniger dicht bebaut, mehr oder weniger ungenutzt, mehr oder weniger vernachlässigt. „Sorge um den Bestand“ lautet der Titel einer Ausstellung mit paralleler Buchveröffentlichung des Bundes Deutscher Architekten BDA im DAZ in Berlin – wegen Corona mit einer digitalen Einsichtmöglichkeit unter https://www.bda-bund.de/sorgeumdenbestand. Sie ist das Ergebnis eines Forschungsprojektes des „Experimentellen Wohnungs- und Städtebaus“, gefördert vom BMI/BBSR. In einem der einleitenden Aufsätze findet Amica Dall eine anschauliche Formulierung: „Das Heute wird auf Papier gezeichnet, das bereits mit jahrzehntealten Markierungen, Kratzern und Flecken übersät ist, das Morgen wird auf ein leeres Blatt gezeichnet.“ Immer noch tun wir so, als ob die Zukunft ein leeres Blatt voraussetze, tabula rasa – eine Illusion, die sich zunehmend rächt. Sich mit dem Bestand zu befassen, bedeutet stärker in Kreisläufen zu denken und letztlich eine Abkehr von der gewohnten Konsum- und Abfallwirtschaft.

Statt „Sorge um den Bestand“ könnte der Titel auch lauten „Sorge für den Bestand“ – Bestandspflege als Werterhalt sollte eine Selbstverständlichkeit sein, ist es aber oft nicht, weil das zusätzliche Kosten bedeutet. Immobiliensprachlich würden sich jenseits einfacher Instandhaltung das Refurbishment anbieten, dem Objekt quasi einen neuen Anstrich geben, oder die Revitalisierung als Wiederbelegung brach liegender Gebäude oder Flächen. Das Redevelopment geht noch einen Schritt weiter und umfasst die Möglichkeit einer Nutzungsänderung, was dem Blick auf den Bestand eine ganz neue Richtung geben kann. Schon 2016 hat die gif e.V. einen Leitfaden zum Redevelopment erarbeitet. Timm Sassen ist seit damals Mitglied der gif Kompetenzgruppe Redevelopment. Als Unternehmer ist er Gründer und Geschäftsführer von Greyfield Immobilien in Essen. Wie schon der Name sagt agiert sein Unternehmen zwischen „green“ und „brown“, dort wo in Bestandsgebäuden graue Energie gespeichert ist. Sassen sieht darin auch in sozialer Hinsicht Werte, die es zu erhalten und weiter zu auszubauen gilt. Redevelopment aber passe nicht in die immobilienwirtschaftlichen Bewertungsschemata, die nach Nutzungsarten klassifizieren, und habe es deshalb schwerer, sich am Markt zu etablieren. Obgleich die Nutzer noch überwiegend dem Neubau den Vorzug gäben, wachse das Interesse bei Büromietern, die innovative Räume suchen, um qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen. Auch könnten sich viele die Mieten in teuren Neubauten bei Baukosten von 12,- Euro/qm nicht mehr leisten. „Für uns ist die soziale Komponente gleich wichtig. So können wir zum Beispiel im Bestand günstigere Mieten anbieten als im Neubau,“ verspricht Sassen. Als Anreiz für mehr Redevelopment wünschte er sich eine Steuerbegünstigung vergleichbar der sehr erfolgreichen Denkmal-Afa.

Als Timm Sassen 2012 in Essen das Unternehmen Greyfield gründete, stand für ihn ein nachhaltigeres Handeln im Vordergrund. Klimaneutralität sei im Neubau mit noch so viel Technik nicht möglich, so seine Überzeugung, müsse aber das Ziel bei jedem Projekt sein, sollen die politisch beschlossenen Klimaziele erreicht werden. Um das eigene Portfolio noch stringenter auf Ressourcenschonung auszurichten, hat Greyfield jetzt ein Portfolio ausgegliedert und an die Essener Kobix Immobilien GmbH & Co. KG veräußert. Damit wurden Mittel frei, um sich noch stärker auf den ressourcenschonenden und sozialverträglichen Umbau von Bestandsimmobilien in B- und C-Lagen zu konzentrieren. Zurzeit beträgt das Projektvolumen ca. 200 Mio. Euro.

Seitab der Zentren gebe es viele Schätze, an denen die meisten achtlos vorüber gehen oder deren historischer Wert außer Frage steht, die aber dennoch seit Jahren ungenutzt verkommen. Wie das ehemalige Städtische Hallenbad in Duisburg-Hamborn. Als 1929 mit dem Bau begonnen wurde, war Hamborn noch selbstständige Stadt. Stadtbaurat Franz Steinhauer entwarf damals als Bindeglied zwischen Alt-Hamborn und Marxloh ein neues Schul- und Verwaltungsquartier. Dessen Abschluss, in V-Form auf eine wichtige Straßenkreuzung ausgerichtet, bildet das Stadtbad mit den getrennten, aber baugleichen Schwimmhallen für Frauen und Männer in den beiden Flügeln. Bautechnisch bieten sie eine Besonderheit in Hinblick auf die durch den Kohlebergbau zu erwartenden Bodensenkungen. Abgekoppelt vom mittleren Mauerwerksbau wurden sie in Eisenbeton über justierbaren Gleitlagern ausgeführt ähnlich einem Brückenbau. Das denkmalgeschützte äußere Erscheinungsbild folgt dem damals in der Region vorherrschenden Backsteinexpressionismus.

1938 wurde das Bad eröffnet, seit 1998 steht es leer. Nachdem frühere Projekte wie ein Outlet-Center am Standort gescheitert waren, übernahm Greyfield Anfang 2019 das denkmalgeschützte Bauwerk auf 9.200 qm Grundstück und erhielt im Sommer dieses Jahres die Baugenehmigung für den Umbau. Mieter wird die Stadt selbst für das neue Job-Center Duisburg-Nord. Nach Plänen von Triade Architekten aus Düsseldorf, die ihre Erfahrung mit der Einrichtung von Job-Centern einbringen, entstehen nun in der entkernten Gebäudehülle 7.500 qm Bürofläche dort, wo früher Sport getrieben wurde. Der erste von drei Bauabschnitten befindet sich im Innenausbau. Die Gesamtfertigstellung ist für Frühjahr 2021 geplant. Bauen im und mit dem Bestand erfordert viel Spezialwissen und Erfahrung. Sich dabei digitaler Medien für die Erfassung komplexer Daten zu bedienen, bietet manche Vorteile und schafft Transparenz. Timm Sassen hält aber nichts von der Überbewertung digitaler Anwendungen: „Die Disruption in der Immobilienwirtschaft kommt nicht aus der Digitalisierung, sondern durch den Klimawandel.“