Zertifizierung ja – aber mit Bedacht

 

Matthias Böning

Matthias Böning

Dipl-Ing. Matthias Böning,
Vorstandsvorsitzender der mfi management für immobilien AG,
Vorsitzender des ZIA-Ausschusses „Energie Technik Umwelt“

 

 

Die Rolle von Nachhaltigkeits-Zertifikaten ist in der öffentlichen Diskussion umstritten. Etablierte Ökosiegel aus dem angelsächsischen Raum konzentrieren sich weitestgehend nur auf die ökologische Komponente von Nachhaltigkeit. Das greift jedoch zu kurz. Wichtig sind auch ökonomische und soziokulturelle Aspekte. Zertifizierung von Nachhaltigkeit ist sinnvoll, aber es müssen alle drei Komponenten bedacht werden.

Der inflationäre Gebrauch des Begriffs Nachhaltigkeit in allen Bereichen von Industrie und Wirtschaft zieht eine ganze Reihe von verschiedenen Nachhaltigkeits-Zertifikaten nach sich. Ausgangspunkt der Diskussion um Nachhaltigkeit und deren Zertifizierung sind vier globale Megatrends: Urbanisierung und Industrialisierung, Klimawandel und Umweltverschmutzung, demografischer Wandel sowie Ressourcenknappheit. Diese Megatrends haben ihrerseits ökonomische, ökologische und soziokulturelle Aspekte, die somit geradezu selbstverständlich Bestandteil sämtlicher Zertifizierungsmaßnahmen sein müssen.

Nachhaltigkeit als Dreiklang

Das Problem der existierenden Nachhaltigkeits-Zertifikate wie das britische Bewertungssystem BREEAM und das in den USA entwickelte LEED-Zertifikat ist häufig, dass sie rein auf die ökologische Schiene abzielen. Weder Shopping-Center noch andere Einzelhandels- oder Gewerbeimmobilien sind nachhaltig, wenn die ökonomische und soziokulturelle Komponente von Nachhaltigkeit unbeachtet bleiben.

Hierbei sind der ökologische und ökonomische Aspekt eng miteinander verknüpft. Verschiedenste ökologische Maßnahmen, wie Geothermie, Photovoltaik oder effiziente Wärmedämmung von Fassaden, Fenstern, Türen und Dächern liefern nicht nur einen Beitrag zur Reduktion von CO2-Emissionen, sondern mindern auch die laufenden Nebenkosten für die Mieter und steigern die Immobilienwerte über den gesamten Lebenszyklus der Gebäude. Sobald es also im Qualitätskampf auf dem Vermietungsmarkt um die Mietersuche geht, wird die ökologische Ausrichtung einer Immobilie schnell zu einem ökonomischen Faktor.

Unabhängig von der Ökologie sind in erster Linie der Standort, die Managementkompetenz und die Flächeneffizienz wichtige Faktoren einer ökonomischen Nachhaltigkeit. Die Wirtschaftlichkeit eines Shopping Centers wird maßgeblich durch die Konzeption bestimmt. So ist auch eine an den Stadtteil angepasste Größe für den Erfolg und die Akzeptanz des Centers ausschlaggebend, damit eine „Magnetwirkung“ erreicht und die Wettbewerbsfähigkeit der Stadt oder des Stadtteils gestärkt werden. Ein hohes Maß an Funktionalität und Flexibilität sind weitere wichtige Qualitäten.

Doch neben Ökologie und Ökonomie spielt auch die soziokulturelle Komponente eine wesentliche Rolle für einen gewinnbringenden „Nachhaltigkeitsdreiklang“. Hierunter fallen Kriterien, wie die städtebauliche, verkehrstechnische, kulturelle und soziale Integration der Immobilie, ihre Architektur und sehr stark auch ihre Multifunktionalität.

Bleiben die soziokulturellen Aspekte außen vor, erhöht sich zwangsläufig das Leerstandsrisiko und damit die Gefahr, dass die für den Bau aufgewendeten Ressourcen verschwendet wurden. Dieses Risiko lässt aus der soziokulturellen Komponente schnell einen ökologischen und ökonomischen Misserfolg werden und ist Ausdruck der engen Verzahnung der drei Nachhaltigkeitskomponenten.

Gerade bei Shopping Centern kommt dem soziokulturellen Aspekt eine besondere Bedeutung zu, da hier der multifunktionale Ansatz deutlicher als bei Wohn- und Bürogebäuden zum Tragen kommt. In einem Düsseldorfer Stadtteil wurden ein Bürgerzentrum, ein Bürgersaal, eine Stadtteilbücherei und ein Hallenbad direkt an ein Einkaufszentrum angegliedert (Foto). Wohnungen, Arztpraxen, Kunstgalerien und ein Park mit Spielflächen gibt es hier ebenso. Die Genehmigungsfähigkeit einer Einzelhandelsimmobilie hängt zunehmend davon ab, ob Nutzungsarten, die über das reine Einkaufen hinausgehen, in die Immobilie integriert werden können.

Der Dreiklang Nachhaltigkeit hat aber auch noch einen anderen ganz entscheidenden Vorteil: Wenn ein Shopping Center ökologisch, ökonomisch und soziokulturell nachhaltig gut geplant und realisiert wird, können auch seine Investoren frohlocken und sich einer krisenunabhängigen, wertbeständigen Immobilie gewiss sein.

Zertifikate in verschiedenen Märkten

Um als Immobilieneigentümer nach einer behördlichen Genehmigung eines Immobilienprojekts im Wettbewerb um potenzielle Mieter einen Vorsprung erzielen zu können, muss ein stimmiges Gesamtbild aus ökologischer, ökonomischer und sozialer Nachhaltigkeit geschaffen werden. In Deutschland übernimmt das DGNB-Gütesiegel diese Funktion. Im Rahmen der letzten EXPO REAL wurden auch die ersten Shopping Center prämiert.

Noch immer aber ist gerade in Deutschland der Wert von Nachhaltigkeitszertifikaten umstritten, da hierzulande bei einem Neubau oder einer Grundsanierung von Seiten des Bauherren oder des Sanierungsträgers ohnehin gesetzliche Mindeststandards eingehalten werden müssen.

Der sogenannte Energieausweis, der seit Oktober 2009 im Rahmen der Energieeinsparverordnung (EnEV) des Bundes bei Vermietung oder Verkauf von Häusern und gewerblich genutzten Immobilien vorgezeigt werden muss, soll dazu beitragen, dass die Ziele der Bundesregierung bei Energieeinsparung und Klimaschutz erreicht werden. Hierzu gehört, dass der Energiebedarf für Heizung und Warmwasser im Gebäudebereich um etwa 30% gesenkt wird.

Anders verhält sich die Argumentation in den USA. Ökosiegel wie das LEED-Zertifikat haben hier aufgrund der vergleichsweise niedrigen und regional sehr unterschiedlichen gesetzlichen Mindeststandards für Neubauten eine weitaus größere Bedeutung. Aufgrund der fehlenden gesetzlichen Vorgaben in den USA werden Immobilieninvestoren tendenziell die zertifizierte Nachhaltigkeit mit einem Aufschlag auf den Objektpreis belohnen. In Deutschland hingegen erzielen zertifizierte Immobilien nicht automatisch einen höheren Preis.

DGNB-Gütesiegel versus Verbrauchskennziffer

Es ist wichtig, dass der Nachhaltigkeitsaspekt in seinen drei Ausprägungen in der Immobilienwirtschaft einen höheren Stellenwert erlangt.

Mit dem DGNB-Gütesiegel sind wir in Deutschland auf einem guten Weg. Es handelt sich dabei um einen Qualitätsstandard, der neben dem Energieverbrauch insbesondere das Gelingen einer Verbindung von ökologischer, ökonomischer und soziokultureller Nachhaltigkeit quantitativ und qualitativ bewertet. Zertifikate müssen einen Beitrag leisten, um ein Zusammenspiel von ökologischen, ökonomischen und soziokulturellen Aspekten zu erreichen.

Aber dies alleine reicht nicht, um in der Schonung der Umwelt und von Ressourcen wirklich weitere Fortschritte zu erzielen. Transparenz und Vergleichbarkeit erreicht man nur, wenn der im Ausweis dokumentierte Energiebedarf im Verhältnis zur Nutzfläche als Verbrauchskennziffer eines jeden Gebäudes auch in den Wettbewerb gestellt wird.