Der erste Schritt geht noch nicht weit genug

Die Entscheidung der Bundes- und Länderregierungen, neben den Anbietern von Gütern des täglichen Bedarfs auch Teilen des Nonfood-Handels die Öffnung zu erlauben, sofern ihre Verkaufsfläche nicht größer als 800 qm ist, stößt im Handel und bei den Vermietern nicht auf Zustimmung. Der Handelsverband Deutschland (HDE) sieht darin eine Diskriminierung der Großen und befürchtet Wettbewerbsverzerrungen sowie Rechtsunsicherheit, wie Hauptgeschäftsführer Stefan Genth sagt.

Auch der Zentrale Immobilien Ausschuss ZIA bemängelt die Begrenzung auf 800 qm und weist darauf hin, dass die Bereitstellung von Desinfektionsmitteln, Masken und Plexiglasscheiben als Spuckschutz an den Kassen im großflächigen Einzelhandel viel einfacher sei als bei den kleinen Läden. Zudem gebe es hier mehr Aufsichtspersonal und die Menschen würden sich auf der Fläche besser verteilen, gibt Iris Schöberl, Vorsitzende des ZIA-Ausschusses Handel, zu bedenken.

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder begründete bei der Pressekonferenz dieses selektive Vorgehen damit, dass nicht alle Läden wieder gleichzeitig eröffnet werden sollen, um die hohe Frequenz in den innerstädtischen Einkaufslagen zu vermeiden, die etwa an Samstagen unausweichlich wäre, wenn Geschäfte, Modekaufhäuser und Warenhäuser gleichermaßen öffnen würden. Des Weiteren dürfen aber Autohäuser, Buchläden und Fahrradläden unabhängig von ihrer Größe wieder öffnen. Nordrhein-Westfalen erlaubt auch die Eröffnung von Möbelhäusern und Babyfachmärkten.

Bei einer Verkaufsfläche von 800 qm werden auch viele Schuhgeschäfte, Modeläden und Anbieter von Accessoires von der Lockerung profitieren. Doch gerade auch die großen Anbieter aus dem Textilbereich, wie die Bekleidungskaufhäuser oder die Warenhäuser und Anbieter aus anderen Branchen wie die Elektrofachmärkte leiden unter dem Shutdown, der für sie nun weiter geht. „Es ist auf der einen Seite eine gute Nachricht für unsere Mitgliedsunternehmen und die regionale Wirtschaft, dass Bund und Länder jetzt die ersten Schritte für einen Weg aus dem Lock-Down aufgezeigt haben“, sagt Ulf Reichardt, Hauptgeschäftsführer der IHK Köln: „Auf der anderen Seite sind aber viele Unternehmen auf unabsehbare Zeit weiterhin weitgehend vom Geschäftsleben ausgeschlossen.“

Deshalb weist er nachdrücklich darauf hin, dass auch in größeren Handelsunternehmen und womöglich auch im Gastgewerbe durch bauliche Vorkehrungen und hygienische Maßnahmen ein wirksamer Schutz gegen die Infektionsgefahr erreicht werden kann. Dazu seien die Unternehmen auch bereit, mahnt Reichardt und gibt zu bedenken: „Die Verluste, die ein nationaler Stillstand auf Dauer verursacht, kann auch der finanziell stärkste Staat nicht lange mit Hilfen ausgleichen.“

Auch Harald Ortner, Vorstand des German Council of Shopping Places (GCSP), moniert, dass „die begrenzte Liberalisierung der Öffnung auf Flächen bis 800 qm zu kurz gesprungen ist, da insbesondere die Shopping-Center heute schon die geforderte Regulierung der Kundenströme technisch einwandfrei bewerkstelligen können.“ Die Branche sei gewappnet, betont er mit Verweis auf den Einsatz von Frequenzzählanlagen, die Zufahrtsregulierung von Parkhäusern und Parkplätzen sowie den Einsatz von Sicherheitspersonal zur Regulierung und Überwachung der Warteschlangen: „All dies ist in einem gut gemanagten Center darstellbar und kann gemäß den Anforderungen der aktuellen Beschlüsse gleich umgesetzt werden.“

Trotz dieser Möglichkeiten fürchtet Ortner, dass die Branche bis Ende April mit der 800-qm-Regelung leben muss und fordert „Auslegungsmöglichkeiten für die Länder und Kommunen“, die auch größeren Einzelhandelsgeschäften die Öffnung erlauben, wenn sie sich durch räumliche Abteilung auf 800 qm Verkaufsfläche beschränken. Diese Regelung hat Rheinland-Pfalz gewählt. So könnte laut Ortner eine Verkaufsfläche, die über mehrere Etagen geht, verkleinert werden, indem die Verbindung – etwa eine Rolltreppe – gesperrt wird. „Abgesehen davon“, so stellt der GCSP-Vorstand fest, „muss spätestens Anfang Mai eine größenunabhängige Öffnung möglich sein“.

Denn auch wenn durch die jüngste Lockerung zunächst kleinere Anbieter wieder öffnen dürfen, die Probleme des Nonfood-Einzelhandels im Allgemeinen und des Bekleidungs-, Schuh- und Lederwarenhandels im Besonderen werden dadurch nicht entschärft. So stellt sich die Modebranche nach Mitteilung der Handelsverbände Textil (BTE), Schuhe (BDSE) und Lederwaren (BLE) darauf ein, dass der stationären Fashionbranche ein Verkaufszeitraum von letztlich sechs bis acht Wochen fehlt, wenn größere Geschäfte mit mehr als 800 qm Verkaufsfläche und Warenhäuser geschlossen bleiben müssen.

Diese willkürliche Grenze sieht auch BTE-Sprecher Axel Augustin als „Wettbewerbsverzerrung“, die große Mode- und Schuhgeschäfte sowie Warenhäuser benachteiligt. Zumal gerade der Einzelhandel mit großen Verkaufsflächen den Mindestabstand von 1,5 m leichter gewährleisten kann. „Mit ihren breiten Gängen und mehreren Ein– und Ausgängen lassen sich die Kunden deutlich leichter lenken als in kleinen Geschäften“, so Augustin, zumal in den nächsten Wochen kein Modehändler mit einem Kundenansturm rechnet, denn Anlässe wie Feste gibt es  derzeit nicht und wann die Bundesbürger wieder einen Urlaub planen können, ist derzeit offen. Aus seiner Sicht müssen Unternehmen, die noch nicht öffnen dürfen, auch Kompensationszahlungen erhalten.

Deshalb verlangt auch der Bundesverband des Textileinzelhandels (BTE) spätestens von Anfang Mai an grünes Licht für die Öffnung aller Geschäfte. „Ansonsten“, so fürchtete Augustin, „werden etliche große Häuser den Shutdown nicht überleben!“

Galeria Karstadt Kaufhof will so lange nicht warten und hat u. a. vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster Klage gegen die Sonderregeln des Landes Nordrhein-Westfalen in der Corona-Krise eingereicht. Nicht überall war der Warenhausbetreiber erfolgreich. In Berlin und Greifswald wurden die Eilanträge abgewiesen.