Trügerische Ruhe am Immobilienmarkt – Steigende Zinsen sind nicht die grösste Gefahr

Karsten Junius, Chefvolkwirt, Bank J. Safra Sarasin

Wer nach gut drei Jahren in den USA wieder zurück in Europa aufschlägt, wundert sich über Vieles; so beispielsweise über die hier unerwartet gute Stimmung an den Immobilienmärkten. Die Preise steigen, die Anfangsrenditen fallen, die Suche nach Core-Immobilien und Core-Lagen geht weiter, wobei ”Core” zunehmend wohlwollend interpretiert wird – ähnlich wie der Kreis ”sicherer Anlagen” durch die EZB und die Finanzmärkte. Aber hat sich in den letzten drei oder vier Jahren tatsächlich so viel zum Positiven verändert? Gemessen an der guten Stimmung auf der Expo Real, müsste man das klar bejahen. Dort schienen Gefahren allenfalls in steigenden Finanzierungszinsen gesehen zu werden.

 

Welch ein Irrtum! Um den festzustellen, braucht man noch nicht einmal eine US-Brille, durch welche die Gefahren von Deflation, zu hoher Arbeitslosigkeit und zu niedriger Nachfrage immer etwas schärfer zu sehen sind als hierzulande. Es reicht, die Panglos’sche Brille abzunehmen und die vom Liquiditätsnebel verdeckten Risiken wieder wahrzunehmen. 2010 waren die institutionellen Risiken in der Währungsunion allgegenwärtig. Vor allem waren sie an den Bondmärkten noch transparent ablesbar. Investoren hatten die Nachhaltigkeit der Wirtschaftspolitiken angezweifelt und ihr Kapital entsprechend verlagert und zwar so schnell, dass die EZB zur Hilfe eilte und Länder vor dem Staatsbankrott, die Währungsunion vor Austritten und Investoren vor Verlusten schützte.

 

Es ist festzuhalten, dass dies weitgehend gelungen ist. Um vor unliebsamen Entwicklungen auf den Finanzmärkten auch in Zukunft zu schützen, wurden zusätzliche Programme und Institutionen aufgebaut – EFSF, ESM, OMT, SSM, SMP… – die Liste der neuen Akronyme ist lang. Aber werden die nationalen Wirtschaftspolitiken dadurch nachhaltiger und die mittelfristigen Risiken geringer? Mitnichten. Sicherlich, die hohen Leistungsbilanzdefizite in den Peripheriestaaten konnten abgebaut werden, ein Erfolg, auch wenn er mit hoher Arbeitslosigkeit, geringerer Nachfrage und schwacher Inflation erkauft wurde, welche wiederum die Schuldentragfähigkeit vieler Länder bedroht.

 

Das Wesentliche fehlt aber immer noch: Ein Konsens über die mittelfristig gebotene Wirtschaftspolitik, über die erforderlichen Strukturreformen und über die ökonomischen Anpassungsmechanismen, bei denen geringe Nachfrage und Inflation in einer Region durch entsprechend höhere in einer anderen ausgeglichen würden. Nur so würde die Währungsunion institutionell stabil sowie politisch und öffentlich auf breiterer Basis befürwortet. Und nur so könnte die Währungsunion insgesamt einem hohen Beschäftigungsniveau, kräftigem Wachstum und einer Inflationsentwicklung von nahe 2% kommen. Die Finanzierungskosten am Immobilienmarkt wären in solch einem Szenario tatsächlich höher als derzeit. Dies wäre allerdings eher eine Chance als ein Risiko. Denn einhergehen würde damit auch ein stärkeres Mietwachstumspotenzial.

 

Die wahren Gefahren für den Immobilienmarkt liegen also eher darin, dass die Investitionen nicht das gewünschte oder kalkulierte Mietwachstum und nach einer Halteperiode den erwarteten Verkaufsertrag abwerfen. Die Finanzierungskosten dagegen werden allein aus dem Grund niedrig bleiben, weil die hohe Verschuldung vieler Haushalte und Staaten einen Hebeleffekt darstellt, der dazu führt, dass bereits geringe Zinserhöhungen eine starke ökonomische Bremswirkung ausübten. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit in Euroland sind daher weiterhin geringe Zinsen das wahrscheinlichere Szenario, geringes Mietwachstum leider auch.