Core-Definition bei Retail weitreichender als bei Büros

Einzelhandelsgeschäfte sind keine Büroimmobilien. Diese Erkenntnis dürfte zwar jedem einleuchten – insbesondere in der Immobilienbranche, die sich täglich mit den verschiedenen Assets beschäftigt. Doch bei den Beurteilungskriterien wird oft kein  Unterschied gemacht. Im klassischen Land der Büroimmobilie Deutschland wird die Güte von Retail Assets viel zu sehr nach den klassischen Büro-Kriterien beurteilt. Dabei sind die Unterschiede zwischen den Anlageklassen ganz erheblich.

Bild: Lührmann

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Während bei Büroimmobilien die Konzentration auf die 7 großen Metropolen oder zumindest auf die 20 größten Städte sinnvoll ist, weil die mietenden Unternehmen hier die beste Infrastruktur und das größte Mitarbeiter-Potenzial finden, ist der räumliche Rahmen bei Handelsimmobilien sehr viel weiter gesteckt. Nach Darstellung von Lars Heese, Geschäftsführer der Hahn Fonds Invest GmbH, gehören in Deutschland etwa 300 Städte – darunter B- und C-Städte mit Mittelzentren-Funktion zu den interessanten und guten Standorten.

Bei Büros bestimmen Architektur, Lage, Funktionalität und das wichtige Thema Energieeffizienz – mit Blick auf die steigenden Nebenkosten – die entscheidende Rolle. Handelsimmobilien sind für den Einzelhändler dagegen als Verkaufsmaschinen das Mittel zum Geschäftszweck. Ihre Lage an den typischen Laufwegen der Kunden bestimmt die Qualität der Immobilie. Zwar gilt auch für Einzelhandelsimmobilien, dass die Fußgängerfrequenz in den Top-Lagen der Shopping-Metropolen Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Köln, Frankfurt, Stuttgart und München am größten ist, was den Wert eines Geschäftshauses in der 1A-Lage zweifellos sichert.

Das lässt sich an dem harten Wettbewerb des Einzelhandels um diese Standorte und den hohen Mieten sowie das Interesse an langen Mietverträgen ablesen. In München liegt der Spitzenwert für ideale Flächen nach Feststellung der Immobiliendienstleister inzwischen bei 330 Euro, gefolgt von Frankfurt/M. mit 290 Euro (Jones Lang LaSalle) und Berlin mit 280 Euro (Comfort). Für die Top-Lage in Köln stehen Preise von 265 Euro im Raum, für Düsseldorf von 255 Euro, für Hamburg von 250 Euro und für Stuttgart von 245 Euro.

Entsprechend der Orientierung an der Core-Definition für Büro-Immobilien konzentrieren sich viele sicherheitsorientierte Anleger deshalb auch im Segment Handelsimmobilien auf diese Top-Standorte, sodass die Spitzenrenditen unter dem Konkurrenzdruck – trotz der hohen Mieten – bei Geschäftshäusern nach Information des Immobiliendienstleisters Jones Lang LaSalle derzeit mit 4,16% deutlich unter anderen Retail-Segmenten wie Shopping-Center (ca. 5%), Fachmarktzentren (5,9%) und einzelne Fachmärkte (6,5%) liegen. Mit Blick auf die hohe Sicherheit von Top-Geschäftshäusern in deutschen Metropolen ist auch das Interesse der Eigner, solche Objekte zu verkaufen, gering. Das schmälert  das Angebot. Diese starke Fokussierung auf das kleine Marktsegment in den großen Städten, so Manuel Jahn, Head of Real Estate Consulting GfK GeoMarketing, führe zu Preisen, bei denen indirekte Investments kaum mehr wirtschaftlich dargestellt werden könnten.

Doch da der Einzelhandel die Versorgungsfunktion für die gesamte deutsche Bevölkerung sicher stellt, gibt es verteilt über das gesamte Bundesgebiet sehr gute „Core“-Handelsimmobilien-Standorte. Dabei hängt die Definition von „Core“ auch nicht allein vom Straßenzug (Top-Einkaufsmeile) ab, auch die Einzelhandelsbranche bestimmt die Qualität einer Lage. In den innerstädtischen Top-Einkaufslagen finden sich Branchen wie Mode/Schuhe, Kosmetik oder Schmuck, die sehr hohe Umsatzrenditen erzielen und die deshalb die einzigen sind, die diese hohen Mieten zahlen können. Verstärkt wird der Trend durch die wachsende Zahl vertikaler Anbieter, also z.B. Bekleidungshersteller, die neben der Produktion auch den Einzelhandel in den eigenen Läden betreiben und deshalb höhere Spannen erzielen und höhere Mieten zahlen können.

Für einen scharf kalkulierenden Lebensmittelanbieter mit niedrigen Renditen wären 200 qm in der Kaufinger Straße in München zweifellos kein Core-Standort, da er auf dieser kleinen Fläche nur den Bruchteil eines normalen Lebensmittel-Angebots bieten könnte und schon deshalb vom Kunden weniger angenommen würde als der großflächige Vollsortimenter in einer Stadtteillage mit vielen Parkplätzen. In 1A-Lagen funktionieren allenfalls ausgesuchte Delikatess-Sortimente oder Convenience-Angebote.

Insofern bemisst sich der Wert einer Handelsimmobilie nicht nach dem Nutzen des Mieters wie bei der Büroimmobilie, sondern nach der Akzeptanz des Standorts und des Einzelhandels-Konzepts durch den Konsumenten. Im Lebensmitteleinzelhandel ist der großflächige Vollsortimenter mit zahlreichen Gratis-Parkplätzen in einer Stadtteillage eher dem Core-Segment zuzuordnen, als der zu kleine Supermarktanbieter in der Top-Einkaufslage. So formuliert auch Jahn, dass „die Attraktivität der Handelsimmobilie für den Endkunden das maßgebliche Erfolgskriterium“ für eine Handelsimmobilie ist. Die gute Lage ist aus seiner Sicht bei allen Einzelhandelsimmobilien Grundvoraussetzung für den Erfolg: Doch die Lagequalität ist für unterschiedliche Handelsformen sehr unterschiedlich zu definieren.

So übernehmen die Anbieter von Lebensmitteln generell eine wichtige Frequenzfunktion, da die Menschen ihren täglichen Bedarf
an Nahrungsmitteln regel-mäßig decken müssen. Großflächige Lebensmittel-Vollsortimenter wie Verbrauchermärkte oder SB-Warenhäuser können deshalb auch als Einzelstandorte ein Core-Objekt sein, wenn das Einzugsgebiet und die Kaufkraft im Umfeld groß genug sind. Das gilt insbesondere für Mittelstädte mit Versorgungsfunktion für die Nachbargemeinden.

In Deutschland sorgt die restriktive Regelung von § 11,3 Baunutzungsverordnung, wonach großflächige Einzelhandelsmärkte mit mehr als 1 200 qm Geschossfläche (ca. 800 qm Verkaufsfläche) nur in Sondergebieten angesiedelt werden dürfen, dafür, dass Kommunen die Ansiedlung von Großflächen steuern können.

Großes Potenzial auch bei etablierten Objekten

Da „gelernte“ Einzelhandelsstandorte, d.h. Geschäfte, die sich über Jahrzehnte in die Kaufgewohnheiten eingeprägt haben, für den Verbraucher ihre Bedeutung behalten, bieten auch ältere Immobilien gute und sichere Anlagen, da beispielsweise Agglomerationen nach der Modernisierung und der Verbesserung des Branchenmix höhere Mieten bzw. Kaufpreise abwerfen. In Deutschland gibt es noch viele solcher Objekte.

Da das Flächenangebot jedoch weiter wächst, der Einzelhandelsumsatz real aber kaum noch zulegt, gilt es, durch gründliche Analysen, gut funktionierende Objekte zu identifizieren. Nicht jede Immobilie resp. Lage lässt sich durch Neuvermietung im Wert steigern. Und nicht jedes Einzelhandelskonzept erzeugt genügend Frequenz und Umsatz.

Laut Jahn lässt sich das Umsatzpotenzial einer Handelsimmobilie resp. des darin wirtschaftenden Mieters sortimentsspezifisch genau berechnen, sodass auch detaillierte Informationen über das nachhaltige Umsatz- und damit Mietpotenzial von Mieterbranchen oder Ankermietern ermittelt werden könne. „Die Investoren können damit in der gegenwärtigen sicherheitsorientierten Atmosphäre dem Einzelhandel bei der Erschließung der noch verbliebenen „weißen Flecken“ abseits des Metropolen-Core-Mainstreams besser folgen.“ Auf Grundlage einer fundierten Standort- und Markt-Analyse können für Produkte, die nach den jetzigen Core-Kriterien bisher nicht gangbar waren, auch in Sekundärlagen „Sicherheitsprofile aufgedeckt werden, die dem Core-Anspruch mehr als entsprechen.“