Der Handel hat gelernt mit „Keinem Wachstum“ umzugehen

Der deutsche Einzelhandel gilt als einer der härtesten Märkte der Welt. Seit 15 Jahren erzielt die Branche kein reales Umsatzwachstum mehr (-1,4%), dennoch ist die Fläche um satte 31,6% gewachsen, so dass die Flächenleistung extrem gesunken ist, wie Joachim Stumpf, Geschäftsführer der BBE Handelsberatung aus München beim Deutschen Handelsimmobilien-Kongress in Berlin darlegt. Die Branche hat jedoch gelernt, erfolgreich mit „Keinem-Wachstum“ umzugehen.

Allerdings auch um den Preis, dass die Personaldecke dünn ist und Service bei vielen Konzepten „kleingeschrieben“ wird. Und der Ausleseprozess ist hart. Das begünstigt preisorientierte Konzepte. In den nächsten 10 bis 20 Jahren kommt eine weitere Herausforderung hinzu: Die Bevölkerungsentwicklung stagniert.

Gleichwohl steht Deutschland 2011 im Fokus der globalisierten Handelsketten und heimischer Filialisten, die noch große Expansionspläne hegen. Im Wettbewerb entscheiden deshalb 2  Grundvoraussetzungen: „Wer hat den besseren Standort, um andere zu verdrängen“, zählt Stumpf auf. Und: „Wer hat das bessere Konzept, um anderen Umsatz wegzunehmen?“

Eines der Unternehmen, das mit Blick auf den demographischen Wandel für sich  Chancen sieht, ist beispielsweise die vertikale Bekleidungs-Kette Gerry Weber aus Halle in Westfalen, die nach den Worten von Thomas Kronefeld, Geschäftsführer der Gerry Weber Retail GmbH, davon profitiert, dass sie mit ihrem Angebot die demographische Nische (z.B. die Generation „50 plus“) abdeckt und die Konkurrenz in diesem Segment gering ist. Gerry Weber will 2011 etwa 70 bis 80 Filialen eröffnen und richtet den Fokus dabei auch auf Klein- und Mittelstädte ab 30 000 Einwohner. Hier dürfte auch von Seiten der Städte das Interesse groß sein.

Der gnadenlose Wettbewerb, gekoppelt mit dem stetigen gesellschaftlichen Wertewandel wird deshalb auch im Einzelhandel weitere Veränderungen erzwingen und Gewinner genauso wie Verlierer hervorbringen. Dabei ist das Shopping-Center laut Stumpf im Verdrängungswettbewerb ein „extrem begünstigtes Immobilienprodukt“ – die hohe Investorennachfrage belegt das -, weil sie mit ihrem Branchenmix eine hohe Anziehungskraft entfalten würden, familienfreundlich seien und den notwendigen Parkraum böten. Stumpf: „Die Umsätze entwickeln sich besser als der Gesamtmarkt.“

Sofern die Center „up to date“ sind. Denn für viele der älteren Shopping-Center sieht Thomas Binder, Geschäftsführer Sonae Sierra Germany, einen hohen Revitalisierungsbedarf, der vor allem dann zum Problem wird, wenn die Eigentümer (wie Fonds) das Geld für die Sanierung nicht einkalkuliert haben. Knapp 200 Center gibt es in Deutschland mit mehr oder weniger großem Sanierungsbedarf. Zudem steht die Shopping-Center-Industrie mit ihren 444 Objekten unter dem Druck, die Qualität ihrer Objekte stetig zu steigern.

Unter dem Nachfragedruck wird in den innerstädtischen 1A-Lagen laut BBE die Uniformität –und zwar bei steigenden Mieten – voranschreiten. Vor allem die vertikalen Anbieter, die von der Herstellung bis zum Verkauf alles selbst machen und so höhere Margen erzielen, sind in der Lage, Mieten von über 10% des Umsatzes zu zahlen, wie etwa das Maklerunternehmen Comfort aus Düsseldorf beobachtet hat. Sie werden entsprechend expandieren – allerdings nur in den eng gefassten A-Lagen. Die B-Lagen werden nach Einschätzung der BBE weiter verlieren.

Für Mittelstädte sieht Stumpf  im Wettbewerb um die Gunst des Kunden dann gute Chancen, wenn es ihnen gelingt, ihr Netz aus Textilfilialisten zu verdichten, ein kleines Center anzusiedeln und sie gute lokale Anbieter haben. Mode-Ketten wie C & A oder H & M passen sich mit kleineren Formaten an den Bedarf an.

Im deutschen Lebensmitteleinzelhandel ist ein anderer Trend zu beobachten: Während der Umsatz im Zeitraum von 1996 bis 2009 von 112,3 Mrd. Euro auf 131,6 Mrd. Euro gestiegen ist, hat die Zahl der Geschäfte laut EHI Handel aktuell/HDE von 75 670 auf rd. 48 270 abgenommen. D.h., es gibt weniger, dafür aber größere Flächen, mit entsprechenden Löchern im Nahversorgungsnetz. Mit Blick auf die abnehmende Mobilität älterer Menschen wird aber die wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung an fußläufigen Standorten immer wichtiger. Im Trend der Zeit gewinnen Handelsagglomerationen, die laut BBE idealweise aus Vollsortimenter, Discounter, Bäcker, Metzger, Drogeriemarkt, Post und Geldautomat bestehen, an Bedeutung. Gleichzeitig steigt das Risiko für Stand-alone-Standorte. Und dabei gewinnen die Supermärkte, die lange als Verlierer galten, wieder an Bedeutung, während  die Gewinner der vergangenen Jahre, die Discounter, aus Sicht von Martin Orterer, Geschäftsführer der SGE Vollsortiment National der Rewe Group, allmählich an Sättigungsgrenzen stoßen. Am deutlichsten lasse sich das an den Bio-Sortimenten ablesen, die im Discounter nicht akzeptiert würden.

Doch der Trend zu Bio-Läden und Convenience-Stores ist ungebrochen und nach den Lebensmittelskandalen setzen sich die Konsumenten mit dem Thema „Massenherstellung von Lebensmitteln“ inzwischen kritisch auseinander. Auch Deutschlands zweitgrößter Lebensmittelanbieter Rewe aus Köln sieht sich gefordert, mit neuen Konzepten auf den gesellschaftlichen Wandel zu reagieren.

Die wachsende Zahl von Single-Haushalten, die immer weniger Zeit haben, begünstigen die Entwicklung von Convenience Stores, deren Kunden auch nicht so preissensibel sind wie der durchschnittliche deutsche Konsument. Laut Orterer arbeitet Rewe derzeit an einem Convenience-Store-Konzept mit dem Namen „Ready to go“ und sucht dafür hochfrequentierte Standorte. Mit Blick auf gesundheitsbewusste Kunden testet Rewe seit einem Jahr zudem sein Konzept Temma. In diesem Wandel könnten SB-Warenhäuser an Autostandorten mit Blick auf die steigenden Benzinkosten zu den Verlierern gehören, wenn die regionale Konkurrenz groß ist.

Bei den modernen Lebensmittelgeschäften wird laut BBE auch der Anspruch an die Architektur steigen und die Genehmigungspraxis erfordere hohe Sensibilität bei der Entwicklung.

Bei den Fachmärkten, die sich insbesondere in den 1980er-Jahren in den Branchen Unterhaltungselektronik (48%), Zoohandel (47,6%), Heimwerker-Bedarf (34,3%), Spielwaren (22%) und Schreibwaren (4,8%) etabliert haben, sieht die BBE Handelsberatung auch künftig weitere Zuwächse.  Allerdings wird auch hier das Thema „Trading-up“ bei Preislage, Ladengestaltung, Architektur, Angebotsagglomeration in Kombination mit Nahversorgungsangeboten eine Rolle spielen. Einzelstandorte verlieren an Bedeutung. Begünstigt wird das Segment Fachmärkte und Fachmarktzentren durch das Interesse der Investoren. Mit Blick auf den andauernden Verdrängungswettbewerb wird es laut Stumpf deshalb immer wichtiger, Konzepte und Standorte genau zu prüfen. Altersgerechte Handelsimmobilien werden an Bedeutung gewinnen und die Nachfrage nach Handelsimmobilien in einigen Regionen abnehmen. Bestandsobjekte müssen zudem auf das Thema Nachhaltigkeit überprüft werden.