Es gibt ein Leben mit und nach dem Warenhaus

Karstadt, Hertie, Sinn-Leffers, Woolworth, Pohland, Wehmeyer… .Die Liste der Warenhäuser und traditionellen Bekleidungskaufhäuser, die 2008 und 2009 Insolvenz anmelden mussten, ist lang. Hertie wurde im Zuge der Insolvenz liquidiert, bei Karstadt werden im Zuge des Insolvenzplanverfahrens etwa 10 Häuser geschlossen und bei den Textilkaufhäusern wurden zahlreiche Filialen aufgegeben. Für diese innerstädtischen Lagen gilt es neue Nutzungen zu finden.

Die Zahl der großflächigen Immobilien in zentralen Lagen, für die Nachnutzungen gesucht werden müssen, beziffert die GMA (Gesellschaft für Markt- und Absatzforschung) mit einigen Hundert. Ansonsten drohen eine Reihe von Kollateralschäden – der Wegfall innerstädtischer Anziehungspunkte und Frequenzbringer, bis hin zur Verödung von Innenstadt und Stadtteillagen.

Wie kann das Leben nach Hertie und der Schließung zahlreicher Kauf- und Warenhäuser in den Innenstadtlagen aussehen? Wie können Flächen künftig genutzt werden, welche Konzepte dürften nachhaltig tragfähig sein, um die Anziehungskraft für die Innenstadt wieder herzustellen? Wo liegen die Probleme und Hindernisse?

Das waren die Themen des Forums Einzelhandelsentwicklung, zu dem die GMA und Taylor Wessing anlässlich der Eröffnung der neuen GMA-Niederlassung in Hamburg geladen hatten. 150 Experten aus Stadtplanung, Wirtschaftsförderung, Handelskammer, Einzelhandel sowie Investoren waren eingeladen, um das Thema ressortübergreifend zu diskutieren. Die Probleme und Hindernisse aus immobilienrechtlicher Sicht wurden von den Taylor-Wessing-Rechtsanwälten Andrea Hermani und Alexander Peinze dargestellt.

Hohe Buchwerte und Preisvorstellungen als Hemmnis

Inzwischen sei allen Beteiligten klar geworden, dass Einzelhandel, Immobilienwirtschaft und Kommunen gemeinsam an Lösungen arbeiten müssten, um ein für die Stadtentwicklung so bedeutsames Problem in den Griff zu bekommen, stellt Raimund Ellrott, Leiter des GMA-Büros Hamburg, fest. Das zeigte sich aber bereits nach den medienwirksamen Aktionen der von der Hertie-Insolvenz betroffenen Bürgermeister 2008 und 2009, die gehofft hatten, den britischen Immobilieneigentümer Dawnay, Day noch zu Mietsenkungen bewegen zu können, um Hertie zu retten. Bekanntlich aber ohne Erfolg.

Für Ellrott ist aber auch klar, dass die Neu- und Umstrukturierung leer stehender Warenhausimmobilien alle Beteiligten, von Projektentwicklern, über Investoren, Einzelhändler und Kommunen bis hin zu Gutachtern und Anwälten noch lange beschäftigen werde. Von den 64 Hertie-Häusern, die Dawnay, Day gehören, sind bislang erst 14 verkauft, einige wenige konnten vermietet werden.

Dass das klassische Warenhaus kein Erfolgskonzept mehr ist, ist seit Mitte der 1970er Jahre offensichtlich. Von da an ging es praktisch durchgehend bergab. Der Marktanteil sank von 13% in den 1960er-Jahren auf 3% (2008). Im Jahr 2000 gab es noch 330 Warenhäuser, 2009 nur noch 225. Floss 1970 noch jede 7. Mark ins Warenhaus, so ist es derzeit nur noch jeder 30. Euro.

Die Beispiele Kaufhof in Deutschland, Selfridges (Foto: Oxford Street) in Großbritannien, Sak’s Fifth Avenue oder Nieman Marcus in den USA sowie die Karstadt-Weltstadt-Häuser KaDeWe oder Alsterhaus zeigen, dass es Erfolgsrezepte gibt. Und im Segment Bekleidungskaufhaus steht  P & C für eine erfolgreiche Strategie.

Mit Blick auf die Standortqualität der Filialen ist die Ausgangslage aber sehr unterschiedlich. Bei den Hertie-Standorten sind über 40% in Städten mit weniger als 50 000 Einwohnern und rund 25% in Stadtteillagen angesiedelt. Diese Filialen bereiten den Warenhaus-Konzernen schon seit Jahren Probleme, da sich bei den kleinen Flächen immer die Frage nach dem richtigen Sortiment für den jeweiligen Standort stellt.

Doch unabhängig von Standort und Größe liegen die Probleme für eine schnelle Nachnutzung vielfach in zu hohen Buchwerten und Kaufpreisvorstellungen, Unsicherheiten bei Verfügbarkeit und Eigentümerstruktur, Engpässen bei der Finanzierung und rechtlichen Fragen, auch bezüglich des Insolvenzrechts.

Wirtschaftlich nachhaltige Lösungsansätze müssten stets projektspezifisch auf Basis der standort-, markt-, potenzial- und insbesondere objektseitigen Rahmenbedingungen und Gegebenheiten eruiert werden, so Ellrott. Diese Einschätzung teilen auch die Münchener BBE Handelsberatung sowie die GfK Geomarketing.

Dabei scheinen als Grobraster verschiedene Varianten denkbar: Für Immobilien in attraktiven Innenstadtlagen mit 2 500 bis 3 000 qm Verkaufsfläche auf zwei bis drei Etagen bietet sich laut Ellrott eine Nachnutzung durch einen Ankermieter an, ein SB-Warenhaus, Textilkaufhaus oder Elektronikfachmarkt. Als mögliche Betreiber kommen Kaufland, die schon einige Standorte übernommen haben, Rewe,  H & M, P & C, Saturn oder The Sting infrage.

Umbau zum Shopping-Center gilt oft als Königsweg

Für eine Immobilie in Mittelstädten (50 000 bis 70 000 Einwohnern) und Stadtteillagen mit mindestens 1 500 qm Verkaufsfläche im Erdgeschoss, bietet sich die Nachnutzung durch mehrere Handelsanbieter an, z.B. ein Ankermieter mit ergänzenden Handels- und Dienstleistungsnutzungen. Als erfolgreiches Beispiel für diese Version dient laut GMA die im Frühjahr 2009 eröffnete Stadthausgalerie Andernach. Möglich wäre auch eine Teilung der Flächen für mehrere Großmieter wie Saturn, C&A oder H & M, die in kleineren Städten auch mit kleineren Konzepten auf etwa 800 qm an den Markt gehen. Diese Entwicklung zum Geschäftshaus verfolgt z.B. der Projektentwickler Development Partner aus Düsseldorf bei zwei ehemaligen Hertie-Warenhäusern in München.

Die Umstrukturierung zu einem Einkaufszentrum mit einem Mix aus klein-, mittel- und großflächigen Anbietern unterschiedlicher Branchen und Bedarfsstufen wird häufig als „Königsweg“ für die Zukunft der Warenhäuser genannt – und auch von den großen Shopping-Center-Spezialisten geprüft. Geeignet sind aber nur Standorte mit 10 000 bis 12 000 qm. Die Hertie-Filialen haben meist nur über 8 000 qm.

Hier liegt die Lösung aus Sicht der Experten in Abriss, Neubau und Hinzunahme weiterer Grundstücke. Als gelungenes Beispiel gilt das Einkaufszentrum Mercado in Hamburg-Altona, ein ehemaliger Hertie-Standort der mit zusätzlichen Flächen auf 24 000 qm erweitert wurde. Auch der City Point Kassel (ehemals Hertie plus Nachbarflächen) und das Einkaufszentrum Hamburg-Bramfeld (ehemaliges Warenhausgrundstück plus Nachbarflächen) sind erfolgreiche Beispiele.

Die Umgestaltung in Wohnungen ist selten möglich

Grundsätzlich problematisch ist die Mietersuche für die 2. und 3. Etagen. Hier schließt sich Ellrott etwa auch der Einschätzung von CB Richard Ellis an. Es bieten sich Nutzungen als Büros, Freizeitangebote und Fitness, Praxen und öffentliche Einrichtungen an, wofür die Kommunen in die Pflicht genommen werden müssten. Wohnnutzungen kommen aus baulichen Gründen meist nicht in Frage.

Eine weitere Variante sind einzelhandelsfremde Nachnutzungen als  Büros, Gesundheits-Angebote, Fitness und Wohnungen, wo es möglich ist – meist in Mischnutzung. Hier hängt der Erfolg des Konzepts von der Marktsituation bei den Nachnutzungsformen und der Eignung bzw. Verwertbarkeit der Flächen ab (Etagengrundrisse, Stützenraster, Lichtverhältnisse, Erschließung).

Eine völlig handelsfremde Nachnutzung ist bezüglich Wirtschaftlichkeit und als Frequenzbringer jedoch die „letzte Lösung“, vorzuziehen ist eine Mischnutzung mit Einzelhandel. Als erfolgreiche Beispiele gelten das Gertrudis-Center in Bochum-Wattenscheid, ehemals Kaufhaus Rupprecht, und das Kleist Forum, ehemals Horten-Hamm, mit Fachhochschule, öffentlicher Bibliothek, Volkshochschule. Das kurz vor der Fertigstellung stehende Projekt wäre allerdings ohne öffentliche Mittel nicht zu realisieren gewesen.

Auch eine Reihe individueller Lösungen sind denkbar, wie Beispiele belegen. Aus einem ehemaligen Baumarkt in Herford wurde eine Diskothek, aus einem Herforder C & A-Haus ein Fitnesscenter.

Eine aktuelle, spannende und vielleicht wegweisende Projektplanung ist das erste deutsche innerstädtische Ikea-Haus in Hamburg-Altona. Früher einmal eine Karstadt-Filiale innerhalb einer traditionsreichen Einkaufsstraße, jetzt zusammen mit der ganzen Lage ein heruntergekommener hässlicher Betonklotz, der von Künstlern zwischengenutzt wird. Ikea ist hier Schlüsselprojekt und Magnet für die Revitalisierung eines ganzen Viertels. Allerdings gibt es heftigen Gegenwind aus Teilen der Bevölkerung, die sich am gestiegenen Verkehrsaufkommen stören.