GMA Forum Einzelhandel – Diskussion um § 11,3 BauNVO ist noch nicht beendet

Nachdem die Bundesregierung die Hoffnung insbesondere des deutschen Lebensmitteleinzelhandels auf eine Novellierung von § 11 Abs. 3 Baunutzungsverordnung (BauNVO) in dieser Legislaturperiode enttäuschte, hatten das Beratungsunternehmen GMA und die Anwaltskanzlei Taylor Wessing das Thema mit Blick auf die gängigen Restriktionen bei der Genehmigung von großflächigem Einzelhandel auf die Agenda ihres „Forums Einzelhandel“ gesetzt. Dabei zeigte sich, dass das Thema noch längst nicht vom Tisch ist. Eine Studie gibt jetzt neue Hoffnung.
„Wir wollen für jeden Quadratmeter kämpfen“, sagte Norbert Mohren vom Immobilienbüro West des Discounters Lidl. Die Beschränkung der Verkaufsfläche auf 800 qm bzw. 1 200 qm Geschossfläche ist mit Blick auf den Wandel im Einzelhandel, der neue Aufgaben, wachsende Angebote und den Wunsch der Kunden nach breiten Gängen mit sich bringt, aus seiner Sicht nicht mehr zeitgemäß. Mohrens Wunschverkaufsfläche beträgt 1 300 qm. Viele Kollegen – insbesondere Supermarktbetreiber – dürften ihm beipflichten, manche würden die Marke auch noch gerne höher setzen.
Unter der Überschrift „8 Jahre 800 qm – Die Rechtsprechung zur Großflächigkeit (Rück- und Ausblick)“ wies Roland Schmidt-Bleker von der Kanzlei Taylor Wessing darauf hin, dass auch bei der Rechtsprechung bislang die Bereitschaft, die Grenze anzuheben, nicht groß sei. Dabei bezog sich der Jurist auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig vom 24.11.2005 zur bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit von großflächigen Einzelhandelsbetrieben.
In mehreren Verfahren waren die Richter der Frage nachgegangen, unter welchen Voraussetzungen ein Einzelhandelsbetrieb als großflächig einzustufen sei. In ihrer Entscheidung bestätigten sie die Vorgaben von § 11,3 BauNVO und stellten fest, dass ein Einzelhandelsbetrieb als großflächig einzuordnen sei, wenn er eine Verkaufsfläche von 800 qm überschreite. Ein Markt dieser Größenordnung sei dann nur in Kern- und Sondergebieten zulässig.
Was genau zur Verkaufsfläche gerechnet werden muss, legten die Richter in ihrer Definition fest: Dazu gehören alle Flächen, die vom Kunden betreten werden können oder die er – wie bei einer Fleischtheke mit Bedienung durch Personal – einsehen, aber aus hygienischen und anderen Gründen nicht betreten darf. Dabei kommt es nicht auf den Standort der Kassen an, vielmehr sind auch die Bereiche, in die der Kunde nach der Bezahlung gelangt, einzubeziehen.
Zur Verkaufsfläche gehören laut Mohren in einem durchschnittlichen Lidl-Markt die Fläche vor der Pfandrückgabe, die Packzone hinter der Kasse und auch der „Eingangskoffer“ – kurz: der Windfang zwischen Eingang und Verkaufsraum, der aus energetischen Gründen eingebaut wird, um zu verhindern, dass im Winter zu viel Wärme entweicht und im Sommer zu viel warme Luft eindringt. Diese Flächen fehlen für den eigentlichen Verkauf.
Welche wirtschaftlichen Konsequenzen es für Einzelhandelsunternehmen haben kann, wenn die Verkaufsflächen zu klein und zu alt sind, erläuterte Mohren am Beispiel der Drogerie-Kette Schlecker, die aus diesem Grund in die Insolvenz geschlittert war. Und auch Schmidt-Bleker findet, dass die Festlegung der Verkaufsflächengrenze auf 800 qm schlicht willkürlich sei.
Das bestätigt nun auch die Studie „Qualifizierte Nahversorgung im Lebensmitteleinzelhandel“, die jüngst von der HafenCity Universität Hamburg im Auftrag des Handelsverbands Deutschland (HDE), des BVL und der IREBS in Regensburg erstellt wurde. Für die Studie wurden bundesweit an ausgewählten Standorten in Städten und im ländlichen Raum über 4 000 Personen aller Altersgruppen befragt. Nach den Worten von Sascha Anders von der HafenCity Universität Hamburg, der die Ergebnisse beim Forum Einzelhandel vorstellte, ergab die Studie, dass die 800 qm Verkaufsflächenschwelle zur Großflächigkeit empirisch nicht festzustellen ist. Allerdings sei auch kein anderer spezifischer Grenzwert, ab dem sich der Einzugsbereich signifikant verschiebt oder erweitert, festzustellen.
So hängen die Höhe des Umsatzes und der Kundenfrequenz sowie die Häufigkeit der Belieferung eines Lebensmittelmarktes mit Ware nicht von seiner Größe, sondern von seinem Standort ab. Die Studie ergab zudem, dass Supermärkte mit 1 170 qm Verkaufsfläche gegenüber Discountern – trotz vergleichbarer Einzugsbereiche und durchschnittlicher Umsätze pro Markt – in ihrer Standortwahl begrenzt seien.
Mit Blick auf diese Ergebnisse wünscht sich Mohren bei den Kommunen mehr Flexi-bilität und eine Diskussion über die einzelnen Standorte und nicht über starre
Verkaufsflächengrenzen.
Dem schließt sich Michael Reink, Bereichsleiter Standort und Verkehrspolitik beim HDE an: „Wir plädieren für eine flexible Handhabung je nach Standort.“ HDE-Experte Reink bedauert, dass die Studie für die Anhörung beim Bundesbauministerium über die Frage, ob § 11,3 BauNVO geändert werden sollte, einige Monate zu spät kam. Damals habe die Politik moniert, dass es keine Studie zu dieser Problematik gab. Nun liegt sie vor. Laut Reink ist die Diskussion über § 11,3 BauNVO noch nicht beendet. Denn der Bundestag habe einen Entschließungsantrag auf den Weg gebracht, wonach die Bundesregierung § 11,3 BauNVO nochmals anpacken solle. Abgehakt ist die Diskussion über das Thema nach Einschätzung von Torsten van Jeger von Taylor Wessing auch mit Blick auf die europäische Harmonisierung in Brüssel nicht. Für den Juristen stellt sich auch deshalb die Frage, ob die deutsche Festlegung, dass der großflächige Einzelhandel bei über 800 qm Verkaufsfläche beginne und besonders reguliert werden müsse, beibehalten werden könne. Aus Sicht von Brüssel verstößt § 11,3 BauNVO gegen die Niederlassungsfreiheit.
Über den „sachlichen Teilplan großflächiger Einzelhandel“ für Nordrhein-Westfalen, der den seit Ende 2011 außer Kraft gesetzten § 24 a des Landesentwicklungs-Programms (LEPro) ablösen wird, berichteten van Jeger und sein Kollege bei Taylor Wessing, Alexander Köpfler, mit Blick auf die Verabschiedung durch den Landtag. In ihrem Resümee kommen die Experten zu dem Ergebnis, dass durch den sachlichen Teilplan die Planungshoheit der Gemeinden stark eingeschränkt werde, die Bauleitplanung für Vorhaben im Sinne von § 11,3 BauNVO komplizierter werde und sich tendenziell nur noch wenige Standorte für Vorhaben im Sinne von § 11,3 BauNVO eignen würden. Ob die neue Rechtsverordnung – anders als § 24, a LEPro – vor der Rechtsprechung Bestand hat, wird sich in einigen Jahren zeigen.
Flachere Hierarchien in  deutschen Mittelstädten
Ein Thema, das in der deutschen Handelsimmobilien-Szene wachsende Bedeutung gewinnt, ist zudem die Frage, wie attraktiv die Mittelstädte mit 50 000 bis 100 000 qm sind? Denn auch hier wollen die Bürger ein attraktives Einzelhandelsangebot haben, wie der Bürgermeister von Bergisch Gladbach, Bernd Martmann berichtete. Um den eklatanten Kaufkraft-Abfluss seiner Stadt vor den Toren von Köln zu stoppen, gelang es, die hkm Management AG für die Entwicklung von 2 auf die Bedürfnisse der Stadt abgestimmte Shopping-Center zu gewinnen. Wichtig war für hkm-Chef Herbert Krämer, das bestehende Angebot zu ergänzen, um den benachbarten Einzelhandel nicht unter Druck zu setzen.
Harald Ortner, Geschäftsführer der HBB GmbH aus Hamburg, die ein innerstädtisches Center in Hanau nach einem „extrovertierten, introvertierten“ Konzept baut, schätzt an der Mittelstadt die Geradlinigkeit, Direktheit und Verlässlichkeit von Politik und Verwaltung. Nach den Worten von Andrea Hermanni von Taylor Wessing sind die Mittelstädte in der Regel attraktiv, weil sie in der Verwaltung flachere Hierarchien haben und vieles schneller geht. Welche 50 Mittelstädte besonders attraktiv sind hat die GMA in einer Studie untersucht. Auf Grundlage von 11 Kriterien – darunter Bevölkerungsentwicklung, Arbeitslosigkeit, Einpendler, Kaufkraft- und Zentralitätskennziffer – wurden die Städte ermittelt, die im Schnitt betrachtet am besten abschneiden.