Nahversorgung in Deutschland – Ein heißes Thema für Kommunen, Einzelhändler und Investoren

Ideenkapital Fondsobjekt

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In der Verbandsgemeinde Hamm/Sieg, am nördlichen Rande von Rheinland-Pfalz, leben 13 000 Einwohner. In diesem Verbund aus 10 Ortschaften gibt es neben der Kerngemeinde Hamm nur 2 Orte mit einem Lebensmittelmarkt, einem Tante Emma Laden und einer Metzgerei. Und auch in der Kerngemeinde Hamm selbst war die Auswahl mit einem innerörtlichen Lebensmittelmarkt, einem kleinen Discounter und einem Aldi am Ortsrand in punkto „Deckung des täglichen Bedarfs“ nicht befriedigend. Die motorisierten Bewohner fuhren deshalb in die 8 – 10 km entfernten Städte Wissen oder Altenkirchen zum Einkaufen. Hamm ist kein Einzelfall.

Um die Kaufkraft in Hamm zu halten, entschloss sich die Kommune auf dem 7 600 qm großen Gelände eines ehemaligen Möbelhauses, direkt neben Aldi, ein Fachmarktzentrum (Foto: Ideenkapital) zu genehmigen: Mit einem Penny-Discounter, einem Getränkemarkt, dem Textil-Discounter KiK, einem Rossmann-Drogerie-Markt und einer Bäckerei zur Rund-um-Versorgung. Auch ein zuvor erstelltes Einzelhandelsgutachten hatte den Bedarf – vor allem bei Drogerieartikeln und Bekleidung – identifiziert. Die Lage der Handelsagglomeration am Rande von Hamm hat 2 Vorteile: Für viele Bewohner der Kerngemeinde ist sie fußläufig erreichbar, für die Bewohner der umliegenden Ortsgemeinden liegt sie verkehrsgünstig am Ortsrand.

Szenenwechsel: In Mausbach, einem der 17 Ortsteile, die die Stadt Stolberg in der nordrhein-westfälische Städterregion Aachen bilden, wurde auf Grundlage eines Dorfentwicklungskonzepts für die nächsten 20 bis 25 Jahre ein Fachmarktzentrum entwickelt: mit einem gut 1 800 qm großen Rewe-Vollsortimenter und einem knapp 1 500 qm großen Aldi-Discounter in verkehrsgünstiger Lage. Auch in Mausbach hatten viele Bewohner die Nahversorgung durch einen kleinen innerörtlichen Discounter und einen Schlecker-Markt bemängelt. Um ihren Bedarf zu decken, mussten sie in den 4,5 km entfernten Stadtkern von Stolberg fahren.

Das Kernanliegen von Mausbach deckt sich mit dem vieler ländlicher Gemeinden vor allem im Westen Deutschlands: die Nahversorgung der alternden Bevölkerung, die keine weiten Strecken mit dem Pkw mehr fahren können. Deshalb werden im Dorfentwicklungskonzept für den Standort des Fachmarktzentrums auch klare Vorgaben gemacht: Überschaubare, unkomplizierte Verkehrsadern sowie bequeme, breit angelegte Parkplätze und eine wohnortnahe Anbindung durch den öffentlichen Nahverkehr.

Als Käufer konnte die BVT in München gewonnen werden, die das Objekt für ihren geschlossenen Immobilienfonds IFK Sachwertfonds Deutschland Nr. 1 Objekt GmbH & Co. KG erworben hat.

Und auch der Luftkurort Bosau im Kreis Ostholstein am Großen Plöner See war unterversorgt. Ein kleiner Supermarkt mit 120 qm Verkaufsfläche konnte den Bedarf der etwa 3 500 Einwohner in der aus mehreren Ortsteilen bestehenden Gemeinde nicht decken. Zum Einkauf mussten sie 10 – 15 Minuten Fahrtzeit zu den Geschäften in Eutin oder Plön auf sich nehmen. Deshalb entschloss sich die Edeka Handelsgesellschaft Nord, eine der 7 Regionalgesellschaften der Edeka Zentrale in Hamburg, in enger Abstimmung mit der Stadtplanung und dem Kreis einen Supermarkt mit 800 qm Verkaufsfläche als Eigentumsobjekt zu errichten.

Als Mieter und Betreiber konnte der selbstständigen Bosauer Kaufmann Ralf Zimmermann gewonnen werden, der durch den Betrieb des kleinen Supermarktes viel lokales Wissen mitbrachte. Im neuen Markt bringt Edeka etwa 10 000 Artikel des täglichen Bedarfs unter – deutlich mehr als ein Discounter – und auch für Frischeabteilungen in komprimierter Form ist Platz. Inzwischen kommen Kunden aus 20 km Entfernungen, um im zentral gelegenen Edeka-Markt im Ortsteil Bosau-Hutzfeld an der Hauptstraße einzukaufen. Dass Bosau als Teil des Naturschutzparks Holsteinische Schweiz ein wichtiges Touristengebiet mit 128 000 Übernachtungen (2009) ist, erhöht die wirtschaftliche Grundlage des Lebensmittelmarktes.

Edeka nennt keine Größenordnung für das erforderliche Einzugsgebiet eines solchen Nahversorgers. In der Regel suchen Unternehmen wie etwa die Kölner Rewe Standorte mit einen Einzugsgebiet, in dem mindestens 5 000 Menschen leben.

Die Beispiele zeigen plakativ die Grundproblematik, mit der sich viele deutsche Kommunen befassen müssen: Die wohnortnahe und flächendeckende Grundversorgung der Bewohner. Denn nachdem in den vergangenen Jahrzehnten viele Lebensmittelmärkte im ländlichen Raum verschwanden, weil sie zu klein und damit unrentabel waren oder ein Nachfolger fehlte, wird es immer dringlicher, die Lücken zu schließen. Besonders problematisch ist die Lage in Gemeinden mit vielen Ortsteilen, von denen jeder einzelne für den rentablen Betrieb eines Discounters oder Supermarkts zu klein ist. Aber auch die Großstädte sind in punkto Lebensmittelläden schlecht ausgestattet, wie GfK Geomarketing in ihrer Untersuchung über die Nahversorgung herausfand.

Das bestätigen die Zahlen: Nach Feststellung des EHI Retail Institute in Köln nimmt die absolute Zahl der Verkaufsstellen weiter ab, während die einzelnen Flächen immer größer werden. So ist die Zahl der Lebensmittelgeschäfte laut „Handel aktuell 2008/09“ des EHI von 75 700 im Jahr 1995 auf 51 400 im Jahr 2007 gesunken. Dass, wie etwa der Expansionsleiter Vollsortiment der Marke Rewe, Stephan Koof beobachtet, die City-Märkte mit etwa 500 qm Verkaufsfläche gerade auch bei den Älteren immer besser angenommen werden, macht es leichter, die Nahversorgung auch an integrierten Standorten zu sichern. Rewe hat heute ca. 180 City-Märkte. Und bei der Edeka-Organisation hat jede Regionalgesellschaft ihre Nahversorgungskonzepte.

Dass aus Sicht des Verbrauchers heute die Nähe des Supermarktes zum Wohnort wichtiger ist als der Preis, hat auch die Cima in einer Studie festgestellt. Das erklärt, warum Lebensmittelhändler wie Edeka, Rewe oder die Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland ihre Expansion forcieren. Rewe eröffnete im Vorjahr 240 neue Lebensmittel-Märkte aller Größenordnungen. Und der Vorstandschef der Edeka AG, Markus Mosa, kündigte an, dass jährlich 1 Mrd. Euro in die Modernisierung und Erweiterung des Filialnetzes investieren werden soll. 2011 sind 200 neue Vollsortimenter und 300 Discounter geplant. Ähnlich expansiv sind die Drogerie-Ketten dm, Rossmann oder Müller sowie die Textil-Dsicounter Kik oder Takko.

Dabei geht bei der Nahversorgung der Trend zum „One-Stop-Shopping“, d.h. der Erledigung mehrerer Besorgungen gleichzeitig. Die Mischung aus Discounter, Lebensmittel-Vollsortimenter, Drogeriemarkt und Textilgeschäft ist nach Feststellung der BBE Handelsberatung die bevorzugte Kombination. So bilden diese Branchen meist die Bausteine von Fachmarktzentren der jüngeren Generation.

Begünstigt wird der Aufbau der Nahversorgung, weil sich alle Spieler in die gleiche Richtung bewegen: Die Kommunen, die erkennen, dass eine gute Nahversorgung Lebensqualität für die Wohnbevölkerung und damit für Städte, Stadtteile und Dörfer bedeuten. Der Einzelhandel, der diese Entwicklung als Chance für seine Expansion begreift. Und die Investoren, die dieses Segment zunehmend für sich entdecken. Das gilt auch für institutionelle Investoren wie Versicherungen. Laut Jones Lang Lasalle bieten deutsche Fachmarktzentren mit 6% derzeit die höchsten Nettoanfangsrenditen im Segment Handelsimmobilien. Bei Shopping-Center sind es 5,25%, bei Geschäftshäusern 4,19%.

Das Interesse der Versicherungen kommt für Experten wie André Langmann, Vorstandschef der Erlanger GRR AG nicht überraschend: Diese Klientel erkenne zunehmend, wie stabil der Cash-flow auch in schwierigen Zeiten sei. So beteiligte sich 2008 die Provinzial Rheinland Lebensversicherung AG an der GRR, die auf Lebensmittel-, Fachmärkte und Discounter spezialisiert ist, und hält heute mit dem Immobilien-Dachfonds INIZIO 90% der GRR-Anteile.

Zudem sind es vor allem die geschossenen Immobilienfonds, die sich auf Grund der defensiven Qualitäten für dieses Segment interessieren. Zu nennen sind hier etwa BVT, Ideenkapital oder deboka Deutsche Grund & Boden Kapital AG. Auch Henderson Global Investors zielt mit dem „German Retail Income Fund“ auf diesen Nischenmarkt. Und die Hahn-Gruppe bewegt sich schon lange im Segment große Fachmärkte. Laut Jones Lang LaSalle wurden 2010 rd. 783 Mio. Euro in Fachmärkte investiert (2009: 474 Mio. Euro). Das Transaktionsvolumen für einzelne Fachmärkte summierte sich auf 336 Mio. Euro und bei Supermärkten und Discountern auf 842 Mio. Euro. Wie es 2011 läuft, wird vom Angebot abhängen.