Studie: Mittelstädte auf der Suche nach Investoren

Die Begriffe „Stadt und Handel“ werden gerne als Zwillingspaar gesehen. Dass ein vielfältiges Einzelhandelsangebot in der Werteskala der Bundesbürger für die Attraktivität einer Stadt ganz oben steht, ist seit einer Untersuchung der Cima GmbH bekannt. Und viele Städte sind vor 1 000 Jahren mehr oder weniger aus Marktplätzen entstanden. So stellt auch für viele Kommunen der Wirtschaftsfaktor Einzelhandel „einen wichtigen Baustein einer erfolgreichen Stadtentwicklung dar“.

Mönchengladbach Arcaden (mfi)

Mönchengladbach Arcaden (mfi)

In den vergangenen 40 Jahren hat sich das Zwillingspaar jedoch auseinander entwickelt, da mit steigendem Warenangebot der Flächenbedarf des Einzelhandels über die oft engen Geschäfte in den Innenstädten hinaus gewachsen ist und Investoren das Segment Handelsimmobilien für sich zunehmend als Rendite-Objekte entdecken. Große Handelsimmobilien siedelten sich auf der grünen Wiese an. Es schien, als brauche der Handel die Stadt nicht mehr.

„Handel und Stadtentwicklung stehen immer im Spannungsfeld divergierender Interessen, die einerseits gesamtwirtschaftlich, andererseits privatwirtschaftlich orientiert sind und in der Thematik Einkaufszentrum besonders konträr aufeinander treffen“, umschreibt die Studie „Quo vadis Einzelhandel in Mittelstädten?“ die Gemengelage. Erstellt wurde die Studie vom Kompetenzzentrum Handelsimmobilien vom IREBS Institut für Immobilienwirtschaft der Uni Regensburg unter Leitung von Prof. Kurt Klein (Foto) im Auftrag der Essener Management für Immobilien –  mfi AG. Autor der Studie ist Dipl. Geograph Jens Hirsch. Per Online-Befragung wurden alle 213 deutschen Mittelstädte mit 50 000 bis 250 000 Einwohnern angeschrieben, 103 davon antworteten. Befragt wurden vornehmlich Stadtplaner und Wirtschaftsförderer. „Es ging uns darum,  herausfinden, wie die verantwortlichen Akteure in den Städten „ticken“, welche Bedeutung Handel, Stadtentwicklung, Zentralität und Sortimentsstruktur für sie haben“, erläutert Christof Glatzel, (Foto) Vorstand Projektentwicklung der mfi AG. „Das  Institut für Immobilienwirtschaft der Universität Regenburg war dazu als unabhängige und renommierte Einrichtung bestens geeignet.“

Wie die Studie ergab, ist der Einzelhandel für die Mittelstädte sehr wichtig, weil er die Versorgungsfunktion erfüllt und ein möglichst umfassendes Einzelhandelsangebot dazu beiträgt, die Zentralität einer Stadt – sprich: die Sogwirkung  auf die Kaufkraft im Umland – zu steigern. „Die Chance, die für die Stadtentwicklung vom Einzelhandel ausgehen, werden sehr hoch eingeschätzt“, heißt es in der Studie, „ und auftretende Defizite dementsprechend thematisiert“.

Shopping-Center gelten dabei für die innerstädtische wie auch für die gesamtstädtische Einzelhandelsentwicklung als erste Wahl, da sie die Einzelhandelszentralität stärken, eine Stabilisierung bzw. Aufwertung von Standorträumen (Innenstadt) bewirken und städtebauliche Funktionen und gestalterische Wirkung übernehmen. Diese hohen Erwartungen wurden, wie die Befragung zutage förderte, in Städten mit neuen Centern auch nicht enttäuscht.

„Vor der Realisierung eines Shopping Centers gibt es zwar nahezu immer Ängste und Befürchtungen“, zählt Glatzel auf. „Wurde ein Center aber nachhaltig geplant und dementsprechend in enger Kooperation mit der Stadt umgesetzt und integriert, zeigt sich ein völlig anderes Stimmungsbild.“

Einer der Gründe für diese Ängste in den Kommunen ist laut Befragung „die unbegrenzte Mobilität des Kapitals“. Die internationalen Investoren hätten weniger Interesse daran, durch die Finanzierung eines Shopping-Centers einen öffentlichen Auftrag im Sinne der Stadtentwicklung zu unterstützen, sondern vielmehr die  Renditeziele ihrer Anleger zu erfüllen. Und auch der filialisierte Einzelhandel mit zig Filialen hat weniger Interesse am einzelnen Standort als der örtliche Kaufmann im eigenen Laden. Die standardisierten Konzepte erzeugen oft standardisierte Immobilien. Diesen Konflikt zwischen Wirtschaftlichkeit und Stadtentwicklung gilt es zu entschärfen.

Einkaufszentren sind laut Befragung für viele Mittelstädte – angesichts der leer stehenden Hertie-Filialen – auch die logische Konsequenz, um die Handelsfunktion in den Cities zu stärken, nachdem die Warenhäuser, die Magnete früherer Zeiten, an Bedeutung verlieren und auch die Fachgeschäfte aus vielen integrierten  Lagen verschwinden. „Diese sehr starke Instrumentalisierung von Einkaufszentren für die Stadtentwicklung findet auch Ausdruck in dem gesteigerten Interesse der Mittelstädte an einer Zusammenarbeit mit Projektentwicklern“, heißt es in der Studie.

Dabei sind die Interessen der wichtigen Spieler recht gegensätzlich gelagert. Das Spannungsfeld bewegt sich zwischen dem Konsument mit seiner Preisorientierung und dem Anspruch auf Erlebniskauf, der letztlich über das Sein der Immobilie bestimmt, dem Handel, der vor allem Umsatz machen will, der Immobilienwirtschaft, die Rendite erzielen will und der Kommune, die eine Grundversorgung anstrebt und die städtebauliche Integration der Immobilien.

„Somit sind bei Planung, Bau und Betrieb der Handelsimmobilie und speziell eines Einkaufszentrums ein ganzes Bündel sich wiedersprechender Ziele der Handelsunternehmen, der Immobilienwirtschaft, der öffentlichen Kommunalplanung aber auch der Konsumenten zu moderieren“, bringt die Studie die Gemengelage auf den Punkt. Zumal sich die Entwicklung großflächiger Immobilien heute gar nicht mehr ohne die Zusammenarbeit mit privaten Entwicklern und Investoren realisieren lassen.

So müssten die Kommunen versuchen, „einen Ausgleich zu schaffen zwischen den renditeorientierten Wünschen der privaten Akteure und dem Allgemeinwohl“, heißt es in der Studie weiter. Dabei gilt es unterschiedliche Planungshorizonte zu vereinen zwischen dem Investor, der manchmal bereits beim Einstieg seinen Exit plant und der Stadtplanung, die bleibende Werte für die Bewohner schaffen will. „In kaum einem anderen Wirtschaftsbereich erfolgt ein derartig restriktiver Eingriff der Planung in die Marktverhältnisse“, stellt Autor Hirsch fest.

Da stößt das reine Gewinnstreben mancher Investoren und mangelnde Rücksicht auf die Bedürfnisse vor Ort auf den Unmut der Kommunen und die mangelnden Kenntnisse mancher Projektentwickler über das Planungsrecht erschwert die Zusammenarbeit. Andererseits erbitten sich die Entwickler und Investoren mehr Verständnis für die betriebswirtschaftlichen Sachzwänge, z.B. wenn es um die ökonomisch rentable Mindestgröße von Centern geht oder um die frühzeitige Planungssicherheit für die Investoren. Der Handel und seine Immobilien berühren den  Nerv einer Stadt. In dieser Lage sieht sich die mfi laut Glatzel „als Partner der Städte. Unser Anspruch lautet: maximale Authentizität und Transparenz“.

Laut Studie haben 60,6% der befragten Städte großen Einfluss auf die architektonische Gestaltung der Shopping-Center genommen, 71,4% auf die städtebaulichen Aspekte und 47,1% Einfluss auf die Aufenthaltsqualität außerhalb des Centers. Zunehmend wünschen sich die Städte auch offene Shopping-Center, wie sie seit 1990  in den USA gebaut werden – und greifen damit in das Kernprodukt der Entwickler ein.

Die starke Einflussnahme der Planung auf architektonische Gestaltung und städtebauliche Integration wird aus Sicht der Experten den Einigungsbedarf zwischen Entwicklern und Städten beim Bau von Einkaufszentren in Zukunft noch erhöhen. Deshalb will die Studie einen Beitrag leisten zum besseren Verständnis von Handel, Projektentwickler und Stadtentwicklung, wobei in diesem Fall vor allem die Sicht der Planung untersucht wurde. Es gilt über neue Formen der Partnerschaften nachzudenken.

Laut Studie sehen 100 der 103 befragten Mittelstädte noch Lücken im Einzelhandelsangebot und würden gerne neue Einzelhandelsgroßprojekte ansiedeln. Das scheitert meist an den klammen öffentlichen Kassen und dem Fehlen eines Geldgebers. Nur 29% der Städte konnten laut Befragung  alle Projekte realisieren. Bei 42,4% scheiterten sie, weil ein Investor fehlte. So rechnet sich laut Glatzel auch die mfi Chancen aus, bei der Weiterentwicklung des Einzelhandels mitzuwirken.