Wohnungsgesellschaften des Landes Berlin in Sorge um die Stadt
Die sechs Berliner landeseigenen Wohnungsgesellschaften Degewo, Gesobau, Gewobag, Howoge, Stadt und Land, WBM haben im September d.J. zu einem ungewöhnlichen Mittel gegriffen, um auf ihre besondere Situation im gegenwärtig herrschenden Spannungsfeld wachsende Stadt einerseits und zu geringer Neubau (und die Gründe dafür) andererseits aufmerksam zu machen und der Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen Katrin Lompscher einen Brief geschrieben, inoffiziell. Der Tagesspiegel Berlin veröffentlichte als einzige Zeitung den Wortlaut.
Zu den Hintergründen lesen Sie bitte auch morgen Der Immobilienbrief Nr. 410 Neues aus Berlin „Die Regierung R2G will keine neuen Wohnungen – und sieht auch keine Not“.
Der Immobilienbrief dokumentiert hier den Wortlaut mit freundlicher Genehmigung des Tagesspiegels. Laut Senatsverwaltung wird es keine Antwort geben (und schon gar nicht öffentlich), der monatliche Jour fixe zur Problemdarstellung und Lösung reiche völlig . KK
Sehr geehrte Frau Senatorin Lompscher,
Berlin wächst seit einigen Jahren, diese Entwicklung wird sich erfreulicherweise auch in den nächsten Jahren weiterhin deutlich fortsetzen. Die vorhandenen Wohnungen in der Stadt werden bei weitem nicht ausreichen, für alle heutigen und zukünftigen Berlinerinnen und Berliner Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Schon heute weisen die Bestandswohnungen nur noch Leerstände von 1 – 2 % auf. Nur durch Neubau wird es möglich sein, das Angebot auszuweiten und Wohnraum für alle Menschen in Berlin anbieten zu können. Wir sind überzeugt, dass nur ein durch Neubau massiv ausgeweitetes Angebot eine dauerhafte Stabilisierung der Mietpreise sicherstellt. Die städtischen Wohnungsunternehmen stehen zu ihrer Verantwortung, breite Schichten der Bevölkerung dieser Stadt mit Wohnraum in stabilen Quartieren zu versorgen.
Dies wird zukünftig nur durch Neubau möglich sein. Wir haben im Rahmen der Roadmap im Jahre 2016 Neubauziele bis 2026 vereinbart, die dann im Rahmen der Kooperationsvereinbarung bis 2021 weiter konkretisiert wurden. Wir haben auch in der Vergangenheit schon alle Hebel in Bewegung gesetzt, um diese Verantwortung zu leben und die vereinbarten Ziele zu erreichen. Nunmehr müssen wir aber feststellen, dass durch viele externe Einflüsse, die wir nicht oder nur im geringem Maße beeinflussen können, schon die Erreichung der Ziele bis 2021 absehbar deutlich in Gefahr gerät. Die aktuellen Zahlen haben wir Ihrem Hause im Rahmen der „BBU-Listen zum Neubau“ im letzten Jour Fixe am 19. Juni 2017 übergeben und detailliert zu den einzelnen Projekten erläutert.
Sehr geehrte Frau Senatorin Lompscher, um die gemeinsam vereinbarten Ziele bis 2021 beim Neubau erreichen zu können, brauchen wir Ihre Unterstützung. Gerne benennen wir Ihnen die derzeit herausforderndsten Themen, die den Neubau deutlich erschwere
1 Baugrundstücke
Die städtischen Wohnungsunternehmen benötigen zur Erreichung der Zielzahlen bis 2021, aber auch bis 2026, sehr kurzfristig weitere Einbringungsflächen des Landes Berlin. Baureife Grundstücke sind für die landeseigenen Wohnungsunternehmen aufgrund der derzeitigen Marktlage und der Einnahmemöglichkeiten, die bei den städtischen Wohnungsunternehmen sehr sozial verträglich für die Mieterinnen und Mieter gestaltet sind, in der Regel nicht mehrwirtschaftlich im Ankauf darstellbar. Weiterhin haben wir bei schon eingebrachten oder eigenen Grundstücken, die wir in den letzten Jahren vorbereitet haben, deutliche Verzögerungen festzustellen (siehe Protokoll Jour Fixe Neubau vomJuni 2017). Darüberhinaus sind für den Neubau vorgesehene große Bauflächen (z. B. Tegel, Elisabeth-Aue) erst deutlich verzögert oder gar nicht mehr realisierbar. Um dies ausgleichen zu können, müssen möglichst noch in diesem Jahr weitere Flächen des Landes aktiviert und auch schon konkret eingebracht werden, um bis 2021 Fertigstellungen oder zumindest Baubeginne realisieren zu können
2 Baurechtschaffung
Wir stellen fest, dass durch die Zuweisung der Zuständigkeit an die Bezirke für die Schaffung von Baurecht schon jetzt deutliche Verzögerungen in einzelnen Bauprojekten entstanden sind. Dies hat unterschiedliche Gründe – Personal- Probleme in den Bezirken, verlängerte Verfahrensabläufe durch bezirkspolitische Abstimmungen, teilweise die ablehnende Haltung auf Bezirksebene zur grundsätzlichen Durchführung bzgl. Größe von Neubauprojekten, teilweise keine bezirkliche Priorität beim Thema Neubau – die dazu führen, dass insgesamt die Baugenehmigungszahlen unserer Projekte schon jetzt absehbar rückläufig sind
3 Baukapazitäten/Baupreise
Durch die verstärkte Neubautätigkeit auf dem Markt in den letzten zwei bis drei Jahren sind die Kapazitäten der Baufirmen immer weiter ausgelastet worden, was mittlerweile dazu führt, dass die städtischen Wohnungsunternehmen als öffentliche Auftraggeber – diese Vergabeverfahren sind für Auftragnehmer immer sehr aufwendig und teilweise mit unsicherem Ausgang behaftet – sehr wenige oder teilweise schon gar keine Angebote mehr bei Ausschreibungsverfahren erhalten. Selbstverständlich führt dies auch zu Bauverzögerungen, da Ausschreibungsverfahren zum Teil wiederholt und anders konzipiert werden müssen.
Durch die Auslastung der Baubranche steigen nach unserer, aber auch nach der Wahrnehmung unabhängiger Statistiken, die Baupreise in kurzen Zeiträumen massiv an. Wir arbeiten mit Hochdruck und sehr viel kreativem Einsatz daran, diese marktbedingten Preissteigerungen z. B. durch Typenhausentwicklung auszugleichen, da unsere Einnahmesituation auf einem relativ niedrigen Niveau festgeschrieben ist, werden dies aber mittel- und langfristig nicht ausgleichen können. Diese Diskrepanz werden wir weiter beobachten und mit gesonderten Vorschlägen auf Sie zukommen.
4 Partizipation
Die landeseigenen Wohnungsunternehmen sind der Meinung, dass partizipative Prozesse mit dem Ziel, einen möglichst breiten Konsens über die Art der Ausführung von Neubauvorhaben zu erzielen, sinnvoll und notwendig sind. Daher erarbeiten wir mit Vertreterinnen und Vertretern der Stadtgesellschaft zusammen mit der Humboldt-Viadrina-Universität und Frau Prof. Dr. Gesine Schwan im Rahmen der Trialogverfahren derzeit Grundsätze zur Partizipation. Allerdings lässt sich schon jetzt feststellen, dass durch die politische Priorisierung und Öffentlichkeitsarbeit zum Thema „Partizipation“ fast bei jedem Bauvorhaben alle mittelbar oder unmittelbar Beteiligten motiviert werden, Bauprojekte grundsätzlich verhindern und in Frage stellen zu können. Dies führt absehbar zu Zeitverzögerungen, die sich schon jetzt in den Zielerreichungszahlen niederschlagen. Dauerhaft schätzen wir ein, dass wir in den konkreten zukünftigen Projekten, in denen Partizipationsverfahren nach noch zu erarbeitenden und vereinbarenden Standards durchgeführt werden, mindestens neun bis zwölf Monate länger im Rahmen der Vorbereitung benötigen, bis wir konkret in die Bauantragsphase bzw. in die konkrete Projektrealisierung übergehen können. Weiterhin sind zumindest mittlere und größere Projekte auch von Mehrkosten in nicht unerheblichen Umfang betroffen, da Erfolg versprechende Partizipationsverfahren nur mit externer Begleitung für Moderation/Mediation durchführbar sind. Über diesen zukünftig angedachten „normalen“ Partizipationsprozess hinaus werden derzeit und auch zukünftig durch die kommunikative Priorisierung der Partizipation natürlich auch sehr individuelle Interessen zur Aktion motiviert. Wir merken schon jetzt, dass die formalen Mittel des Widerspruchs oder der Klage gegen erteilte Baugenehmigungen seit einigen Monaten massiv genutzt werden und damit Projekte in jedem Fall zeitlich deutlich verzögert, im Worst Case aber auch ganz verhindert werden können. Wir sind bereit, alles in unserer Macht stehende zu tun, um die nötigen Neubauwohnungen zu erstellen und die vereinbarten Zielzahlen zu erreichen. Es ist aber aktuell absehbar, dass dies nicht möglich sein wird, wenn nicht kurzfristig und sehr konkret politische Unterstützung erfolgt.
Sehr geehrte Frau Senatorin Lompscher, wir bitten Sie uns zu unterstützen, die gemeinsam vereinbarten Ziele zu erreichen. Konkret könnten wir uns folgende Maßnahmen vorstellen:
Politische Priorisierung der Notwendigkeit von umfangreichen Neubauaktivitäten in Berlin, um eine Akzeptanz in der Bevölkerung zu schaffen und ein möglichst konsequentes und nachhaltiges kommunikatives Signal zu senden, sich maximal über das „Wie“, aber nicht über das „Ob“ von Neubauten zu unterhalten. Nur so können wir die positive Entwicklung der Stadt vorantreiben. Diese auch verbale Priorisierung von Neubau sollte sich auch möglichst schon in den Leitlinien des StEP Wohnen 2030 wiederfinden, was von den Vertretern der Wohnungswirtschaft auch mehrmals im Rahmen der Arbeitssitzungen angeregt wurde, jetzt aber noch nicht enthalten ist. Politische Unterstützung zur Beschleunigung von Grundstückseinbringungen in die Städtischen Wohnungsunternehmen. Wiederaufleben der „Bauplanfabrik“ bei SenSW, um ein konkretes Signal bzgl. der Wichtigkeit des Themas Neubau auch an die Bezirke zu senden. Kurzfristige Vereinbarung von konkreten „Baugenehmigungszielzahlen“, verbunden mit entsprechenden Prämien für die einzelnen Bezirke. Keine zu starke Gewichtung von Partikular- und Minderheiteninteressen im Rahmen von partizipativen Verfahren, sowohl auf Bezirks- als auch auf Landesebene. Konsequenz im politischen Handeln bzgl. der grundsätzlichen Realisierung von Neubauvorhaben, maximal Diskussionsmöglichkeiten bei der Ausgestaltung von Projekten.
Flankiert mit Ihrer politischen Unterstützung, sehr geehrte Frau Senatorin, ist es immer noch möglich, die Zielzahlen zu erreichen gemäß unserer Definition von 30 000 neuen Wohnungen bis 2021 (Fertiggestellt oder im Bau befindlich).