Alternative Gedanken zur Zinsentwicklung

Werner Rohmert übernimmt Thesen des „Der Immobilienbrief“-Lieblingsstatistikers 

Die folgenden Gedanken gehen vom Häuslebauer bis zum Besitzer einer Lebensversicherungspolice oder eines Sparbuches fast jeden an. Es geht um die abstrus niedrigen Zinsen in Deutschland. Die folgenden Überlegungen unseres Lieblingsstatistikers wurden übrigens vor der letzten EZB-Entscheidung geschrieben, die aber gut vorhergesehen wurde. Allerdings machen die folgenden Überlegungen deutlich, dass nicht allein die EZB über die Zinsentwicklung bestimmt, sondern vor allem auch der Markt. Ausgangspunkt ist der Kapitalmarktzins, das ist die Verzinsung der Anleihen mit einem Nominalwert von gut 3.000 Milliarden Euro, die in Deutschland umlaufen. Und hier regelt – wie an allen Märkten – Angebot und Nachfrage den Preis für das Geld, den Zins.

Dabei gilt: der in der Vergangenheit wichtigste „Lieferant“ für Anleihen ist ausgefallen, das war die Öffentliche Hand. Schauen Sie einfach mal in die folgende Grafik, danach stagniert der Bestand von Anleihen – vornehmlich des Bundes und der Länder – seit 2013. Und der rasante Anstieg davor zeigt, was Vater Staat lange Zeit für ein wichtiger Anbieter bzw. Kreditnachfrager gewesen ist. Von dieser Seite kommen keine neuen Papiere mehr hinzu. Im Gegenteil, es muss sogar leicht netto getilgt worden sein. Warum das Wörtchen „netto“? Dauernd laufen alte Anleihen aus und werden dafür neue ausgegeben. Für die Entwicklung des Bestandes ist nur der Saldo von beiden Posten ausschlaggebend.

Die restlichen Emittenten neben der Öffentlichen Hand haben netto sogar deutlich getilgt. Das können Sie aus dem folgenden Schaubild aller ausstehenden Anleihen indirekt entnehmen. Denn während der Bestand der Staatsanleihen oben mit leichter Abwärtstendenz stagniert, ist der Bestand aller Papiere um gut ein Zehntel zurückgegangen.

Ist das Angebot demnach in den letzten Jahren eher gedämpft, hat die Nachfrage zugenommen. Und dies durch einen mächtigen Käufer, der bis März 2015 schlicht kaum vorhanden war: Die Deutsche Bundesbank. Die folgende Grafik zeigt, was da passiert ist. Sie sehen oben als braune Linie noch einmal den eben gezeigten gesamten Anleihenbestand. In rot wurden die Bestände an Anleihen eingezeichnet, die die Bundesbanker im Rahmen des Anleihenkaufprogramms der Europäischen Zentralbank (EZB) aufgekauft haben. Dieses Programm zielt eigentlich auf die Fußkranken des Euroraums wie Griechenland, Italien & Co. und vor allem deren angeschlagene Banken. Aber auch in Deutschland wird anteilig mitgekauft. Dadurch werden Ende dieses Jahres deutsche Anleihen im Nominalwert von über 500 Milliarden Euro in der Bilanz der Bundesbank ruhen. Aber in der gerade gezeigten Grafik steckt noch etwas anderes: kaum ein Mitglied der Finanzgemeinde rechnet damit, dass nach Auslaufen des fest angekündigten EZB-Kaufprogramms von derzeit monatlich 60 Milliarden Euro in ganz Euroland diese Käufe komplett eingestellt werden. Die aktuelle Entscheidung, ab Januar die Käufe zu halbieren, ohne den Ausstieg oder einen Abbau der Bestände zu erklären macht das deutlich. Damit dürften die Bestände bei der Bundesbank wie in der roten gepunkteten Linie weiter steigen, aber nicht mehr so schnell wie bisher.

Wenn auf der einen Seite das Angebot niedrig, auf der anderen die Nachfrage der Bundesbank weiter – wenngleich nicht in alter Höhe – erhalten bliebe, müssten dann die Zinsen nicht weiterhin auf dem tiefen Niveau verharren? Auf die Idee kann man schließlich kommen. Ich (unser Statistiker) glaube nein, aber das ist natürlich jetzt Spekulation. Mein Argument: selbst wenn EZB und damit als Teil des Systems auch die Bundesbank weiter kaufen, wird jedem Marktteilnehmer klar sein, dass es irgendwann mit dieser ultralockeren Geldpolitik zu Ende gehen muss. u

Aber dann werden die Vorausblickenden nicht warten, bis die Notenbanker gar nichts mehr kaufen, sondern vorher die turmhohen Anleihenkurse zum Ausstieg oder zumindest Abbau der Bestände nutzen. Die Banken sind bereits seit geraumer Zeit dabei. Sehen Sie mal, wie sie ihre Anleihenbestände in Relation zur Bilanzsumme reduziert haben. Man muss kein großer Prophet sein, dass die Herren Bankiers das fortsetzen.

Zumal es real – also nach Abzug der Geldentwertung – negative Zinsen auf diese Anleihen gibt. Sehen Sie selbst. Bei einem Kapitalmarktzins von wenigen Promille und einer Inflationsrate von in Deutschland zuletzt 1,9 Prozent braucht man kein Finanzprofi zu sein, um zu erkennen, dass diese Papiere kein dickes Geschäft sind. Aber die Grafik zeigt auch, wie historisch einmalig das Zinstief ist. Je länger die Zeit und vor allem die wirtschaftliche Erholung in Euroland fortschreiten, desto gefährlicher dürfte es werden, an länger laufenden Anleihen festzuhalten. Man kriegt so gut wie keine Zinsen und es droht bei einer deutlicheren Zinswende in den nächsten ein bis zwei Jahren ein Kursrückgang. Schlechter kann ein Chance/Risiko-Verhältnis eigentlich kaum sein. Ein einziges Hintertürchen sollte man sich als vorsichtiger Prophet offen halten. Käme es – im Moment nicht abzusehen, aber natürlich immer möglich – zu einem Konjunkturabsturz, wäre die Gefahr eines Zinsrutsches gebannt. Denn dann würde die EZB die Geldschleusen noch weiter öffnen. ¨