Bechelorarbeit kritisiert SIM massiv

Musterrechnung zeigt erstmals: Grundstück verliert deutlich an Wert

 SIM kann zwei Drittel des Grundstückswerts vernichten. Die Stuttgarter Regelung ist dogmatischer als vergleichbare Instrumente in anderen Städten. Dies sind die wichtigsten Ergebnisse einer Bachelorarbeit, vorgelegt an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW).

Zum ersten Mal hat sich die Wissenschaft mit SIM, dem Stuttgarter Innenentwicklungsmodell, beschäftig. Mit der Traumnote 1,0 wurde die Abschlussarbeit von Mirjam Philipp und Alexander Deiss bewertet. Betreut haben sie Hanspeter Gondring, Studiendekan der DHBW, und Wolfram Sandner, Rechtsanwalt und Arbeitskreisleiter Lobbyarbeit des Branchenverbands IWS Immobilienwirtschaft Stuttgart.

Wertverlust des Grundstücks: Zwei Drittel

Mit Unterstützung eines namhaften Projektentwicklers haben Philipp und Deiss an einem konkreten, anonymisierten Beispiel untersucht, wie sich eine generelle Wohnquote und zudem geförderter Wohnungsbau auf den Wert eines Bürogrundstücks auswirken. Die Ergebnisse sind drastisch: Bei der Bebauung mit einem reinen Bürogebäude (Szenario 1) beträgt der Grundstückswert 11,2 Millionen Euro oder 2234 Euro pro Quadratmeter Grundstücksfläche. Bei einem Wohnanteil von 20 Prozent (Szenario 2) sinkt der Grundstückswert auf 9,6 Millionen Euro oder 1918 Euro pro Quadratmeter. Werden dann noch innerhalb der Wohnquote 20 Prozent geförderter Wohnungsbau in allen drei Förderprogrammen umgesetzt (Szenario 3), reduziert sich der Wert auf 4,2 Millionen Euro oder 840 Euro pro Quadratmeter.

Im Extremfall wird also ein Vermögen von 7 Millionen Euro vernichtet. Wolfram Sandner, der sich sowohl als Anwalt wie in seiner Funktion für den IWS sehr intensiv mit SIM beschäftigt hat, hält es für äußerst zweifelhaft, dass angesichts dieses Wertverlusts noch ein Drittel der Bodenwertsteigerung beim Investor verbleibt. Dann aber würde SIM gar nicht gelten. Es wäre ein Webfehler, dieses Modell der Außenentwicklung auf die Innenentwicklung zu übertragen. Denn bei der Erschließung von Ackerland und Grünflächen ist eine Bodenwertsteigerung von mehreren hundert Prozent möglich, in der Innenstadt hingegen besteht bereits ein Baurecht, welcher Art auch immer, argumentiert er.

Durch die Umsetzung von SIM zu Regelkonditionen sinkt der Marktwert des Grundstücks dermaßen, dass Projekte an teuren Standorten unrentabel werden, folgern Mirjam Philipp und Alexander Deiss in ihrer Bachelorarbeit mit dem Titel „Kommunalrechtliche Vorgaben für eine sozialgerechte Innenstadtentwicklung – eine kritische Betrachtung ausgewählter Modelle der Innenstadtentwicklung unter besonderer Berücksichtigung des Stuttgarter Innenentwicklungsmodells (SIM)“.

Kompensationsgrundstück ist am Wirtschaftlichsten

Die beiden haben auch zwei weitere Szenarien untersucht. Einmal die entgeltliche Flächenabtretung an die Stadt für 250 Euro pro Quadratmeter, die dann den geförderten Wohnraum realisiert (Szenario 4). In diesem Fall entsteht beim Modellfall ein Verlust von 349 140 Euro insgesamt beziehungsweise von 1380 Euro pro Quadratmeter abgetretener Grundstücksfläche. Beim Szenario 5 – dem Erwerb eines Kompensationsgrundstücks im Umkreis von 1000 Metern und der dortigen Realisierung von dann geforderten 30 Prozent gefördertem Wohnungsbau – beträgt der Verlust noch 278 389 Euro. Also deutlich weniger als bei der Realisierung im Bürogebäude selbst. Allerdings besteht hier das Problem, ein geeignetes Grundstück zu finden.

Bei den Szenarien 2 und 3 führen mehrere Gründe zum hohen Wertverlust: die geringere Flächeneffizienz, die zusätzlich notwendige vertikale Erschließung und die niedrigeren Mieteinnahmen für Wohnungen und insbesondere geförderte Wohnungen.

Plädoyer für ein „SIM light“ nach der Testphase

„Eine sehr ausgewogene Arbeit“ attestiert Sandner den beiden Autoren. So wurden die positiven Aspekte wie soziale Durchmischung, Verhinderung von Abwanderung ins Umland, Belebung der Innenstadt und einheitliche Regelungen für alle Marktteilnehmer in der Bachelorarbeit lobend herausgestellt. Kritisiert wurde jedoch, dass die anderen untersuchten Städte, beispielsweise München, Heidelberg, Freiburg und Hamburg, mit dem Thema pragmatischer umgehen. Philipp und Deiss plädieren daher für ein „SIM light“, für eine Überarbeitung nach der zweijährigen Testphase. Damit sind sie auf einer Linie mit dem IWS, der sich mit den Zielen einverstanden erklärt, aber die Art und Weise der Umsetzung massiv kritisiert.

Überholtes, obrigkeitliches Denken in Stuttgart

Deutliche Kritik an der Stadt übt Professor Gondring. Stuttgart fehle ein städtebauliches Leitbild, ein Gesamtkonzept. „Man kann eine Stadt nicht so entwickeln wie eine Peperonipizza belegen.“ Gondring kritisiert ein obrigkeitliches, überholtes Denken in Stadtverwaltung und -politik. In der heutigen Bürgergesellschaft sei es notwendig, die betroffenen Menschen und Unternehmen einzubinden. Die Wissenschaft hätte heutzutage Modelle, um die von der Stadt gewollten Ziele zu erreichen. SIM hingegen würde der überholten städtebaulichen Doktrin der siebziger und achtziger Jahre entsprechen. Bei der Entwicklung des Innenstadtmodells wären weder seine noch eine andere Hochschule eingebunden gewesen. „Die Anhörung der betroffenen Verkehrskreise ist üblich“, bestätigt Wolfram Sandner und wiederholt damit die Kritik des IWS, dass SIM ohne Einbindung der Immobilienbranche konstruiert wurde. Die jetzt in der Bachelorarbeit aufgezeigten Ergebnisse würden die schlimmsten Befürchtungen übertreffen.

Drei Förderprogramme in einem Objekt

Erst Ende März vorigen Jahres verabschiedete der Gemeinderat SIM mit 31 zu 30 Stimmen denkbar knapp. SIM sieht unter anderem vor, dass bei Schaffung eines neuen Planungsrechts unter bestimmten Bedingungen 20 Prozent geförderter Wohnraum bei Wohnbauprojekten geschaffen werden muss. Wird die Förderquote an einem Ersatzgrundstück realisiert, das maximal einen Kilometer entfernt sein darf, steigt die Quote auf 30 Prozent. „Bereits ab einer Geschossfläche von 1350 Quadratmeter im Bereich Wohnen müssen alle drei Förderprogramme im Objekt realisiert werden“, schreiben Philipp und Deiss und kritisieren, dass die ursprünglich vorgesehene Wahlfreiheit des Förderprogramms weggefallen sei. Das bedeutet, dass der Projektentwickler dann eine Sozialwohnung, eine Mietwohnung für mittlere Einkommensbezieher und eine Eigentumswohnung nach dem Programm „Preiswertes Wohneigentum“ schaffen muss. „Das verteuert die Verwaltung und erschwert den Verkauf des Objekts“, urteilt Hanspeter Gondring.