Charlottenburger Mietspiegel-Urteil setzt lediglich BGH Urteil um

 

Michael Eggert

Michael Eggert

„Unwirksamkeits“-Bedeutung weit über Amtsgerichts-Niveau

Michael Eggert LL.M. , Noerr LLP

Es ist nicht erinnerlich, dass das Urteil eines einfachen Amtsgerichts jemals solche Wellen geschlagen hätte, wie das Urteil des Amtsgericht Charlottenburg vom 11.05.2015, mit dem der Berliner Mietspiegel 2013 mangels Wissenschaftlichkeit für unwirksam erklärt wurde. Kaum ein Grundbesitzer-Verband, der diesem Urteil nicht Beispiels Funktion zuordnete, kaum ein Mieter-Verband, der das Urteil nicht als verirrte Einzelmeinung abtat und kaum ein Politiker der in Berlin regierenden Koalition, der nicht tapfer die Mietpreisbremse als völlig unbeeinträchtigt gesund gebetet hätte. Dabei war das Charlottenburger Urteil nichts anderes als die Umsetzung des BGH-Urteils aus November 2013, das sich zudem sogar noch auf den Berliner Mietspiegel bezog.

 

Das amtsgerichtliche Urteil ist nicht vom Himmel gefallen. Auf 12 Seiten zitiert die Amtsrichterin ein Urteil des BGH vom 06. November 2013 (Aktenzeichen VIII ZR 346/12) nicht weniger als 5 mal: das höchstrichterliche Urteil, das Kenner der Materie als Zeitenwende in der Beurteilung von Mietspiegeln bezeichnen: denn in diesem Urteil haben die höchsten Zivilrichter der Bundesrepublik ausgeführt, dass nicht überall, wo die Kommunalpolitik das Etikett „qualifizierter Mietspiegel“ aufklebt, auch ein qualifizierter Mietspiegel im Sinne von § 558d BGB drin ist. Derartig qualifizierten Mitspiegeln kommt kraft Gesetzes (§ 558d Abs. 3 BGB) die Vermutung der Richtigkeit zu, sodass sie in einem Prozess nahezu unangreifbar sind: es reicht nicht aus, ihre Glaubwürdigkeit zu erschüttern, gemäß § 418 und § 292 ZPO muss vielmehr der vollständige Beweis des Gegenteils geführt werden. Diese extrem hohe Hürde galt als unüberwindbar.

 

Unüberwindbar, solange bis der BGH im Jahr 2013 einen Umweg um diese Hürde wies: indem er daran erinnerte, dass nur diejenigen Mietspiegel derart unangreifbar seien, die „nach wissenschaftlichen Kriterien“ aufgestellt worden seien. In seinem Urteil ist der BGH noch weiter gegangen und hat beispielhaft aufgezeigt mit welchen Argumenten ein Angriff auf die Wissenschaftlichkeit des Mietspiegels erfolgreich geführt werden könne. Und wie ein Vermieter vor Gericht argumentieren müsse, um eine über der Mietspiegelgrenze liegende Mieterhöhung durchzusetzen.

 

Der vor dem Amtsgericht Charlottenburg klagende Vermieter hat nichts anderes getan, als diese Gebrauchsanweisung des BGH handwerklich sauber umzusetzen. Dass er mit dieser Argumentation vor dem Amtsgericht Charlottenburg Erfolg hat, ist nicht erstaunlich, denn das zugrunde liegende Urteil des BGH bezog sich auf den Berliner Mietspiegel und ließ an dessen Wirksamkeit mehr als deutliche Zweifel erkennen. Schließlich hatte der BGH in seinem Urteil das entgegenstehende Berufungsurteil des Landgerichts Berlin aufgehoben.

 

Aufgrund der Genese des amtsgerichtlichen Urteil ist es auch nicht verwegen vorherzusagen, dass dieses höchstwahrscheinlich durch die Instanzen bestätigt werden wird. Und dass der BGH, wenn er denn erneut über den Mietspiegel von Berlin zu befinden hat, sich mit hoher Wahrscheinlichkeit an die von ihm selbstgesetzten Kriterien halten wird.

 

Ein Mietspiegel: zwei Achillesfersen. Genauso verfehlt wie die Kritik an der Amtsrichterin sind die Angriffe auf den Gerichtsgutachter. Zum einen handelt es sich gerade nicht um einen „querulatorischen Einzelgänger“ sondern um einen angesehenen Statistik-Professor. Und zum anderen hat er genau diejenigen Fragen in seinem Gutachten beantwortet, die bereits der BGH an den Berliner Mietspiegel gestellt hat: Wie kann es sein, dass in einer so komplexen Stadt wie Berlin nur 3 Kriterien ausreichen, um die Lage einer Wohnung zutreffend zu charakterisieren? Eine Frage, die umso berechtigter ist, als bei der Erstellung des Berliner Mietspiegels zwischen Wohnungen im Zentrum und im Außenbereich unterschieden wird, während diese sinnvolle Differenzierung sich im Mietspiegel selbst nicht mehr niederschlägt.

 

Genauso unwissenschaftlich ist das Verfahren aus der Daten-Stichprobe alle diejenigen Mieten – nämlich alle über EUR 7,00 / qm liegenden Mieten – auszusortieren. Das ist kein „Aussondern von Wuchermieten“ unter der Flagge „Extremwertbereinigung“, sondern das Streben nach dem gewünschten Ergebnis.

 

Keine Flucht in die Zukunft. Und deshalb ist der Optimismus des Senators auch nicht nachzuvollziehen, der darauf setzt, der neue Berliner Mietspiegel 2015 sei „rechtssicherer“, weil er „einen Fehler des alten Mietspiegels nicht wiederholt“. „Rechtssicherer“ gibt es genauso wenig wie „weniger schwanger“. Ein einziger der vom BGH genannten Fehler führt zum Verlust der Wissenschaftlichkeit.

Natürlich hat der Berliner Senator Recht, wenn er darauf hinweist, dass auch andere Städte bei der Aufstellung ihrer Mietspiegel das Berliner Verfahren anwenden. Und deshalb werden alle Mietspiegel in der gesamten Bundesrepublik, die von interessierten Vermietern vor den zuständigen Amtsgerichten als unwissenschaftlich angegriffen werden können, ihre privilegierte Stellung als „qualifizierte Mietspiegel“ verlieren, spätestens beim BGH. Damit fällt das wichtigste Vehikel um Mieterhöhungen im laufenden Mietverhältnis zu begründen und zu limitieren weg.

 

Die Mietpreisbremse ist auf Sand gebaut. Als Brandbeschleuniger wirkt in dieser Situation, dass der ab 01. Juni 2015 in Kraft tretende Mietpreisbremse dadurch das Fundament entzogen wird. Diese begrenzt bei einer Neuvermietung die Miete und knüpft sie an die „ortsübliche Vergleichsmiete“. Für die Ermittlung dieser ortsüblichen Vergleichsmiete gibt es bisher aber nur ein einziges Instrument, das durch die gesetzliche Richtigkeitsvermutung nobilitiert ist. Nämlich den qualifizierten Mietspiegel. Fällt dieser weg, kann die ortsübliche Vergleichsmiete nur durch Vergleichswohnungen oder Mietgutachter festgestellt werden. Diese Erkenntnismittel sind nicht nur teurer als der kostenlose Blick in einen wirklich qualifizierten Mietspiegel, ob sich ein solches Begründungsmittel vor dem Zivilgericht durchsetzt, kann im Vorhinein niemand sagen. Im Endeffekt kann kein Vermieter, ohne zu prozessieren, rechtssicher feststellen, wie hoch die zulässige Miete ist. Zwar kann er sich (Kostenpunkt EUR 1.000 bis EUR 3.000) ein Gutachten über die ortsübliche Vergleichsmiete anfertigen lassen. Ob ein vom Mieter bestellter Gegen-Gutachter oder ein gerichtlicher Gutachter aber zum gleichen Ergebnis kommen, ist nach der gerichtlichen Praxis äußerst zweifelhaft.

 

Hausaufgaben für den Gesetzgeber. Es ist im Übrigen nicht so, dass die großkoalitionären Eltern der Mietpreisbremse kein Problembewusstsein gehabt hätten. Unter Ziffer 4.2 haben sie auf Seite 81 des Koalitionsvertrags sich zum Ziel gesetzt: „Dass im Mietspiegel die ortsübliche Vergleichsmiete auf eine breitere Basis gestellt und realitätsnäher dargestellt wird.“

Dem liegt die richtige Diagnose zu Grunde: derzeit sind die Mietspiegel auf einer zu schmalen und meist unwissenschaftlichen Datenbasis erstellt und bilden die Realität nicht ab. Das weiß im Übrigen jeder, der versucht, zu Mietspiegelpreisen eine neue Wohnung anzumieten.

Und deshalb ist es wichtig, dass es endlich ein Gesetz gibt, mit dem bundeseinheitlich festgeschrieben wird, welche Mindeststandards bei der Erstellung eines qualifizierten Mietspiegels zu erfüllen sind. Immerhin, in der Woche nach dem Charlottenburger Erdbeben hat sich eine interministerielle Arbeitsgruppe dieses Themas angenommen. Es war deren erstes Treffen.