Deutsches Immobilienwunder


Dr. Hermann Wüstefeld, Leiter Produktion und Management
Geschlossene Fonds bei der DWS

Deutschland scheint ein Ausnahmefall zu sein. Während sich ringsum die Konjunktur abschwächt und die Angst vor einer erneuten weltweiten Rezession wächst, macht sich hierzulande weiterhin Optimismus breit. Nach der aktuellen Umfrage des Zentrums für Europäische Wirtschaftsentwicklung (ZEW) sind die Konjunkturerwartungen in Deutschland im Februar 2012 um 27 Punkte gestiegen und stehen nun bei 5,4 Punkten. Der Indikator ist somit erstmals seit Mai 2011 wieder im positiven Bereich; besser war er zuletzt im April 2011. Auch an den Immobilienmärkten ist von Angst nichts zu spüren – und wenn, dann wirkt sie als Katalysator für weitere Umsatz- und Preissteigerungen. In- und ausländische Investoren kaufen deutsche Immobilien, weil sie sichere Mieteinkünfte und eine konstante Wertentwicklung erwarten. Die robuste Konjunktur führt bereits zu einem ersten Leerstandsabbau im Bürosektor. Die Filialisten reißen sich um die besten Einzelhandelsflächen in Innenstädten und Shoppingcentern. Und in den deutschen Wirtschaftszentren werden die Wohnungen knapp. Beste Voraussetzungen also, um weiter in deutsche Immobilien zu investieren. Nur ziehen die Preise für Wohnimmobilien inzwischen so stark an, dass einige Marktbeobachter die Bildung einer Preisblase befürchten.

Richtig ist, dass Wohnraum in Deutschland vielerorts teurer wird. Laut Erhebungen des Marktbeobachters BulwienGesa sind die Preise für Eigentumswohnungen und Reihenhäuser 2010 um 2,5 und 2011 sogar um 5,5% gestiegen. Richtig ist weiterhin, dass das niedrige Zinsniveau Immobiliendarlehen verbilligt und die Nachfrage zusätzlich anheizt. Doch für die von einigen gefürchtete Preisblase reicht dies längst nicht aus. Zumal, wenn man berücksichtigt, dass wir uns in Deutschland bis vor kurzem immer noch in einem Aufholprozess befunden haben. Zwischen 2000 und 2008 lagen die Miet- und Kaufpreissteigerungen im Wohnsektor unterhalb der Inflationsrate. Mancherorts – wie in Berlin – waren teilweise sogar rückläufige Mieten und Kaufpreise zu verzeichnen.

Hinzu kommt die geringe Bautätigkeit der vergangenen Jahre. Sie war seit Mitte der 1990er Jahre bis 2009 rückläufig. 2008 wurden 176.000 Wohnungen fertig gestellt und 2009 waren es nur noch 159.000. Zieht man die Wohnungen ab, die jährlich vom Markt genommen werden, fällt der Nettozuwachs an Wohnungen äußerst bescheiden aus. Auch deshalb hat sich in den prosperierenden Ballungszentren ein beachtlicher Nachfrageüberhang aufgebaut: Nach Schätzungen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) werden bis 2025 jährlich 183.000 Neubauwohnungen benötigt, um die steigende Nachfrage in der Mehrzahl der Großstädte zu befriedigen. Und zu allem Überfluss ist im vergangenen Jahr die Einwohnerzahl nicht nur in den großen Städten, sondern auch insgesamt gegen alle Erwartungen gestiegen (deutschlandweit um 50.000). Zwar steigt die Zahl der Fertigstellungen seit 2010 wieder. Sie blieb jedoch auch 2011 Schätzungen zufolge noch unterhalb der 200.000. So scheint es, dass in Deutschland nur Preis- und Mietsteigerungen deutlich jenseits der Inflationsrate die notwendigen Impulse geben können, dass ausreichend Investitionen in das Wohnungssegment erfolgen. Andernfalls fehlt Projektentwicklern der  Anreiz, in den Neubau bzw. die Bestandsentwicklung zu investieren. Immerhin scheint die Trendwende inzwischen geschafft: Der Wohnungsneubau kommt langsam in Gang. Für dieses Jahr rechnen die Landesbausparkassen mit mehr als 200.000 Fertigstellungen.

Der insgesamt positive Trend wird sich jedoch längst nicht flächendeckend auswirken. Wer heute als Investor nach Wohnungen für sein Portfolio sucht, hat grundsätzlich die Wahl, entweder vergleichsweise teuer in den Top-Lagen der deutschen Wirtschaftsmetropolen zu kaufen, oder aber sich auch in B- und C-Städten nach geeigneten Objekten umzuschauen. Wenn gleich es dort auch viele attraktive Standorte mit guten Zukunftsaussichten gibt, lässt sich dennoch nicht prognostizieren, ob dort an jedem Standort auch in zehn oder 20 Jahren eine hinreichende Nachfrage besteht. Wer aber seine Investitionen auf mehrere Standorte verteilt und keine gravierende Fehler bei der Objektauswahl macht, dürfte nach heutigem Stand auch hier langfristig stabile Mieteinkünfte erzielen und wird zusätzlich auf eine solide Wertentwicklung rechnen können.