Ein Fenster zur Welt – die neue Konzernzentrale von ThyssenKrupp

Die ersten Bauten des ThyssenKrupp Quartiers in Essen sind bezogen, Auftakt für die Aufwertung und Neuentwicklung eines ganzen Stadtteils.

Der sogenannte Krupp-Gürtel im Norden der City von Essen, dort wo einmal alleine 73 km Werkseisenbahn-Geleise das Krupp’sche Stahlwerk durchzogen, ist aus jahrzehntelangem Dornröschenschlaf erwacht: Sei 2000 wird das mit 230 Hektar umfangreichste innerstädtische Entwicklunggebiet Deutschlands nach einem Rahmenplan erschlossen, den die Stadt Essen, das Land NRW und Anlieger wie NRW Urban (für das Büroquartier Weststadt) mit ThyssenKrupp AG als Eigentümerin partnerschaftlich vereinbart haben. Dazu gehören neue Straßen wie der Berthold-Beitz-Boulevard und ein öffentlicher Park. Der eigentliche ThyssenKrupp-Campus, den die „Q1“ genannte Konzernzentrale dominiert, umfasst 17 ha Fläche, davon sind zwei Drittel öffentlich zugänglich. Für den Gründungsort von Krupp steht symbolisch das nach Kriegszerstörung rekonstruierte sog. Stammhaus, ein kleines Fachwerkgebäude mit Garten im Besitz der Krupp von Bohen und Halbach Stiftung. Der Umzug von Düsseldorf aus dem „Dreischeibenhaus“ hierher war eine der Konzessionen, die Thyssen bei der Fusion mit Krupp einging, 2006 fiel die Entscheidung zum Umzug. Und es musste ein Konzept gefunden werden, dass dem Anspruch des Düsseldorfer Hauses, das immerhin als erstes Hochhaus amerikanischen Typs eine Inkunabel deutscher Architekturgeschichte der Nachkriegszeit (Entwurf Helmut Hentrich 1957-61) darstellt, in neuem Sinne ebenbürtig sein würde. Statt für ein Einzelgebäude fiel im internationalen Wettbewerb Ende 2006 die Entscheidung für den Campus der Pariser Architekten Chaix et Morel gemeinsam mit dem Kölner Büro JWSD. Hinzu kam als kongenialer Dritter der Landschaftsarchitekt Andreas Kipar, Mailand / Duisburg. Eine der zahlreichen Eigentümlichkeiten dieses Großprojektes ist es, dass in der Ausführung keine Abstriche an der Qualität des Wettbewerbsentwurfs notwendig oder vom Auftraggeber gefordert wurden. Lediglich einen Materialwechsel hat es gegeben in der Innenverkleidung des Atriums. Statt hellem Holz kamen neu entwickelte, sehr dünne Stahlbleche, die im Coilcoating-Verfahren bronziert sind, zum Einsatz gemäß der Forderung, möglichst viele Produkte des eigenen Unternehmens zu verwenden. Tatsächlich sind dies Produkte, die neu für den Bau entwickelt wurden, darunter nicht nur diese beständigeren, dünneren und damit leichteren Bleche als es das übliche Aluminium wäre, sondern auch die leise schwebenden Aufzüge mit drei Kabinen in zwei Schächten für den rascheren Transport und nicht zuletzt die Sonnenschutzlamellen, die zugleich Tageslicht in die Räume lenken. Sie sind abgeleitet von den Klappläden südfranzösischer Fenstertüren, wo man weiß, wie wohltuend Schatten im Sommer sein kann. Nach solcher Referenz dürfte die weitere Vermarktung leicht fallen.

Betriebswirtschaftlich bringt der Umzug entscheidende Vorteile, denn damit konnte eine stringente Konsolidierung der Flächen erreicht werden. Zuletzt seien, so Ralph Labonte, Vorstandsmitglied der ThyssenKrupp AG, bei der Eröffnung am 16. Juni, von den ca. 150.000 qm Bürofläche in Düsseldorf, Bochum und Essen nur noch weniger als 75% selbst genutzt worden. Die Konzentrierung am Standort Essen, wo noch zwei Bestandsgebäude an der Altendorfer Straße weiter genutzt werden, ermöglicht zudem kurze Wege und eine bessere interne Kommunikation. Die Investitionssumme von ca. 300 Mio Euro für den jetzt fertig gestellten ersten Bauabschnitt wurden refinanziert durch den 2007-8 zu Hochzeiten der Immobilienkonjunktur realisierten Paketverkauf von Wohnimmobilien für allein 284 Mio Euro plus das erst in den 1990er Jahren sanierte Düsseldorfer Dreischeibenhaus an RREEF, die Fondstochter der Deutschen Bank. Wer hier mal einzieht, steht noch nicht fest, allerdings wird das Objekt durch den Abriss der Hochstraße nebenan und die Entwicklung des Kö-Bogens eine deutliche Aufwertung erfahren. Ähnliches erwartet die Konzernleitung auch von den eigenen Liegenschaften im Krupp-Gürtel in Essen, Labonte hält hier auf lange Sicht Gesamtinvestitionen von mehr als 1 Mrd Euro für wahrscheinlich. Erst einmal ist es beschlossene Sache, den erst für den zweiten Bauabschnitt geplanten Kindergarten jetzt anzugehen, um das Umfeld für anspruchsvolles Wohnen zu verbessern, denn westlich des neu entstandenen Krupp-Parks – mit fünf Hügeln, die den Geländeaushub aufgenommen haben und einem See, der das gesammelte Regenwasser verzögert an die Emscher weiterleitet – ist bereits ein neues Wohnviertel mit Supermarkt geplant, wofür der bestehende Real-Markt umziehen soll.

Der Blick aus den gewaltigen Panoramafenstern des Q1 trifft nach Süden auf die Wasserachse, ein flaches Becken, das schräge Stege queren für kurze Wege zwischen den weiteren Einzelgebäuden, gerahmt von der Allee der fünf Kontinente, aus denen die Bäume stammen: Eine Reverenz an den Weltkonzern. Nach Norden dehnt sich noch jene wild überwucherte Wüste, wie sie Kriegszerstörung und Demontage der Krupp-Werke hinterlassen haben, eingestreut nur noch wenige Werkshallen. Hier ist Raum für Essens Erweiterung Richtung Altendorf, ein Filetstück in fußläufiger Entfernung zur Universität und zum Einkaufsparadies Limbecker Platz. Der dortige Investor und Eigentümer ECE ist im Übrigen auch beim ThyssenKrupp-Quartier mit von der Partie, hier als Generalplaner. Andreas Mattner, Geschäftsführer der ECE, hält das Projekt für die bisher größte Herausforderung seines Unternehmens, noch nie sei er dabei gewesen, wenn etwas auf der Welt Einzigartiges wie die Sonnenschutzlamellen entsteht. Unnötig zu betonen, dass das Zertifikat in Gold der DGNB ebenso vorliegt wie ein Umweltlabel der Emschergenossenschaft für die Regenwasserbehandlung und das Bürokonzept mit flexibel teilbaren Flächen mit dem auf diesem Gebiet führenden Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO erarbeitet wurde. Die Architekturpreise werden sich häufen, auch für das Freiraumkonzept des Campus und den anschließenden Park insbesondere für das Engagement, im Gegensatz zu der Tendenz der Einkaufszentren einen wahrhaft öffentlichen Raum zu schaffen. Diese Haltung steht nicht in Krupp’scher Tradition, als das Werksgelände ringsum eine Mauer umschloss, wohl aber die Entscheidung für Essen – Unternehmertum im besten Sinne in Verantwortung gegenüber der Gesellschaft.