Einzelhandelsmärkte in Europa

Einzelhandelsumsätze in der EU

Andreas Wellstein, Immobilien Research DekaBank

Die konjunkturelle Erholung in Euroland steht auf einem soliden Fundament. Vor allem die zwei größten Volkswirtschaften der Europäischen Währungsunion, Deutschland und Frankreich, treiben das Wachstum voran. Einen bremsenden Effekt auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung haben die Sparmaßnahmen, die in erster Linie die angeschlagenen Peripheriestaaten belasten. Auch in UK dämpft der von der Regierung eingeschlagene Sparkurs die künftigen Wachstumsmöglichkeiten.

Die Rezession hat an den Arbeitsmärkten Europas ihre Spuren hinterlassen. Sieht man von Deutschland, den Niederlanden, Luxemburg und Österreich ab, sieht es in den 27 EU-Ländern insgesamt enttäuschend aus. Die Wachstumsdynamik in Euroland ist zwar solide, reicht aber nicht aus, um deutliche Impulse am Arbeitsmarkt zu setzen. Mit einer signifikanten Reduzierung der Arbeitslosenzahlen im Euroraum ist auch 2011 nicht zu rechnen. Die Einzelhandelsumsätze waren 2010 in vielen Staaten noch rückläufig. Deutlich erholten sich Schweden, Finnland und vor allem Frankreich. Für den deutschen Einzelhandel ist der Anstieg um 1,5% im vergangenen Jahr in Anbetracht des Nullwachstums in den Jahren vor der Krise ein beachtenswertes Ergebnis.

Einzelhandelsumsätze* in der EU

Quellen: Eurostat, DekaBank; *real, kalenderbereinigt, ggü. Vorjahr

Einzelhandelsflächen sehr gefragt

Die Nachfrage nach Einzelhandelsflächen in Europa bewegte sich 2010 auf einem hohen Niveau, konzentrierte sich dabei allerdings auf die besten Lagen der Innenstädte sowie gut etablierte Shopping-Center. Als Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise reduzierten viele Filialisten ihre Expansionspläne und akzeptieren aus einem erhöhten Sicherheitsbedürfnis heraus nur die tradierten 1a-Lagen. Diese weisen wegen der geringen Reproduzierbarkeit äußerst stabile und vergleichsweise krisenresistente Mietniveaus auf. Die große Nachfrage sorgt in den hoch frequentierten Lagen dafür, dass es kaum leer stehende Ladenlokale gibt. Die Lücken, die durch Insolvenzen oder die Geschäftsaufgaben entstehen, werden zügig durch neue Marken geschlossen.

Das Neubauvolumen von Shopping-Centern hat sich seit 2009/10 spürbar reduziert. Im laufenden Jahr werden europaweit voraussichtlich 6,9 Mio. qm neu auf den Markt kommen, 2012 etwa 4,5 Mio. qm. Allerdings dürfte es aufgrund der heterogenen wirtschaftlichen Entwicklung bei vielen Vorhaben zu Verschiebungen im Zeitplan bzw. zu Streichungen kommen, sodass die Fertigstellungszahlen mit hoher Wahrscheinlichkeit nach unten anzupassen sind. Zudem entfallen rund zwei Drittel der Gesamtpipeline auf Russland und die Türkei, was die Zahlen weiter verzerrt.

Wie auch während der letzten Rezessionen Anfang der 90er Jahre und 2001 sind die europäischen Einzelhandelsmieten in 1a-Lagen in der jüngsten Krise nur moderat zurückgegangen, abgesehen von einigen Peripherieländern. Die höchsten Verluste verzeichnete die irische Hauptstadt Dublin mit deutlichem Abstand vor den baltischen Hauptstädten und Budapest. Im Vereinigten Königreich litten die Regionalstandorte Birmingham und Manchester unter Mietrückgängen, während London im West End einen signifikanten Anstieg verbuchte. Hier macht sich die Bedeutung des Tourismus in der britischen Hauptstadt bemerkbar, unterstützt durch den für ausländische Besucher günstigen Kurs des Britischen Pfunds. In anderen Einkaufslagen Londons brach das Mietniveau dagegen krisenbedingt ein.

Die skandinavischen Märkte verzeichneten 2009 Mietrückgänge, erholten sich aber 2010 schon teilweise wieder. In den stabilen Konsumentenmärkten Frankreich und Deutschland profitiert der Einzelhandel von der viel geringeren Verschuldung der Privathaushalte und deren überdurchschnittlich hoher Sparquote. In Frankreich blieben die Mieten überwiegend stabil, während sie in Deutschland 2008 und 2009 zum Teil deutlich stiegen, vor allem in Frankfurt, Hamburg und München. Wir erwarten bis 2015 das höchste Mietwachstumspotenzial für 1a-Lagen in Stockholm, Kopenhagen und Paris sowie in Prag und Warschau. In den beiden zentraleuropäischen Metropolen spielt dabei die geringe Ausprägung von traditionellen 1a-Lagen bei gleichzeitig hoher Nachfrage eine wichtige Rolle. Mit etwas moderaterem Wachstum rechnen wir an den deutschen Standorten. Größeres Rückprallpotenzial bieten die britischen Regionalstädte, allerdings in Abhängigkeit von der konjunkturellen Entwicklung. Standorte in Irland, Spanien und Portugal dürften noch eine längere Durststrecke vor sich haben. Ein ähnliches Bild wie in den 1a-Lagen ergibt sich für die Mieten in Shopping-Centern und Fachmarktzentren.

B-Standorte zunehmend interessant

Einzelhandelsimmobilien stellen aufgrund ihrer geringeren Volatilität nicht nur in Krisenzeiten einen wichtigen Baustein in einem gut strukturierten Portfolio dar. Das erhöhte Interesse vieler Investoren hat seit Mitte 2009 zu einer starken Renditekompression im Core-Segment geführt. Inzwischen sind einige Märkte bereits wieder zu teuer, um dort in 1a-Lagen zu investieren, z. B. Deutschland, Skandinavien oder auch London und Paris. Andere Betriebsformen wie Shopping-Center, Fachmarktzentren oder einzelne Fachmärkte bieten höhere Renditen, doch auch hier ist im laufenden Jahr je nach Land noch mit leichten Renditerückgängen zu rechnen. Es lohnt sich, Standorte „in der zweiten Reihe“ näher zu betrachten, allerdings ist die Auswahl in vielen Ländern begrenzt. Deutschland weist aufgrund seiner polyzentrischen Struktur eine größere Bandbreite an attraktiven Regionalstädten auf, die ebenso wie die A-Städte vor dem Hintergrund des Wirtschaftaufschwungs noch Mietwachstumspotenzial bieten.