Hamburg wagt endlich den Sprung über die Elbe – IBA und IGS wollen Hamburgs Süden zu einem Vorzeige-Stadtteil machen

Stadtteile Hamburg

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Der Hamburger Süden mit der Elbinsel Wilhelmsburg (roter Kreis in der Karte) wird derzeit in einem einzigartigen Kraftakt saniert. Die Stadt will das Viertel im Rahmen der Bauausstellung IBA, der Internationalen Gartenausstellung und des Konzepts Sprung über die Elbe grundsätzlich neu entwickeln und stärker an Hamburg anbinden. Wenn alle Projekte der IBA greifen – rund 40 Maßnahmen von einzelnen Bauwerken über ganze Quartiere bis zu stadtübergreifenden politischen und sozialen Programmen – soll aus dem vernachlässigten Problemviertel mit 50.000 Menschen ein ganz neuer Stadtteil werden, familienfreundlich, ökologisch und bildungsorientiert. Wilhelmsburg soll zu einer Stadt in der Stadt werden, die zeigen will, wie die Metropole von morgen auf die Herausforderung von Globalisierung, Polarisierung und Klimawandel reagiert.

Noch sind Wilhelmsburg und die angrenzende Veddel weit davon entfernt: ein Drittel der Bewohner sind Migranten, die Arbeitslosigkeit beträgt 12%, es fehlt an allem, was Wohn- und Lebensqualität ausmacht: moderne Wohnungen, Schulen, Einkaufsmöglichkeiten, gastronomischen und kulturellen Angeboten.

Vor allem soll moderner, nachhaltiger und architektonisch hochinteressanter Wohnraum entstehen. Insgesamt sind 1.000 bis 1.400 teils öffentlich geförderte neue Wohneinheiten mit 60.000 bis 90.000 qm Wohnfläche im Eigentum und zur Miete geplant. Zusätzliche 600 Wohneinheiten werden saniert. 60% der neuen Wohnungen entstehen im Geschosswohnungen, 40% sind als Einfamilienhäuser mit Stadthaustypologie geplant. Die neuen Mietwohnungen werden für acht bis zehn Euro pro Quadratmeter angeboten werden, die Kaufpreise für Eigentumswohnungen und Stadthäuser sollen zwischen knapp 2.000 und 2.800 Euro pro qm liegen.

Durch die Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße und der Bahntrasse, die den Stadtteil auseinander reißen und verlärmen, entsteht bis 2020 weiteres Flächenpotential für 3.000 bis 5.000 Wohneinheiten.

Baustart wird noch in diesem Jahr in der Wilhelmsburger Mitte sein. Derzeit laufen die Investorenausschreibungen, die Ergebnisse sollen den Hamburger Bürgern Mitte Februar präsentiert werden. Auf vier Baufeldern am oder sogar auf dem Wasser entstehen hier die ersten 140 Wohneinheiten der ökologischen Modellhäuser Smart Price, Smart Material, Hybrid und Water Houses, die Wohnungen zwischen 70 und 150 Quadratmeter Wohnfläche und flexible Nutzungsmöglichkeiten für Wohnen und Arbeiten sowie das Zusammenleben mehrerer Generationen bieten.

Weitere 107, teils öffentlich geförderte Wohneinheiten in Stadthäusern, Eigentums- und Mietwohnungen werden bis 2013 im Vorhaben Neue Hamburger Terrassen gebaut. Für dieses Projekt, das sich ausdrücklich auch an Baugemeinschaften wendet, haben sich eine Reihe junger Familien vormerken lassen, die wichtigste Zielgruppe der IBA. 

180 weitere Wohnungen entstehen am Kaufhauskanal im Harburger Binnenhafen, 130 Einheiten im Wilhelmsburger Hof zwischen Reiherstieg und dem Gelände der Gartenschau. Das im Frühjahr 2009 gestartete Projekt Open House am Vogelhüttendeich mit 42 klimaneutralen Wohneinheiten für junge Familien ist bereits vermarktet.

Größte Einzelmaßnahme ist die neue „Wilhelmsburger Mitte“. Auf einem 30 Hektar großen Areal sollen Flächen für Büros, Einzelhandel, Hotel- und Freizeitnutzungen entstehen. Die Hamburger Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt zieht aus der Innenstadt in einen Neubau mit 50.000 qm Fläche und will sich dauerhaft auf den Elbinseln niederlassen.

Ein weiteres Großprojekt ist der Harburger Binnenhafen, der zum Wissens- und Wirtschaftsstandort umgebaut werden soll. Hier sollen neuer Wohnraum entstehen, aber auch Büros, Dienstleistung, Forschung und Lehre sowie neue Freizeitangebote.

Bei so vielen schönen neuen Projekten wird vielfach eine schleichende Yuppisierung nach dem Muster der Hamburger Stadtteile Ottensen und Schanzenviertel befürchtet, einst billige Viertel, die zu Trend- oder Szenelagen mutiert sind mit in der Folge explodierenden Mieten und Wohnungspreisen.

So bescheinigt eine neue Studie der Stadtentwicklungsbehörde Wilhelmsburg allerlei kreative Entwicklungspotentiale und die passenden Rahmenbedingungen dafür: „niedrige Mieten und eine interessante Verknüpfungen zu Hafen und Freiraum“. Die neuen kreativen Keimzellen in Wilhelmsburg sind Element eine gezielten Ansieldungspolitik durch die IBA. Als erstes soll in den Veringhöfen im Reiherstiegviertel ein Wohn- und Arbeitsquartier mit experimentellen Freiräumen entstehen.

Soviel kreatives Milieu hat immerhin schon Oberbaudirektor Walter veranlasst zu sagen, dass er sich gut vorstellen könnte, am Spreehafen in Wilhelmsburg zu wohnen, wenn der Zollzaun des Freihafens gefallen ist. Bisher trennt die Barriere Anwohner und Elbinsel-Besucher von einem der größten Hafenbecken Hamburgs.

„Wir wollen verändern, ohne zu verdrängen“, widerspricht IBA-Geschäftsführer Uli Hellweg Befürchtungen, dass die Elbinsel bald chic und teuer wird. „Die Bevölkerung soll bessere Lebens- und Umweltbedingungen bekommen. Eine stärkere Durchmischung sei aber wünschenswert. Für das gründerzeitliche Reiherstegviertel könne er sich durchaus eine Entwicklung wie in Ottensen vorstellen.

„Wilhelmsburg braucht bildungsbewusste und aktive Menschen genauso wie etablierte ältere Haushalte. Deswegen müssen wir hier Immobilien anbieten, die die Qualität des Standortes herausarbeiten, die vielen Wasserlagen und die grünen Freiflächen“. Mit Baugemeinschaftsprojekten und preiswerten Wohnungsangeboten sollen junge Leute angelockt werden, denen die Szenelagen zu teuer geworden sind.

Familien seien bei den Bewerbern derzeit noch unterrepräsentiert, sagt Hellwig. „Die warten erst einmal ab, was bezüglich der Bildungssituation passiert“.

Die Immobilienwirtschaft  zählt das südliche Hamburg nach dem Motto „Wassernähe schafft Werte“ schon länger zu den Lagen mit Entwicklungspotential. Dennoch sieht Peter Uhlenbroock vom Hamburger Grundeigentümerverband nicht die Gefahr eines heuschreckenartigen Einfallens von Investoren mit der Folge massenhafter Wohnungsumwandlungen. „Die Immobilienbesitzer sind weniger verkaufswillig geworden. Das soziale Milieu sei schon aufgrund des zehnjährigen Kündigungsschutzes bei Umwandlung geschützt. Eigenbedarfskündigungen seien ihm keine bekannt.

Das Viertel sei durch den Zuzug vieler Studenten bereits szeniger geworden ist, meint hingegen Gottfried Bauer, Geschäftsführer von Engel & Völkers. In den besseren Lagen seien die Mieten für Bestandswohnungen auf bis 8,50 Euro gestiegen. Dadurch werde automatisch ein anderes Publikum angesprochen, wodurch automatisch eine Verschiebung im gewachsenen Kern stattfinde. Auch das Interesse von Investoren sei gewachsen.    

Die vielen Vorzeigeprojekte der Stadt und die neuen hochwertigen und dennoch bezahlbaren Wohnformen seien weniger ein Signal an gutverdienende Yuppies oder Künstler als an junge Familien, die sich aufgrund der Stadtnähe für Wilhelmsburg interessieren. „Genau das, was die Stadt braucht um zu wachsen und sich zu verjüngen“, meint Joern Olaf Ridder von Grossmann & Berger.

Der Veränderung Grenzen setzt schon die Struktur des Wohnungsangebotes. 44 Prozent der 22.500 Wohnungen auf der Elbinsel sind Sozialwohnungen, 9.500 gehören der städtischen Wohnungsgesellschaft Saga. Das sei schon ein gewisser Widerspruch zur gewünschten Durchmischung des Viertels sagt Saga-Chef Lutz Basse, wobei sich der Anteil der Sozialwohnungen durch die Neubauprojekte auf ein Drittel reduzieren wird. Um mehr Vielfalt zu bekommen müsse noch mehr Wohneigentum geschaffen werden. Wilhelmsburg verfüge über ein riesiges Reservoir ungenutzter Freiflächen, die vielfach am Wasser liegen. Chic oder hip werde Wilhelmsburg auf absehbare Zeit jedenfalls nicht werden. „Wir sprechen hier über einen Entwicklungszeitraum von mindestens 25 Jahren“, sagt Basse.

Im Juni 2009 war nach einem aufwändigen interkulturellen Planungsworkshop Baustart im Weltquartier der Saga, mit 78 Mio. wird das Musterquartier im südlichen Reihersteg renoviert. Hier wohnen in 812 Wohnungen rund 1.700 Menschen aus 30 Herkunftsländern. 750 Wohnungen werden grundlegend energetisch saniert oder abgebrochen und neu errichtet. Die Mieten sollen nach der Modernisierung, der ein interkultureller Planungsworkshop vorausging, um 50 Cent auf 5,65 und 5,70 Euro pro Quadratmeter steigen.

Im Rahmen des Schulmodernisierungsprogramms werden von der Saga auch sieben Schulstandorte in Wilhelmsburg modernisiert und teilweise neu errichtet. 300 Mio. Euro werden investiert.