Hamburg – Was von der IBA übrig bleibt

Die Bauausstellung war ein Erfolg – aber die Bewohner fühlen sich von der Politik allein gelassen

Internationale Bauausstellungen sind ein Schaufenster der Architektur von morgen, ein Experimentierfeld der Stadtentwicklung. Bautechnische Neuerungen und zeitgemäßer Städtebau sollen einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht werden. Die IBA Emscher Park (1989 bis 1999), die den früheren Hinterhof des Ruhrgebiets auf Vordermann bringen sollte, betrat Neuland, als sie sich nicht auf eine Stadt oder einen Stadtteil beschränkte, sondern auf eine ganze Region bezog.

Von dem damals entwickelten ganzheitlichen Ansatz profitierte auch die jüngste IBA in Hamburg (2006 bis 2013). Hier wurde das „Labor“ auf die Elbinseln ausgedehnt, ein rund 35 Quadratkilometer großes Gebiet im Süden von Hamburg, das jahrzehntelang auf Negativmeldungen abonniert war: hohe Umweltbelastung, hohe Arbeitslosigkeit, hoher Ausländeranteil, niedriges Bildungsniveau, Gewalt, Lärm, Leerstand, Brachen – die Bronx von Hamburg.

Aus dem vernachlässigten Gebiet sollten ganz neue Stadtteile werden,  familienfreundlich, ökologisch und bildungsorientiert, laut (damaligem) IBA-Chef Uli Hellweg „das innovativste Quartier Europas“.

„Mit klassischen städtebaulichen Instrumentarien ist es beinahe unmöglich, ein Gebiet wie die Elbinseln zu verändern, das durch mentale, soziale und technische Barrieren blockiert wird“, so Jörn Walter, Oberbaudirektor von Hamburg. Deshalb habe man sich für das Instrument einer Internationalen Bauausstellung IBA entschieden, weil sie eine Ausnahmesituation herbeiführt, um Kräfte zu bündeln.

Der Aufwand war riesig. Über eine Milliarde Euro haben Stadt und private Bauherren in 60 Projekte investiert. Das IBA-Netzwerk wurde mit regelmäßigen „Partner-Frühstücken“ gepflegt, im Netzwerk „IBA meets IBA“, tauschten sich Akteure und Beobachter mehrerer IBAs aus. Der Prozess wurde in sieben umfangreichen zweisprachigen Dokumentationen begleitet, für Presse und Publikum gab es eine ganze Reihe von Kurzführern.

Die Bilanz kann sich sehen lassen: 1200 neue und fast ebenso viele sanierte Wohnungen, reformierte Bildungszentren und niedrig schwellige Arbeitsangebote, mehrere Wohnprojekte, ein Zugang um Spreehafen, Gewerbehöfe, ein Energie- (statt Flak-) Bunker und ein umweltverträglicher Energie-Berg (statt Giftmülldeponie). Dazu neue Spiel- und Sporteinrichtungen, Aufbruch in den Schulen, ein Stadtpark und ein neues Stadtzentrum.

Rolle rückwärts in der Stadtentwicklungspolitik

Mittlerweile ist wieder Alltag und damit auch Ernüchterung eingekehrt. Die Bewohner sind enttäuscht und fühlen sich allein gelassen. Konstatiert wird eine Abkehr von den Leitideen der IBA und eine Rolle rückwärts in der Stadtentwicklungspolitik. Die Bewohner der neuen Mitte, Zentrum der Bauausstellung, klagen über Baumängel, Verkehrslärm und Vermüllung. Soziale Projekte stehen vor dem Aus, Flächen für Kreative stehen leer, die Mieten steigen und Läden sterben. Die Nordischen Öl Werke sorgen weiter für hohe Geruchsbelästigung, neue Einwanderungen von Flüchtlingen und Wanderarbeitern verschärfen die Konkurrenz um bezahlbare Wohnungen.

Die Bewohner der Elbinseln, unter anderem organisiert im Verein Zukunft Elbinsel Wilhelmsburg, haben bereits in mehreren öffentlichen Großveranstaltungen mit Vertretern aus Politik und Wirtschaft diskutiert, ob die Stadtentwicklung mit dem Ende der IBA begraben wurde. Das 2014 vom Senat vorgelegte „Rahmenkonzept 2013+ zum Sprung über die Elbe“ mache deutlich, dass Hafen, Industrie und Verkehr wieder Vorrang vor dem Lebens- und Wohnstandort haben. „Alle unter lebhafter Bürgerbeteiligung entstandenen Visionen eines Miteinander von Stadt und Hafen wurden entsorgt“, sagt Manuel Humburg, Vorstand des Vereins. Olaf Duge, Stadtentwicklungspolitischer Sprecher der Grünen-Bürgerschaftsfraktion, bestätigt: Der Senat halte seine Versprechen nicht ein, Verkehrslärm und Industrie zu reduzieren. „Für Wilhelmsburg bleiben weiter Lärm, Gestank und Verkehrsprobleme“.

Letztere liegen den Wilhelmsburgern am meisten auf der Seele. Ihre Hoffnung auf ein verkehrsberuhigtes urbanes Zentrum, noch im Vorschlag der Hafenbehörde HPA von 2010 im Masterplan Verkehr Hafen enthalten, wurde zunichte gemacht. Zwar wird die den Stadtteil durchtrennende Wilhelmsburger Reichsstraße mit ihren täglich 50-60.000 Autos verlegt; gleichzeitig wird sie auf das Doppelte verbreitert. Weitere Straßen werden für Hafenverkehre ausgebaut. Eine zusätzliche Stadtautobahn ist in Vorbereitung. „Der Verkehr bleibt die Achillesverse der ganzen Planung“, sagt Humburg.

Die Wirtschaftsbehörde widerspricht dieser Auslegung: „Eine gegenüber heute grundlegend andere Verkehrsfunktion und –situation war nie zu erwarten und wurde folgerichtig auch nie in Aussicht gestellt oder gar versprochen. Vorhandene gewerbliche Nutzungen bleiben bestehen, die naturgemäß auch in Zukunft entsprechenden LKW-Verkehr erzeugen“, so Sprecherin Helma Krstanoski.

IBA-Chef Hellweg gab sich verständnisvoller: Man verstehe die Sorgen der Bürger. „Auch wir sind der Meinung, dass kein neuer innerer Ring mit Schwerlastverkehr durch die Mitte des Stadtteils gehen darf, die Diskussion ist noch nicht abgeschlossen“.

IBA-Chef Hellweg gibt seinen Posten auf

Eine ungewöhnlich kritische Aussage für den sonst äußerst loyalen IBA-Chef. Aber Hellweg, sieben Jahre IBA-Chef und auch Chef der Nachfolgefirma IBA Hamburg GmbH, hat seinen Sessel zum 31. März geräumt und widmet sich künftig mit seiner Hellweg Urban Concept GbR Beratungsaufgaben in Sachen Städtebau.

Der Nachfolger tritt kein leichtes Erbe an. Denn Wilhelmsburg soll mit 4000 neuen Wohnungen ein Hamburger Schwerpunkt im Wohnungsbau werden. Auch das Projekt Olympia wird die Elbinseln stark betreffen.

Dass die Nachfolgefirma IBA Hamburg GmbH beauftragt wurde, Teile der Elbinseln weiter zu entwickeln, ist für Stadtentwicklungssenatorin Jutta Blankau ein Beleg dafür, „dass die positive Entwicklung hier mit großem Schwung weiter geht“.

Das sehen viele Bewohner anders. Zu viele Versprechen seien kassiert worden. Inzwischen ziehen erste Bewohner aus der umworbenen Mittelschicht wieder weg. Private Investoren wandten sich vor allem wegen der Verkehrsplanung mit einem besorgten Brief an den Bürgermeister. Sie würden aber dringend für die ambitionierten Wohnungsbauziele des Senats benötigt, warnt Dieter Läpple, Stadtforscher und Professor der HafenCity Universität, der die Planungen zur IBA von Beginn an begleitet hat.

Als großer Erfolg und Symbol des Aufbruchs wurde der Abriss des Zollzauns gewertet, was den Wilhelmsburgern nach mehr als 100 Jahren den Zugang zum Spreehafen ermöglichte. Von einer „Alster des Südens“ war die Rede, von Zugang zum Wasser, Gastronomie und einem Badestrand. Bis heute gibt es aber keine Möglichkeit zur Freizeitnutzung, nicht einmal die Wiederbelebung einer Kaffeeklappe im historischen Hafenlieger „Caesar“ erlaubten die Behörden.

Mit der IBA sei eine Trendwende eingeleitet worden, die aber nicht durch eine verlässliche Politik unterstützt wird. „Die Politik ist dabei, das Erbe der IBA zu verspielen“, sagt Läpple.

So sei der bunt-geschwungene Neubau der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt als ein für Bürger offenes Stück Stadtteil geplant gewesen. Nun stehen diese aber vor einer schwarzen, abweisenden Fassade. Wo ursprünglich ein Café mit Außenplätzen geplant war, klafft die Einfahrt zur Tiefgarage. Das Erdgeschoss war für kleinteilige gewerbliche Nutzung vorgesehen, stattdessen zog eine weitere Behörde ein. Auch das Ziel, die lokale Kreativ- und Sozialökonomie zu stärken, sei bedroht, so Läpple. Die Stadt ließe in einem von ihr bewirtschafteten Gewerbehof trotz großer Nachfrage Flächen leer stehen, weil sie die nicht zu den erwarteten Mieten von 6,50 Euro loswerde.

Auch die „Bildungsoffensive Elbinsel“, einer der größten Erfolge der IBA, steht vor dem Aus. Zum Ende der Bauausstellung wurden alle vier Vollzeitstellen gestrichen, nun soll auch die letzte halbe Stelle abgewickelt werden – das Ende von Zirkus Willibald, erfolgreichen Lese-, Koch- und Forscherwochen. „Die Projekte haben einen sehr wichtigen Beitrag zur Stabilisierung des Stadtteils geleistet“, so Läpple „Mehr als 100 Einrichtungen hatten sich beteiligt; die Netzwerke drohen jetzt zu verfallen“. Darüber hinaus wurden durch die Aufkündigung der Förderung von 75 Ein-Euro-Jobbern mehrere erfolgreiche Textilprojekte abgewickelt. Hier versuchten vor allem Frauen mit Migrationshintergrund einen Einstieg ins Berufsleben.

„Der Stadtteil steht jetzt in einer Riege mit vielen anderen, die auch Ansprüche erheben und es nötig haben“, erklärte Uli Hellweg den Stopp der sozialen Projekte. Immerhin habe sich Hamburg entschieden, die IBA als Entwicklungsträger weiterzuführen. Damit herrsche in Hamburg eine bessere Ausgangslage als bei anderen IBAs. „Jetzt ist politische Kärrnerarbeit gefragt um die Nachhaltigkeit der Investitionen zu sichern“.