Was der Koalitionsvertrag für die Hauptstadt vor allem in finanz- und baupolitischer Sicht bedeutet
Es ist wie es ist– kurz nach Unterzeichnung des Koalitionsvertrages zwischen Schwarz-Gelb lobten die Befürworter emsig und protestierten die Gegner heftig. Die einen wie Vertreter der Immobilienbranche können ihr „Glück kaum fassen“ (IZ vom 29.10.09), die anderen drohen mit Verfassungsklage wie die der Berliner Senator für Finanzen Ulrich Nußbaum. Der hat nun auch Unterstützung aus anderen Bundesländern erhalten, deren Politiker sich nicht damit abfinden wollen, wie gnadenlos die Koalition ihre finanzpolitischen Sorgen auf die einzelnen Länder abwälzt und diese in ein finanzielles Desaster stürzt.
„CDU/CSU und FDP haben mit ihren Koalitionsbeschlüssen den Weg in den Verschuldungsstaat bereitet. Die gerade erst im Sommer mit breiter Mehrheit beschlossene Schuldengrenze wird so vom Bund selber untergraben“, sagt Nußbaum. Er rechnet damit, dass die Schulden der öffentlichen Hand bis 2013 von derzeit rd. 1500 Mrd. Euro auf über 2100 Mrd. Euro steigen, ein Zuwachs von mehr als einem Drittel. Hieran sind die Koalitionsbeschlüsse mit etwa 70 bis 80 Mrd. Euro beteiligt; der Rest entfällt auf die steuerpolitischen Beschlüsse noch vor der Bundestagswahl und die Bekämpfung der aktuellen Finanzmarktkrise. „Jetzt kommen in nur fünf Jahren noch einmal 600 Mrd. Euro dazu. Und das alles nur um Klientelpolitik zu finanzieren, statt die Lasten der Finanzmarktkrise abzubauen. Die Krise kann keine Dauerentschuldigung für finanzpolitische Untätigkeit und neue Schulden sein“ so Nußbaum.
Denn den weitaus größten Preis werden die Länder zahlen müssen; sie sind zu mehr als der Hälfte an den Einnahmerückgängen beteiligt. In der Folge wird die Verschuldung der Länder unausweichlich ansteigen. Für Berlin werden sich die Mindereinnahmen im Zeitraum 2010 bis 2013 nach erster Einschätzung auf etwa 2,5 Mrd. Euro belaufen. „Pro Jahr fehlen Berlin bei voller Wirksamkeit der Koalitions-Beschlüsse über 700 Millionen Euro“, sagte der Finanzsenator. Dies entspräche 50 000 Studienplätzen, 100 000 Kita-Plätzen oder 250 Schulen. Die Beschlüsse der Koalition bezeichnete der Senator unverantwortlich.
Der Senator fordert deshalb den Schulterschluss der Länder im Bundesrat. „Auch die CDU-geführten Bundesländer dürfen ihre föderale Verantwortung nicht vergessen. Ich frage mich, wo die CDU Ministerpräsidenten und ihre Finanzminister in den letzten zwei Wochen waren, denn auch ihre Länder werden auf Dauer in eine strukturelle Unterfinanzierung getrieben.“ Wenn der Bund die Finanzierungsfähigkeit der Länder weiterhin so untergräbt, sind die Länder gezwungen, die Frage der Finanzordnung in Karlsruhe beim Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen.
Auch andere Vereinbarungen sind für Berlin eher nicht förderlich wie die zu den Bundesbauten. Zum Umzug aller Ministerien aus Bonn nach Berlin konnte sich erwartungsgemäß auch Schwarz-Gelb nicht durchringen. Nach längerer interner Diskussion (Wer braucht in diesen Zeiten schon ein Schloss?) bekennen sich Union und FDP halbherzig zum Beschluss, das Berliner Stadtschloss zu bauen. Mehr auch nicht. Auch die Dokumentationsstätte „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ werde „entsprechend den gesetzlichen Vorgaben“ eingerichtet, heißt es. Zusätzlich nimmt sich der Bund vor, mit seinen Liegenschaften effizienter umzugehen und Flächen oder Gebäude schneller zu verkaufen.
Nur sind diese Vereinbarungen wohl eher als eine müde Geste zu verstehen. Besonders der Schlossneubau ist jetzt unwägbar, nachdem das Bundeskartellamt die Vergabe an den italienischen Architekten Franco Stella gestoppt hatte: Seinem Büro fehle die Leistungsgröße für diesen Auftrag und zudem erfülle seine Selbstauskunft keines der Vergabekriterien. Eine Neuausschreibung sei zwingend notwendig. Jedenfalls ist der geplante Baustart 2010 unrealistisch, ob eine Neuausschreibung erforderlich ist, ist ebenso ungewiss wie die Frage, ob der Kostenrahmen von 552 Mio. Euro eingehalten wird. Wird die Bauzeit nach hinten verlagert, treibt das die Kosten von allein in die Höhe. Angesichts der vielen Luftschlösser um den Schlossneubau herum reiben sich Insider immer wieder verwundert die Augen. Der Schwarze Peter ist auch leicht zu finden: Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee habe das durch seinen Dilettantismus „verbockt“, sagt Steffen Kampeter, Haushaltsexperte der Unionsfraktion im Bundestag. Die neue Regierung werde das „ausbügeln“ müssen. Nur, davon ist im Vertrag nicht viel zu lesen.
Nun, die dunklen Wolken über der Mieterstadt Berlin verursachen auch andere Vereinbarungen wie die zum Mietrecht. Schwarz-Gelb will den Kündigungsschutz für Mietwohnungen lockern. Die Kündigungsfristen für Mieter und Vermieter sollen einheitlich sein, steht im Vertrag. Bisher haben Mieter eine Dreimonatsfrist, wenn sie ihre Wohnung aufgeben, Vermieter müssen sechs bzw. neun Monate warten, bis ein Mieter wegen Eigenbedarfs oder anderer Gründe die Wohnung verlassen muss.
Die neue Vereinbarung wird den Kündigungsschutz für die Mieter eindeutig aushebeln, sagt der Berliner Mieterverein. Der SPD-Stadtentwicklungsexperte Daniel Buchholz kündigte in der Zeitung „Der Tagesspiegel“ an, dass sich die rot-rote Regierung „mit allen Mitteln gegen die Verschlechterung von Mietrechten wehren wird“. Es liegt auf der Hand, dass die veränderten Kündigungsfristen in einer Stadt wie Berlin von besonderer Brisanz sind. 87 Prozent der Haushalte leben in Mietwohnungen. In Mitte, Kreuzberg oder Friedrichshain sind es gar 95 Prozent. Die geplante Verkürzung des Kündigungsschutzes auf drei Monate habe noch eine andere Kehrseite, sagt Buchholz. Die Mietpreise würden nach oben getrieben, weil sich Betroffene schnell eine Wohnung suchen müssten, ohne auswählen zu können. Die Linken gar argwöhnen, dass Vermieter ermutigt würden, besonders langjährige Mieter loszuwerden, um die Wohnungen dann teurer vermieten zu können. Das ist besonders im Ostteil der Stadt der Fall, wo viele Mieter noch Mietverträge aus den Zeiten vor 1989 hätten.
Weitere Streitpunkte sind die Umweltzone und die energetische Sanierung von Wohngebäuden. Die Koalition will einheitliche Ausnahmeregeln für die Zufahrt schadstoffreicher Autos in die Innenstädte definieren. „Wir wollen Einfahrtverbote dort lockern, wo die Einschränkungen in keinem vernünftigen Verhältnis zur erzielten Feinstaubreduzierung stehen“, heißt es. Berlin bleibt bei seinem Vorhaben: „Wir führen die zweite Stufe der Umweltzone wie geplant 2010 ein“, sagt eine Sprecherin der Umweltsenatorin Katrin Lompscher (Linke).
Klimafreundliche Sanierungen sollen laut Koalitionsvertrag auf der „freien Entscheidung des Vermieters“ beruhen. Wenn das so kommt, läuft eine bundespolitische Initiative der Berliner Koalitionsfraktionen SPD und Linke ins Leere, die demnächst im Abgeordnetenhaus eingebracht wird. Den Mietern soll das Recht auf Mietminderung eingeräumt werden, wenn der Hauseigentümer „den Mindestanforderungen der Energieeinsparverordnung nicht nachkommt“. Außerdem solle der – inzwischen bundesweit – vorgeschriebene Energieausweis „zum festen Bestandteil jedes Mietvertrags“ gemacht werden. Dagegen gilt das Lob von Haus&Grund der Vereinbarung, Mieter sollen künftig energetische Modernisierungen dulden, ohne die Miete mindern zu können, wenn Lärm, Dreck und Nichtnutzung von Räumen die Wohnqualität spürbar verschlechtern. Mietrechtsexperten sehen dadurch den Grundsatz verletzt, dass die Beeinträchtigung des Wohnwerts für eine Mietminderung entscheidend ist, aber nicht der Anlass der Baumaßnahmen.
Die Hartz-IV-Haupstadt Berlin ist von den Verschlechterungen in der Koalitionsvereinbarung besonders betroffen, es gibt 230 000 Arbeitslose, 600 000 Menschen werden von Jobcentern betreut, 200 000 arbeitende Menschen haben laut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung keinen Standardarbeitsplatz, 145 000 leben ausschließlich von Minijobs. Schon heute müssen 80 000 Menschen ihre Einkommen durch Zuschüsse vom Staat aufbessern. Die Linken warnen, dass die geplante Abschaffung der Mindestlöhne und die Ausweitung der Minijobs in ganz Deutschland zu „Berliner Verhältnissen“ führen werden.
Nur, eines ist unklar: Warum zieht auch diese Regierung ihrer Hauptstadt wieder einmal finanziell und wirtschaftlich die Beine weg, fragt die Zeitung „Der Tagesspiegel“. An einer starken Hauptstadt – wie auch immer – von Format und mit Profil scheint keiner Bundesregierung etwas zu liegen, egal, ob die Hauptstadt schwarz-rot, rot-grün oder rot-rot regiert wird.