Urbanisierungsfolge Verkehrskollaps – Seilbahn als Verkehrsmittel der Zukunft?

Wir sprachen mit Michael Seeber, Präsident der Leitner AG über die Einsatzmöglichkeiten und Potenziale vom Transportmittel Seilbahn. Die Leitner AG mit Sitz in Südtirol wurde 1888 gegründet. 1993 übernahm Michael Seeber die Mehrheit der Leitner AG und hat das Unternehmen seitdem zu einem der weltweit führenden Unternehmen in der Seilbahntechnik entwickelt.

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Der Immobilienbrief: Seilbahnen sind dem Normalbürger eher aus dem Winterurlaub, denn als städtische Verkehrsverbindung bekannt. Andererseits haben Sie bereits mehr als 80 Urbane Systeme umgesetzt. In welchen Fällen wurden weltweit Seilbahnen als Verkehrsmittel eingesetzt?

 

Seeber: Was haben die Städte New York, Hongkong, Manizales und Perugia gemeinsam? – Jede dieser Städte hat ein spezifisches Mobilitätsproblem mit Hilfe eines seilgezogenen Personentransportsystems gelöst. In Hongkong (China, 7 Millionen Einwohner) ging es um die möglichst schonende Erschließung eines Naherholungsgebietes, in Manizales (Kolumbien, 380.000 Einwohner) wurde ein preiswertes, aber hocheffizientes innerstädtisches Nahverkehrsmittel gesucht, und in Perugia (Italien, 160.000 Einwohner) war die Erschließung des Zentrums mit einem modernen Verkehrsmittel das Ziel.

 

Der Immobilienbrief: Gibt es generelle technologische oder konstruktive Unterschiede zwischen Seilbahnen in Wintersportgebieten oder Seilbahnen als städtisches Instrument der Verkehrsplanung?

 

Seeber: Grundsätzlich handelt es sich am Berg und in der Stadt um dasselbe System – konstruktive Unterschiede gibt es natürlich z.b. bei den Stationsverkleidungen. Hier wird vor allem in Städten darauf geachtet, diese architektonisch an die Umgebung in der Stadt anzupassen. Zudem werden in Städten urbane Seilbahnen als Kabinenbahnen, Standseilbahnen, Minimetro und Schrägaufzügen gebaut, nicht als Sesselbahnen – diese kommen nur im winterlichen oder touristischen Gebiet zu Einsatz. Aber die Seilbahn an sich ist im Wintersportgebiet und in der Stadt technologisch dieselbe.

 

DIB: Bleiben urbane Systeme immer technologische Nischenlösungen oder gibt es ein breites Einsatzfeld?

 

Seeber: Immer mehr Städte entdecken die Vorteile vom urbanen Einsatz von Seilbahnen. Seilbahnen prägen das Bild einer Stadt. In der Luft fahrende Seilschwebebahnen ziehen die Blicke ebenso auf sich wie die Wagen der Schienenseilbahnen, die – anders als eine Straßenbahn – auch steile Streckenabschnitte bewältigen. Jenseits der Design- Komponente erfüllen Stadtseilbahnen die klar definierten Aufgaben im Personennahverkehr. Jede Anlage wird zu einer maßgeschneiderten Nahverkehrslösung, da die Wahl des Systems, die Dimensionierung der Beförderungsleistung, die Anpassung an das Gelände, die Architektur der Stationen und die Ausstattung der Fahrzeuge den jeweiligen Bedürfnissen angepasst werden können.

 

 

DIB: Wie sieht es mit der Sicherheit von Seilbahnen generell aus? Leider berichtet die Presse mehr von Unglück als von Millionen schnell und verletzungsfrei transportierten Kästen.

 

Seeber: Die Seilbahn ist eines der sichersten Transportmittel der Welt. Lt. statistischem Bundesamt Wiesbaden liegen die Unfallzahlen bei lediglich einem auf 17,1 Millionen Kilometern. Damit rangiert die Seilbahn auf Rang zwei hinter dem Flugzeug. Übrigens deutlich vor dem PKW mit einem Unfall auf 1,46 Millionen Kilometern und der Straßenbahn mit einem Unfall auf 225.000 Kilometern. Die mediale Aufmerksamkeit ist natürlich bei Seilbahnunglücken ungleich höher, da es sich meist um spektakuläre Rettungseinsätze handelt.

 

DIB: Nach dem weltweiten Einsatz von Seilbahnen in Metropolen – auch in Hannover war ein System auf der Weltausstellung vertreten – sind Sie besonders stolz auf ein aktuelles Vorhaben, die Seilbahn für Berlins internationale Gartenausstellung. Was sind hier die Besonderheiten?

 

Seeber: Grundsätzlich war auf dem IGA-Gelände in Berlin ein Verkehrsmittel notwendig, um eine barrierefreie Erschließung des rund 100 Hektar großen Areals für alle Bevölkerungsgruppen zu ermöglichen. Dafür wurden verschiedene Verkehrsmittel in Betracht gezogen. Vier Alternativen – von einer schienengebundenen Bahn, über Schrägaufzüge, Busse bis zu einer Seilbahn – wurden in Hinblick auf Naturverträglichkeit, Energieeffizienz und die unmittelbare Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr geprüft. Man hat sich für eine Seilbahn entschieden, weil diese die vielfältig gegebenen Anforderungen am besten erfüllt: Sie verkürzt die Wege und erschließt Ausstellungsbereiche, die für Familien mit kleinen Kindern, ältere Gäste sowie Besucherinnen und Besuchern mit Handicap sonst nicht zugänglich wären. Gleichzeitig ist eine Fahrt mit der Seilbahn ein besonderes Erlebnis, das in Erinnerung bleibt. Seilbahnen erfordern im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln geringe Baumaßnahmen, sind geräuscharm und werden umweltfreundlich mit Strom betrieben. So kommt die Seilbahn auch gänzlich ohne bauliche Eingriffe im Wuhletal aus, in dem die Stützpfeiler außerhalb des sensiblen Naturraumes gesetzt werden. Die Kosten für den Bau und Betrieb der Seilbahn in Höhe von ca. 14 Millionen Euro trägt die LEITNER AG. Öffentliche Mittel werden nicht verwendet.

 

DIB: Aus ihrer Sicht erobern Seilbahnen die Städte. Wuppertal ist ein brandaktuelles Beispiel, wo aufgrund topographischer Besonderheiten eine Seilbahn zur Universität geplant ist. Welches sind Ihre wichtigsten Erfahrungen nach der Durchführung von 80 urbanen Systemen?

 

Seeber: Seilbahnen prägen das Bild einer Stadt und ziehen die Blicke auf sich. Die Architektur kann sich bei den Stationen frei entfalten, sie kann ebenso die Konstruktionsart und Farbgebung der Stützen oder Geleise mitbestimmen und schließlich auch Einfluss auf das Erscheinungsbild der Kabinen oder Wagen nehmen. Die Passagiere genießen während der Fahrt eine einzigartige Aussicht. Darüber hinaus können Seilschwebebahnen in der Luft schwebend jedes Hindernis überqueren und haben nur einen geringen Platzbedarf. Seilbahnen können größere Fahrbahnneigungen bewältigen als jedes andere Fahrzeug. Es gibt keine Kollision mit anderen Verkehrsteilnehmern, da die „Fahrbahn“ exklusiv von der Seilbahn benutzt wird. Die exklusive Fahrbahn der Seilbahn garantiert gleichmäßige Fahrtzeiten, da die Bahn nicht vom Verkehr auf der Straße beeinträchtigt wird. Die Fahrgäste werden kontinuierlich befördert – ohne Fahrplan und Wartezeiten. Hinzu kommt, dass Seilbahnen im Vergleich zu anderen Verkehrssystemen einen relativ geringe Investitions- und Betriebskosten aufweisen. Zudem benötigen Kabinen bis zu 50 Personen kein mitfahrendes Personal und sind somit auch auf der Personalkostenseiten überschaubar.

 

DIB: Wie sieht es mit den Kosten aus? Wie muss man sich unter Kosten- und Umweltbedingungen die Beförderungsleistung von Seilbahnen im Vergleich zu Bussen, Straßenbahnen oder S-Bahnen vorstellen?

 

Seeber: Eine Seilbahn kostet max. ½ im Vergleich zu einer Straßenbahn und max. 1/10 im Vergleich zu einer U-Bahn.

 

DIB: Wie ist die Akzeptanz bei den Betroffenen? In Wuppertal formiert sich wohl Widerstand, da die Seilbahn 70 m über ein Villenviertel führt. Auch an anderen Standorten sprachen sich Einwohner gegen eine Anlage aus.

 

Seeber: In den Städten wie in Kolumbien, oder auch Ankara, sind die Einwohner sehr froh, dass eine Seilbahn erbaut wurde, da sie die Lebensqualität der Bewohner steigert. In Cali gelangen die Menschen dadurch einfacher in das Stadtzentrum, in Ankara wurde der Anschluss an das öffentliche Verkehrsnetz durch die Seilbahn ermöglicht. Auch in Bozen in Südtirol wurde die Bahn sehr gut angenommen, da sich die Fahrtzeit zum Arbeitsplatz deutlich verringert und mehr Touristen von Bozen zum Hochplateau Ritten fahren. Aber es stimmt, dass sich die Bewohner anderer Städte auch gegen eine Seilbahn aussprechen – vor allem, weil sich die Menschen nicht mit dem Gedanken anfreunden können, dass Leute in Seilbahnen über ihre Dächer schweben und dabei in ihre Gärten schauen können.

 

DIB: Wie ist die Einbindung von Seilbahnen in bestehende städtische Infrastruktur möglich? Inwieweit sind Seilbahnen in das städtische Ticket-System angeboten? Wie erfolgt dann die Abrechnung? Wer ist Betreiber der Seilbahn?

 

Seeber: Beispiel Seilbahn Bozen-Ritten: Der öffentliche Personennahverkehr ist durch den Zusammenschluss von verschiedenen öffentlichen Verkehrsmitteln zu einem Verkehrsverbundsystem gekennzeichnet. Zu den öffentlichen Verkehrsmitteln des integrierten Transportsystems in Südtirol gehören die Busse, die Züge von Trenitalia (zwischen Brenner und Trient) und unter anderem auch die Rittner Seilbahn. Sie sind zu einem Tarifsystem zusammengefasst und fahrplanmäßig aufeinander abgestimmt.

Betreiber der Seilbahn Ritten ist die SAD Nahverkehr AG – Südtirols größter Betrieb des öffentlichen Personennahverkehrs.

 

DIB: Welches sind zusammengefasst die Erfolgskriterien bzw. Eckdaten einer städtischen Seilbahn. Welche Rahmenbedingungen müssen gegeben sein, damit Städte über Seilbahnen nachdenken sollten. Was sind Knock Out Kriterien?

 

Seeber: Knock Out Kriterien kann man so nicht definieren, weil jedes Seilbahnprojekt maßgeschneidert ist und an die vor Ort gegebenen Bedingungen angepasst wird. Seilbahnen sind dort sehr vorteilhaft, wo z.B. die topografischen Bedingungen den Bau einer Straßenbahn nicht ermöglichen, oder wo Straßen bereits zu belastet sind. Eine Seilbahn kann mit Sicherheit keine U-Bahn ersetzen, da diese eine viel höhere Beförderungskapazität auf einer längeren Distanz ermöglicht. Seilbahnen können für Distanzen von bis ca. 9 km eingesetzt werden und haben eine Beförderungsleistung von bis zu 5.000 Personen/h. (Bus: 3.500, Straßenbahn: 10.000) Aber eine Seilbahn kann z.B. eine gute Anbindungsfunktion zu schwer erreichbaren Stadtteilen erfüllen, oder zu besonders sensiblen Zonen. Außerdem ist bei der Seilbahn ein großer Vorteil, dass sie über Hindernisse hinwegschweben kann und kein allzu großer Eingriff in die Umgebung nötig ist.