Gegen Leerstand und Verfall bei Kaufhäusern – Helfen größere Zugriffsrechte der Kommunen?

Boris Böhm, Mitglied der Geschäftsleitung von Dr. Lademann & Partner, Hamburg

Mit seiner Gesetzesinitiative zur Änderung der §§ 177-179 Baugesetzbuch (BauGB) hat der Zusammenschluss der Bürgermeister, die von leer stehenden Hertie-Immobilien betroffen sind, für Diskussionen gesorgt (vgl. Handelsimmobilien Report Nr. 140 v. 22.2.2013). So wurde auch auf dem 5. Deutschen Handelsimmobilien Gipfel in Wiesbaden intensiv über die Zukunft von Kauf- und Warenhausstandorten sowie die Instrumente zur Steuerung ihrer Revitalisierung diskutiert.

Leer stehende Kauf- und Warenhausstandorte stellen viele Kommunen vor große Herausforderungen. Häufig befinden sie sich in bester Lage und sind insbesondere für Klein- und Mittelstädte Kristallisationspunkt der Innenstadtzentren. Für die Innenstadtentwicklung sind sie somit ein zentraler Baustein. Oft sind solche Objekte im Eigentum global agierender Finanzunternehmen, deren legitimes Ziel die Erwirtschaftung von möglichst hohen Renditen ist. Dieses Ziel kann aber nicht immer erreicht werden, indem sie eine leer stehende Immobilie im Rahmen einer umfassenden Revitalisierung wieder einer neuen Nutzung zuführen.

Dem stehen hier die hohen  Investitionssummen und das möglicherweise fehlende Know-how eines professionellen Handelsimmobilien-Entwicklers mit sehr guter lokaler Marktkenntnis entgegen. Daher stehen solche Objekte oft zwar zum Verkauf, doch war in den vergangenen Jahren zu beobachten, dass an vielen Standorten die Kaufpreisvorstellungen überhöht sind und nicht immer mit der tatsächlichen Marktlage übereinstimmen. Solche Objekte stehen über Jahre leer und schränken die Entwicklungsmöglichkeiten der Kommunen bzw. Innenstädte ein. Bei vielen Projekten scheitert es allerdings auch daran, dass der Eigentümer schwer ermittelbar ist.

Bislang sieht die gesetzliche Regelung vor, dass die Kommunen den Eigentümer einer Immobilie zur Beseitigung von Missständen verpflichten können. Missstände liegen dann vor, wenn die Immobilie nicht mehr den allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse entspricht. Das ist eine hohe Hürde, da die Kommunen praktisch nur dann eine Eingriffsmöglichkeit haben, wenn das Objekt eine akute Gefährdung der Sicherheit darstellt. Ansonsten ist man auf einen „verständigen“ Eigentümer angewiesen, was im Falle von Finanzunternehmen oder auch bei Eigentümer- und Erbengemeinschaften leider selten der Fall ist.

Die Initiative der „Hertie-Bürgermeister“ regt daher an, bereits dann von einem Missstand auszugehen, wenn die Immobilie über einen Zeitraum von mindestens 60 Monaten zeitlich und räumlich nicht im Sinne der erteilten Baugenehmigung genutzt wird. Sprich: Wenn die Immobilie mehr als 5 Jahre leer steht. Zudem beinhaltet die Initiative den Änderungsvorschlag, dass die Kommune im Falle eines Missstands (z.B. 5 Jahre Leerstand) oder eines Mangels mittels Ausschreibung einen Kaufinteressenten suchen kann, der das Objekt revitalisiert. Dazu soll auf Grundlage eines Verkehrswertgutachtens ein Mindestkaufpreis als Basis für ein Bieterverfahren ermittelt werden. Die Aufwendungen, die der Kommune dadurch entstanden sind, sollen von dem Gebotsbetrag, der dem Eigentümer zugeht, abgezogen werden.

Enteignung oder städtebauliche Maßnahme?

Wird der Eigentümer einer betroffenen Immobilie in einem solchen Fall von „Enteignung von Privateigentum“ sprechen, sehen viele Kommunen dies eher als „Ermöglichung/Beschleunigung eines Verkaufsprozesses zum Zwecke der Einleitung städtebaulicher Entwicklungsmaßnamen“. Wer hat Recht? Eine pauschale Antwort auf diese Frage zu geben, würde den unterschiedlichen Ausgangslagen an den  betroffenen Standorten nicht gerecht werden. Dennoch sollten die Chancen und Risiken einer solchen Gesetzesänderung diskutiert und abgewogen werden.

Im Sinne der Innenstadtentwicklung wäre eine solche Gesetzesinitiative allemal. Insbesondere für Klein- und Mittelstädte waren die ehemaligen Kauf- und Warenhäuser oft der größte und zugkräftigste Magnetbetrieb und Frequenzbringer. Mit der Schließung haben die betroffenen Innenstädte einen Teil ihrer Einkaufsattraktivität eingebüßt. Häufig sind in den  benachbarten Einkaufslagen zudem Trading-Down-Tendenzen wie Leerstände, Investitionsstaus und eine Zunahme von minderwertigeren Nutzungen (z.B. 1 Euro-Läden, Spielhallen etc.) zu beobachten.

Dabei gibt es für solche leer stehende Großimmobilien vor allem auf Grund ihrer meist hervorragenden Lagequalitäten und ihres umfangreichen Flächenpotenzials viele interessierte Investoren. Oft ist aber der Kaufpreis der entscheidende Hinderungsgrund. Der Erwerb eines Objekts/Grundstücks stellt bei der Wirtschaftlichkeitsberechnung einer Projektentwicklung einen Faktor dar, der zwar in der Gesamtkalkulation zunächst überschaubar erscheint, für den wirtschaftlichen Erfolg letztlich aber eine wesentliche Rolle spielen kann. Je schwieriger die Rahmenbedingungen (z.B. geringe Kaufkraft, rückläufige Einwohnerzahlen) und je intensiver das Wettbewerbsumfeld, desto gewichtiger ist für den Käufer ein angemessener Kaufpreis. So verwundert es nicht, dass vor allem die Kauf- und Warenhausstandorte in strukturschwachen Regionen noch nicht veräußert wurden.

Die Folge ist ein über Jahre andauernder Stillstand, der die gesamte Innenstadtentwicklung hemmen kann. Zum einen, weil der betroffene Standort brach liegt und keiner neuen Nutzung zugeführt wird. Häufig stehen diese Objekte aber so sehr im Fokus der Kommunen, dass andere Projekte oder Investoreninteressen erst einmal auf „Eis gelegt“ werden, um die Entwicklungsperspektiven zur Revitalisierung dieser meist zentralen Standorte nicht zu gefährden.

Insofern tut sich ein doppeltes Investitionshemmnis auf. Allein bezogen auf die noch brach liegenden Hertie-Standorte sprechen die betroffenen Bürgermeister von einem entgangenen Investitionsvolumen in Höhe von 560 Mio. Euro. Von dem Verkauf und der Wiedernutzbarmachung solcher Kauf- und Warenhausstandorte hängen somit oft die gesamten Revitalisierungsbemühungen dieser Innenstädte ab.

Die Gesetzesinitiative würde den Kommunen sicherlich deutlich mehr Handlungsspielräume einräumen. Um Willkür vorzubeugen, müsste sich ein solches Instrumentarium jedoch auf einen detaillierten Begründungszusammenhang stützen. Grundlage hierfür wäre ein im Vorfeld aufgestelltes Innenstadtentwicklungskonzept, das unter breit angelegter Beteiligung erarbeitet und politisch beschlossen wurde. Zudem sollte der räumliche Fokus klar und deutlich auf die Innenstädte und ggf. Stadtteilzentren beschränkt bleiben, da die „zentralen Versorgungsbereiche“ von besonderer Bedeutung für die Stadtentwicklung sind und deren Erhaltungs- und Entwicklungsziele direkt im BauGB verankert sind.

Was im Einzelfall als Innenstadt oder Stadtteilzentrum gilt, ist im Rahmen eines politisch beschlossenen, kommunalen Zentrenkonzepts zu definieren und grundstücksgenau abzugrenzen. Grundsätzlich geht es dabei natürlich nicht nur um ehemalige Kauf- und Warenhausstandorte, sondern im Prinzip um jegliche brachliegenden Objekte, sofern konkrete Planungen für eine Revitalisierung vorliegen.

Gleichwohl lässt sich nicht ausblenden, dass eine solche Gesetzesänderung einen erheblichen Eingriff in das Privateigentum ermöglichen würde. Zwar sprechen die Initiatoren nicht von „Enteignung“, sondern von einem „analog zum Grundgesetz stehenden Gebrauch vom Eigentum zum Wohle der Allgemeinheit“. Der Betroffene würde aber – nicht zu Unrecht – einen erheblichen Eingriff in die Ausübung seiner privatrechtlichen Geschäfte zu dulden haben. Da jedoch ein Verkauf zu Marktpreisen durchgesetzt würde, kann man nur bedingt von Enteignung sprechen. Zudem ist im Grundgesetz (Artikel 14) verankert, dass „Eigentum verpflichtet“ und sein „Gebrauch dem Wohle der Allgemeinheit“ dienen soll. Ob z.B. die Eigentümer der Hertie-Immobilien dieser Anforderung nachkommen, sei dahingestellt.

Gewinner wären die betroffenen Kommunen

Auf den ersten Blick erscheint ein solches Instrument zwar wenig marktliberal und ruft eher planwirtschaftliche Ressentiments hervor. Andererseits kann ein solches Instrument auch bestehende Investitionshemmnisse durchbrechen und Investoren und Entwicklern Möglichkeiten eröffnen, entsprechende Projekte umzusetzen. Insofern könnte dies auch einen Beitrag zur Wirtschaftsförderung leisten. Einen Gewinner gäbe es allemal: Die betroffenen Kommunen und ihre Innenstädte sowie die vor Ort lebenden und wirtschaftstreibenden Bürger. Wie hoch der Schaden der Verlierer wäre, gilt es noch abzuwägen. In jedem Falle erscheint eine offen geführte, tiefergehende Diskussion über die Gesetzesinitiative lohnenswert.