Handelsvermietung und Handelsumsätze profitieren von der Krise


Nach den vielen eher stagnierenden Jahren wird seit 2011 eine überdurchschnittlich gute Umsatzentwicklung beobachtet. Zwar habe der Konjunktur-Optimismus im Zuge der Eurokrise einen Dämpfer bekommen, jedoch seien die Einkommenserwartung und die Anschaffungsneigung weiter gut, stellte JLL-Einzelhandelschef Jörg Ritter fest. Obwohl sowohl Investmentumsätze als auch Vermietungsumsätze im 1. Halbjahr 2012 deutlich zurückgegangen seien, sei dies kein Zeichen für eine schwache Nachfrage, sondern für unzureichendes Angebot. Bundesweit wurden im 1. Halbjahr rund 270.000 qm Einzelhandelsflächen in Deutschlands 1A-Lagen vermietet (-19%). Der Rekordwert aus dem Vorjahr betrug 320.000 qm. Die starke Fokussierung der Mietinteressenten auf die Toplagen in den Metropolen nehme weiter zu. Mehr als ein Drittel der bundesweit vermieteten Flächen entfielen auf die neun für den Handel interessantesten Städte. Gegenüber den üblichen Top 7 der JLL-Analysen kommen noch Hannover und Leipzig, die aus Handelssicht interessant sind, hinzu. Rund 100.000 qm wurden in den Toplagen der Top 9-Städte vermietet (-25%). Berlin bleibt mit über einem Drittel Marktanteil an den Top 9 das mit Abstand wichtigste Expansionsziel. Im 1. Hj. wurden in den 1A-Lagen der Hauptstadt mehr als 60 Vermietungen mit insgesamt rund 36.000 qm Verkaufsfläche vermittelt.

Mehr als die Hälfte der bundesweit abgeschlossenen Neuvermietungen im 1. Halbjahr geht auf international tätige Handelskonzepte zurück. Diese fokussieren ihre Deutschland-Expansion auf die großen Metropolen. Gerade sie sehen Berlin als wichtigsten must-have-Standort an. Berlins Dominanz macht sich auch bei den Ladenmieten bemerkbar. JLL erwartet für die Hauptstadt im 2. Halbjahr einen ungewöhnlich deutlichen Anstieg der Spitzenmiete um 30 Euro auf bis zu 270 Euro je qm. Berlin katapultiert sich damit in die Top 3 der teuersten Handelsstandorte. Nur in München und Frankfurt liegen die Mieten mit 330 bzw. 290 in der Spitze noch höher. Alle anderen Metropolen, wie auch Köln, haben einen leichten Aufwärtstrend und erreichen im 2. Halbjahr stabile Spitzenmieten zwischen 235 und 255 Euro. Allerdings dürfe nicht übersehen werden, meint Ritter, dass die derzeit gute Marktlage konjunkturabhängig bleibe und damit hoch volatil sei. Die unsicheren Rahmenbedingungen gingen nicht spurlos am Handel vorüber. Gespräche mit Mietinteressenten zeigen vermehrt Sorgen um künftige Umsatzrückgänge auf.

Allerdings schlage sich diese Erwartungshaltung bislang nicht in einer abnehmenden Flächennachfrage nieder. Insgesamt erwartet Ritter, dass sich das sehr hohe Vermietungsvolumen der Big 9 von 250.000 qm aus 2011 nicht in vollem Ausmaß wiederholen ließe. Dennoch bleibt er bei allen Unwägbarkeiten für das 2. Halbjahr optimistisch. Einiges spräche dafür, dass Deutschland seine derzeit europaweit dominante Stellung als Expansionsziel aufrechterhalten könne. Viele internationale Konzepte hätten auf ihren Heimatmärkten eine Sättigung erreicht und sehen in Deutschland noch Distributionspotenzial.

Einzelhandelsinvestmentmarkt

Unter den Top 10 der größten Deals waren auch im 1. Halbjahr mehrere Einzelhandelsinvestments. Deutschland ist neben Großbritannien der mit Abstand der aktivste Retail-Investmentmarkt in Europa. Rund die Hälfte des Transaktionsvolumens im 1. Halbjahr entfällt auf internationale Investoren. Dies liegt allerdings auch an der vor kurzem beschlossenen Beteiligung von Unibail Rodamco an der Essener mfi  AG. Gleichzeitig hat diese Transaktion rechnerisch zu einem Anstieg der Volumina im Verlauf der ersten beiden Quartale beigetragen.

Bis Ende Juni verzeichnete JLL ein aufgelaufenes Transaktionsvolumen von rund 2,86 Mrd. Euro. Im Vorjahr war es noch mehr als das Doppelte mit über 6 Mrd. Euro. Allerdings habe sich die Grundstimmung im Markt nicht verändert. Das Interesse der Investoren an Einzelhandelsimmobilien sei weiter ausgesprochen hoch. Auch fehle es im Markt keineswegs an Liquidität. Der Engpass gerade im großvolumigen Bereich sei das fehlende Produkt. Im Angesicht der anhaltenden Fokussierung auf makellose Core-Immobilien sei das nicht verwunderlich. Das knappe Angebot führe überraschenderweise aber nicht dazu, dass die Preise stiegen. Die Akteure blieben vernünftig. Das Marktumfeld sei sehr solide. Es sei keine Renditekompression/Preissteigerung zu erwarten.

Shoppingcenter blieben bei einem bis Ende Juni aufgeworfenen Volumen von fast 1,5 Mrd. Euro mit fast 50% Anteil die mit Abstand wichtigste Anlagekategorie. Gesucht würden sowohl Core als auch value-add bzw. opportunistische Produkte. Die Idealvorstellung der meisten internationalen Investoren von „dominanten“ Shoppingcentern mit über 50.000 qm in den Top 50-Städten sei allerdings in Deutschland kaum zu erfüllen. Hierzulande würden bereits seit einigen Jahren kleinere Entwicklungen in Innenstadtlagen favorisiert. Geschäftshäuser in innerstädtischen 1A-Lagen bleiben mit 500 Mio. Euro die zweitstärkste Anlageklasse. Mangelndes Angebot führte fast zur Halbierung des Vorjahresumsatzes von 950 Mio. Euro. Lediglich Fachmarktprodukte, bei denen die großen Zentren überwiegen, konnten im 1. Halbjahr bei stabilen Preisen mit rd. 465 Mio. annähernd auf Vorjahresniveau performen.

Die Spitzenrenditen blieben im Durchschnitt der Big 7-Metropolen stabil. Gut aufgestellte Shoppingcenter erreichen unverändert 5%. Bei Fachmarktprodukten notiert JLL 5,9% für große Fachmarktzentren und 6,5% für erstklassige Fachmärkte. Geschäftshäuser in 1A-Lagen der Top 7 werden von JLL bei 4,16% im Durchschnitt gesehen. Die Schwankungsbreite der Verzinsung liegt im europäischen Langfristvergleich am unteren Ende. Der deutsche Markt überzeugt durch seine außergewöhnliche hohe Stabilität. (Anmerkung „Der Immobilienbrief“: Allerdings wird bei dem Renditezahlenwerk in der Regel aus Maklersicht dezent übersehen, dass es auf der vertraglichen Nettokaltmiete basiert, die nur geringfügig bereinigt wird. Bei einer echten Renditeberechnung aus Sicht des Käufers müssen hier nicht umlagefähige Nebenkosten, die bei Handel ganz erheblich sind, ebenso berücksichtigt werden, wie gutachterliche Kosten und Erwerbsnebenkosten.)

Als Einzelhandels-Fazit zieht Ritter, dass der nach Ablauf des ersten Quartals vorherrschende Optimismus auf einen Aufholprozess im Jahresverlauf inzwischen einer skeptischeren Sichtweise gewichen ist. Die Anlagekriterien sind risikobewusster und enger denn je. Alle Marktteilnehmer agieren sehr sicherheitsbewusst. Von der Liquidierung offener Fonds sei kurzfristig kein nennenswerter Angebotszuwachs zu erwarten.

JLL Research-Chef Helge Scheunemann hat die Situation der offenen Fonds analysiert. Zwischen 2008 und 2012 wurden von offenen Fonds, die zur Liquidierung anstehen, bereits für 1,9 Mrd. Euro Immobilen verkauft. Bis 2017 stehen noch weitere 7,1 Mrd. Euro zum Verkauf. Allerdings betrafen von den bisher verkauften Immobilien 62%, also rund 1,18 Mrd. Euro, Einzelhandelsimmobilien. Blickt man auf die Qualität des Bestandes, der noch bis 2017 zu realisieren ist, ist festzustellen, dass von den 7,1 Mrd. Euro mit 71% fast drei Viertel Büroimmobilien sind und lediglich noch 21%, also knapp 1,5 Mrd. Euro, Handelsimmobilen verbleiben. Scheunemann nimmt aber auch aus dem vermeintlichen Druck auf die Büroimmobilenmärkte die Dramatik. Schließlich sei nur 28% der Büroobjekte in Deutschland gelegen. Diese 1,4 Mrd. Euro könne Deutschland locker verkraften.

Scheunemanns genereller Blick auf den Markt in der 2. Halbzeit 2012 sieht eine weiterhin stabile Nutzernachfrage mit anhaltendem Fokus auf Qualität. Der Investitionsboom in Wohnimmobilien halte an. Scheunemann erwartet ein Comeback der Büroimmobilen. Sicherheit schlage Rendite. Und inzwischen bestünde Klarheit für offene Immobilienfonds.