Nahversorgung: Wie viel Netzverdichtung geht noch?

Halina Gebert, Beraterin bei
Dr. Lademann & Partner, Hamburg

Neue Vertriebskonzepte wie Rewe TO GO, Temma, Edeka Citymarkt und Rewe City, Qualitätsschübe bei den Vollsortimentern wie dem stark expandierenden Format E-Center – der Lebensmitteleinzelhandel orientiert sich mit immer neuen Formatanpassungen an den aktuellen Verbraucherbedürfnissen nach Convenience, Nähe, Frische – und auch (immer noch) Discount. Aber: Wie viel Netzverdichtung geht noch? Wo sind weiße Flecken?

Es lohnt sich also der Blick auf den Status quo: In welchen Regionen ist die Nahversorgungsausstattung bereits heute sehr hoch? Wo sind die Flächendichten bisher unterdurchschnittlich? Was sind die Gründe bzw. welche Bedeutung hat das für die künftige Expansion des Lebensmitteleinzelhandels? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, beleuchtet Dr. Lademann & Partner im folgenden Beitrag die Nahversorgungsausstattung in Deutschland und im Stadtstaat Hamburg – als regionales Beispiel – mit Hilfe des eigenen ‚State-of-the Art’-GIS.

In Deutschland gibt es deutliche quantitative und qualitative Unterschiede in der Nahversorgungsausstattung. Räumliche Besonderheiten werden erst durch den Einsatz von Geographischen Informationssystemen (GIS) sichtbar. Dabei sind sowohl Darstellungen auf Landesebene als auch sehr kleinräumige Visualisierungen (z.B. Postleitzahlengebiete) möglich. Die Auswertungsmöglichkeiten reichen dabei von der Verkaufsflächendichte (Fläche LEH je 1 000 Einwohner) bis hin zur Analyse der Marktanteile je Betriebstyp usw. Die Resultate dienen dabei sowohl Kommunen als auch Handelsunternehmen und Projektentwicklern z.B. zur Identifizierung von Versorgungslücken bzw. Expansionspotenzialen.

Hohe Flächendichten im Norden – Potenziale im Süden

Die räumliche Analyse der Lebensmittelgeschäfte ab 400 qm Verkaufsfläche (Discounter, Supermärkte, Verbrauchermärkte und SB-Warenhäuser) in Deutschland ergab, dass insbesondere der Norden über eine deutlich höhere quantitative Verkaufsflächenausstattung im Bereich Nahversorgung verfügt.

Mit einer Flächendichte von fast 20% über dem Bundesdurchschnitt (= 100) ist Schleswig-Holstein (118%) Spitzenreiter, was die Versorgung mit Lebensmitteln angeht. Ebenfalls eine hohe Verkaufsflächendichte ist in den nord- und mitteldeutschen Flächenländern Sachsen-Anhalt (114%), Mecklenburg-Vorpommern (113%), Niedersachsen (112%) und Thüringen (111%) zu konstatieren.

Unterdurchschnittliche Flächendichten und damit aus Wettbewerbsgesichtspunkten bessere Expansionspotenziale für Handelsunternehmen gibt es tendenziell in den Stadtstaaten Hamburg (73 %) und Berlin (77 %) sowie in den Bundesländern Baden-Württemberg (85%) und Nordrhein-Westfalen (87%). Im Hinblick auf die Stadtstaaten sind die unterdurchschnittlichen Verkaufsflächendichten gleichwohl ein Hinweis darauf, dass es insbesondere in den großen Städten nur wenige Flächenpotenziale gibt, um Lücken im Ladennetz zu schließen.

Räumliche Divergenzen in der Nahversorgungsausstattung hängen zudem sehr stark vom jeweiligen Planungsrecht auf Landes- und Regionalebene ab. Insbesondere in Nordrhein-Westfalen und in Baden-Württemberg, aber auch in anderen Regionen Deutschlands wird die Zulassung von Betrieben des Lebensmitteleinzelhandels z.T. sehr restriktiv gehandhabt. Dadurch ist es in einigen Regionen bereits zu einem regelrechten Expansionsstau im Handel gekommen.

In der qualitativen Betrachtung nach Betriebstypen zeigt sich – nicht überraschend – ein besonders hoher Anteil an Lebensmitteldiscountern in Ostdeutschland (zwischen 40 und 50% Flächenanteil) bei einer gleichzeitig (noch) geringen Bedeutung der Super- und Verbrauchermärkte. Eine relativ geringe Relevanz haben Discounter dagegen im Saarland und in Hessen (beide 29%).

Im Saarland geht das einher mit einer überdurchschnittlichen Verbreitung von SB-Warenhäusern, was vor allem am hohen Marktanteil des St. Wendeler Globus-Gruppe liegt, die mit 6 Standorten im Stil der (letzten) „SB-Warenhaus-Giganten“ (jede Filiale hat deutlich über 10 000 qm) eine dominante Position erreicht.

Gleichwohl kann daraus nicht der Schluss gezogen werden, dass der Status quo maßgeblich ist für die zukünftige Expansion der Handelsunternehmen. Im Gegenteil: in ihrem Expansionsgebiet sieht etwa die Edeka Minden-Hannover vermehrt Potenzial, ihre bisher noch unterdurchschnittlichen Marktanteile auszubauen. Auch im Osten sei – gerade in Gebieten mit einer positiven Kaufkraftentwicklung – jetzt ein wachsender Wunsch nach Qualität und Bedienung zu spüren.

Ein Blick auf Norddeutschland mit dem Beispiel Hamburg zeigt deutliche Unterschiede in der Mikroebene (hier bezogen auf Stadtteile). Die Flächendichte, d.h. die Verkaufsfläche von Lebensmittelgeschäften je 1 000 Einwohner, ist vor allem in den nördlichen Stadtteilen hoch. Sehr geringen bis gar keinen Bestand haben die durch Autobahnen und Wasserwege zergliederten Stadtteile. Sie verfügen zudem über nur geringe absolute Bevölkerungszahlen, die anscheinend keine ausreichende Bevölkerungsplattform für einen größeren Lebensmittelbetrieb darstellen.

Allerdings ist auch in dichter besiedelten Gebieten – wie bspw. Uhlenhorst, St. Georg oder Hamm-Nord – nur eine sehr geringe Verkaufsflächendichte zu beobachten. Hier scheint die geringe Verfügbarkeit von geeigneten (größeren) Einzelhandelslokalen das limitierende Kriterium zu sein.

Die Stimmung der Expansionsverantwortlichen zeigt jedenfalls, dass die Hansestadt Hamburg nach wie vor eines der Top-Expansions(wunsch)gebiete ist. Was ist für die Zukunft zu erwarten?

1.) Zunächst wird sich die Expansionsphase der nächsten 5 Jahre zumindest bei etwa der Hälfte der neuen Objekte auf bestehende Standorte konzentrieren, die systematisch weiterentwickelt (i.d.R. erweitert) und im Einzelfall auch verlagert werden. Eine Optimierung im Netz geht dabei in 2 Richtungen: Einerseits näher an stabile Wohn- und Siedlungsgebiete heran (zur Sicherung einer natürlichen, tragfähigen Nachfragebasis im unmittelbaren Standortumfeld), andererseits an wichtige Verkehrsknotenpunkte innerhalb des städtischen Gefüges (oft bedeutet das nur eine Wanderung um wenige hundert Meter).

2.) Dann ist erkennbar, dass Regionen, die ein deutliches Übergewicht an Lebensmitteldiscountern aufweisen, einen Aufholprozess bei Vollsortimentern erleben werden. Denn vor allem in den neuen Bundesländern hat sich 20 Jahre nach der Vereinigung ein Wohlstand eingestellt, der die Kunden den qualitätsorientierten Lebensmittelhändlern in die Hände treibt. Voraussetzung für einen solchen Prozess ist allerdings, dass die bislang restriktive Genehmigungspraxis, die nahezu ausschließlich den Discountern zuspielte, mit Augenmaß gelockert wird.

3.) Daraus resultiert im Bereich Lebensmitteldiscounter ein Konsolidierungs- und Konzentrationsprozess, der langfristig zur Stabilisierung der ökonomischen Situation der verbliebenen Player und grundsätzlich zur ökonomischen Tragfähigkeit der Standorte beitragen wird.

4.) Gutachten zu Erweiterungsvorhaben und Neuansiedlungen werden neben dem ohnehin wichtigen Prüfungsprogramm (nach § 11,3 BauNVO oder § 34 BauGB) das Gleichgewicht der Betriebstypen und die Ausgewogenheit der Nahversorgung im Auge haben müssen.