Reverse Mortgage: In den Markt für Immobilienrenten kommt Bewegung – Förderbanken stehen in den Starlöchern

 Alle Studien, die sich mit der finanziellen Situation im Alter beschäftigen, fördern eklatante Mängel zutage. Fast die Hälfte der Erwerbstätigen kann ihren Wohlstand im Ruhestand nicht halten, heißt es beispielsweise im ersten deutschen Vorsorgeatlas des Rentenexperten Bernd Raffelhüschen.

 Rund 60 Prozent der Rentnerhaushalte besitzen Wohneigentum, bekanntermaßen eine beliebte Form der Altersvorsorge. Etwa ein Viertel davon verfügt jedoch über so geringe Einkünfte, das sie ihr Eigentum verkaufen müssten, um einigermaßen über die Runden zu kommen. Ein Verkauf würde den Auszug aus dem Haus bedeuten, bei der geringer werdenden Mobilität im Alter für viele eine unangenehme Option.

 Anders als in den USA, Großbritannien und einigen anderen europäischen Staaten kommt in Deutschland nach einigen erfolglosen Versuchen erst jetzt Bewegung in den Markt für Reverse Mortgages. Einige Versuche, darunter von Dresdner und Hypovereinsbank, waren ernüchternd; sie basierten meist auf einem Ansatz der der deutschen Leibrente ähnelt. Ein ähnliches Produkt mit nur regionaler Verbreitung ist die Zustifter-Rente der Stiftung Liebenau in Baden-Württemberg, die in Kooperation mit den Sparkassen angeboten wird.

 Kunden müssen sehr hohe Risikoabschläge akzeptieren, erklärt ein Baufinanzierungsexperte. Zudem seien die Produkte sehr beratungsintensiv. In den USA funktioniere das Modell der Umkehrhypothek nur aufgrund staatlicher Subventionen, der Staat trägt das Ausfall- oder Kreditrisiko und garantiert die Zahlungsfähigkeit der Bank.    

 Mit den sogenannten Umkehrhypotheken können Hausbesitzer ihre Immobilie zu Geld machen, ohne ausziehen zu müssen. Diese Hypothekenkredite mobilisieren das in der Immobilie gebundene Kapital und tragen zur Erhöhung der Liquidität im Alter bei.

Die Bank schießt Kapital auf eine bestehende Immobilie vor, normalerweise in Form einer lebenslangen monatlichen Rente, in Ausnahmefällen auch als Einmalbetrag. Die Immobilie dient als Sicherheit. Die Kredithöhe berechnet sich nach der statistischen Lebenserwartung des Eigentümers und dem geschätzten Verkehrswert der Immobilie bei Erreichen dieser Lebenserwartung.

 Die Modelle, die jetzt auf den Markt kommen unterscheiden sich in Hinblick auf die Beendigung des Darlehensvertrages. Bei den Förderbanken, die in Kürze am Markt sein werden, muss die Darlehensschuld bei Auszug aus der bislang selbstgenutzten Immobilie zurückgezahlt werden. In der Regel wird dann die Immobilie verkauft. Stirbt der Kunde können seine Erben auch alternativ die Darlehensschuld sukzessive über ein neues Hypothekendarlehen zurückzahlen. Bei den privaten Anbietern entscheidet der Kunde, ob er die Darlehensschuld zuzüglich der angefallenen Zinsen tilgt oder das Haus in das Eigentum der Bank übergeht.

Stirbt der Kreditnehmer, ohne vorher die Hypothek getilgt zu haben, können die Erben den Kredit tilgen oder die Bank verwertet die Immobilien und zahlt den Erben die Differenz zwischen Erlös und Kreditschuld.

 Seit März dieses Jahres ist die Münchner ImmoKasse deutschlandweit zusammen mit der Deutschen Kreditbank als Produktgeber und Vertragspartner der Darlehensnehmer mit dem Produkt Immorenten-Plus auf dem Markt. Immobilienbesitzer ab 65 bekommen zu einem Festzins von 6,9 Prozent einen Betrag einmalig ausgezahlt, der bis zu 35 Prozent vom Verkehrswert der Immobilie beträgt. Das Darlehen ist bis zum Verkauf oder Ableben zins- und tilgungsfrei. „Die Mehrzahl unserer Kunden nutzen den Kredit für die Sanierung oder den  altersgerechten Umbau ihrer Immobilie, um eine Pflegekraft zu finanzieren oder Kindern eine Anschubfinanzierung für eine eigene Immobilie zu geben“,  sagt Stefanie Leiter, Geschäftsführerin der ImmoKasse GmbH (www.immokasse.de).

 Angesichts drohender Altersarmut und damit Belastung der öffentlichen Kassen sowie der Tatsache, dass inzwischen jeder vierte Haushalt ohne Kinder ist, entwickelt der Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands (www.voeb.de) auf Druck der Politik gemeinsam mit staatlichen Förderbanken Reverse-Mortgage-Produkte. Die Investitionsbank Schleswig-Holstein will noch im Oktober starten, Hamburg möchte folgen. Mit etwa 60 Jahren sollen Kunden ihre Immobilien beleihen können, daraus eine monatliche Rente beziehen und trotzdem lebenslang Eigentümer bleiben. 

Das Darlehen ist grundschuldgesichert, laufende Zins- und Tilgungszahlungen fallen nicht an. Berechnungsgrundlage ist der Beleihungswert der Immobilie, die maximale Darlehenssumme beträgt 60 bis 80 Prozent davon, hochgerechnet zum 90. Geburtstag. Auch Einmalauszahlungen sollen möglich sein.

„Vertraglich ist festgelegt, dass der Kunde die Immobilien instand hält, die Bank behält aber auch einen Abschlag für Instandhaltungen ein“, erklärt Brigitte Wesierski, Bereichsleiterin beim Verband öffentlicher Banken.

 Ein 70-jähriger könnte so nach Berechnungen des VÖB für sein Eigenheim im Wert von 150.000 Euro bei einem Darlehenszins von sechs Prozent monatlich auf eine Zusatzrente von 233 Euro kommen.

Der VÖB schätzt das Potential für das Produkt auf eine Million Haushalte, das entspricht einem Kreditvolumen von rund 90 Millionen Euro.

 Auch die Hypovereinsbank hat das Produkt Reverse Mortgage im Auge und ist derzeit mit möglichen Kooperationspartnern im Gespräch. „Der Bedarf ist eindeutig vorhanden“, sagt Martin Schütt, Experte für Baufinanzierungen bei der HVB Hamburg.

 „Umkehrhypotheken werden sich langfristig auch in Deutschland etablieren. Interessenten sollten sich aber von einer unabhängigen Stelle genau ausrechnen lassen, wie hoch der Preis dafür ist, trotz Immobilienrente im eigenen Haus bleiben können“, sagt Achim Tiffe vom  Institut für Finanzdienstleistungen in Hamburg (info@iff-hamburg.de). „Wie hoch sind die Risikoabschläge der Bank auf den Immobilienwert, wie hoch sind Zins, Bearbeitungsgebühr und sonstige Kosten“ Die Produkte seien kompliziert und von Nichtfachleuten nur schwer zu vergleichen, so Tiffe.

 Es sei sehr positiv zu bewerten, dass jetzt endlich ein vernünftiges Produkt auf dem Markt kommt, ergänzt Christian-Schmid-Burgk von der Verbraucherberatung Hamburg. „Aber die Tücken stecken im Detail und die genauen Ausgestaltungen sind noch unklar“, so der Verbraucherschützer. Auch er rät dringend zu unabhängiger Beratung.

 Generell empfehlen Experten, auch andere Modelle wie den Verkauf an einen Investor unter Einräumung eines lebenslangen Wohnrechtes, ein Leibrentenmodell, zu prüfen. Auch die Aufnahme eines normalen Darlehen mit der Immobilie als Sicherheit sei eine zu prüfende Option. 

 Im Rahmen eines ZEW-Finanzmarkttests wurden 232 Finanzmarktexperten zu den Perspektiven von Reverse Mortgage befragt. Während die Experten mehrheitlich eine steigende Bedeutung für das Produkt sehen, zeigt die Umfrage Akzeptanzschwierigkeiten auf Kundenseite. Hier dominierten das Erbschaftsmotiv, Misstrauen gegenüber den Anbietern und die Abneigung gegen die Kalkulation der eigenen Lebenserwartung.