Von Tante Emma zu Temma & Co – Oder: Lebensmittelkauf einmal ganz anders

Thorsten Gerbig, Real Estate Consulting von GfK Geomarketing

Viele kennen ihn noch, viele in seiner ursprünglichen Form nicht mehr – den guten alten Tante Emma-Laden, inhabergeführt, serviceorientiert, kompakt und wohnortnah, quasi direkt um die Ecke. Die Zeiten haben sich seither verändert und die Kundenanforderungen von heute bewegen sich generell auf einem anspruchsvollen Niveau. GfK GeoMarketing gibt einen Überblick darüber, wie sich der deutsche Lebensmittelhandel gewandelt hat und welche neuen Formate derzeit den Lebensmittelhandel prägen.

Bis gegen Ende der 1960er-Jahre wurde der Lebensmitteleinzelhandel von solch kleinteiligen und serviceorientierten Strukturen à la „Tante Emma“ und von Fachhandelsbetrieben geringer bis mittlerer Größe geprägt. Seit den 1970er-Jahren veränderte sich die Handelslandschaft jedoch tiefgreifend. Angebotsvielfalt und vor allem eine attraktive Preisgestaltung rückten in den Fokus des deutschen Konsumenten. Die Konsequenz in den vergangenen Jahrzehnten war die Flächenexpansion der filialisierenden Supermärkte, gefolgt von den Verbraucher­märkten und den SB-Warenhäusern.

Die Verdrängung traditionsreicher wohnortnaher Kleinbetriebe zu Gunsten von großflächigen Formaten in Gewerbegebieten und auf der „grünen Wiese“ begann. Hinzu kam seit den 1990er-Jahren ein massiver Netzausbau der Lebensmitteldiscounter. Auch wenn die Wachstumskurve der Discounter gegenwärtig etwas flacher verläuft und bereits Konsolidierungsprozesse eingesetzt haben, so ist ein Expansionsstopp aus Sicht von GfK GeoMarketing kurz- bis mittelfristig nicht in Sicht.

Seit geraumer Zeit steht der deutsche Lebensmitteleinzelhandel vor erneuten Herausforderungen. Stichworte sind der demographische Wandel, die wachsenden Anforderungen an Convenience-Produkte und Servicequalität. Aber auch die Wünsche nach Erlebniseinkäufen rücken immer stärker in den Fokus der Konsumenten – auch bei Lebensmitteln. Nach den Erfahrungen von GfK GeoMarketing „bröckelt“ die Kundenakzeptanz bei schlichten, mit Neon ausgeleuchteten Verkaufsräumen, liebloser Warenpräsentation, Selbstbedienung und mangelhafter Service- und Beratungsqualität allmählich.

Diese Veränderungen bei den Kundenwünschen beflügelte gerade in den vergangenen Jahren die Entwicklung neuer Lebensmittelkonzepte. Insbesondere die Kölner Rewe Group kann als Innovator bzw. Ideen-Treiber bezeichnet werden. Der Vizemarktführer im Lebensmittelhandel hat gleich mehrere Formate unterschiedlicher Ausrichtungen in der Test-Pipeline. Die Konzeptschiene Temma (Foto: Rewe Group) ist Rewes Antwort auf die eingangs geschilderten aber inzwischen nahezu in Vergessenheit geratenen „Tante Emma Läden“. Bei den 2009/2010 eingeführten und für frequentierte Top-Lagen konzipierten Märkten (derzeit 3 Standorte) handelt es sich um einen Mix aus Bio-Supermarkt und Erlebnis­-Gastronomie. Hier soll nicht allein der Bio- sondern auch der Genuss-Gedanke im Vordergrund stehen.

Im Gegensatz zu Rewes Vorkonzept „Vier Linden“ dürfte Temma aus Sicht von GfK GeoMarketing vom Trend der Zeit profitieren können. Die Neubesinnung auf regionale Öko- und Bio-Produkte allgemein, die durch die jüngsten Lebensmittelskandale noch forciert wurde, spiegelt sich nach Medienberichten in einem Umsatzplus in der Bio-Lebensmittelbranche wider, das im 1. Quartal 2011 gegenüber Vorjahresquartal 20% erreichte. Zwar dürfte diese Steigerungsrate nicht über das gesamte Jahr zu halten sein, doch zählt Bio zu den großen Trends in der Gesellschaft, so dass das Nachfrage-Potenzial für solche Formate längerfristig gegeben ist.

Im Lebensmittelhandel gibt es seit Kurzem Anzeichen für eine Renaissance des Einzelstandorts in Großstädten bzw. in hoch verdichteten Wohngebieten. Diese Standorte sind als „wohnortnah“ charakterisiert – sie liegen mitten in den großen und bevölkerungsreichen Städten.

Vorreiter dieser Entwicklung ist Rewe mit seinem Konzept „Rewe City“. Denn mit zunehmendem Alter werden die Menschen immobiler und sind auf die Versorgung im direkten Umfeld angewiesen. GfK GeoMarketing hat die maximal akzeptierte fußläufige Entfernung zwischen Verbraucher und Einkaufsstätte analysiert. Dabei kam heraus, dass etwa 5 bis 8 Minuten akzeptiert werden, was einer maximalen Distanz von ca. 1 000 m entspricht. Aber auch die maximale Traglast ist insbesondere bei älteren Bevölkerungsgruppen begrenzt, so dass Rewe mit seinem City Konzept dem Trend zu Verbrauchernähe, Schnelligkeit und Bequemlichkeit Rechnung trägt.

Bei der neuesten Innovation „Rewe TO GO“ (Foto: Rewe Group) steht zudem das Zauberwort Convenience im Vordergrund. Der 1. Teststandort wurde Ende 2010 in Köln auf einer Verkaufsfläche von rd. 130 qm eröffnet. Hinter dem Konzept steht die Ausrichtung auf frische Produkte direkt zum Verzehr als Alternative zu den Fast-Food-Ketten, Imbissbuden, etc. Dass solche Konzepte von Erfolg gekrönt sein können, zeigen die britischen Äquivalente Marks & Spencer Food und Seven Eleven.

Hat „Online“ auch im Lebensmittelhandel eine Zukunft?

Während Rewe neben dem Kerngeschäft stetig an neuen Konzeptideen arbeitet, konzentriert sich der Marktführer Edeka auf die Privatisierung und Modernisierung seines Vollsortimenter-Geschäfts. Mit der Privatisierungsoffensive verfolgt Edeka nicht nur seinen genossenschaftlich begründeten Kerngedanken, der die Stärkung der mittelständischen Struktur vorsieht. Durch das Einbeziehen selbständiger Kaufleute, die ein direktes monetäres Interesse am Erfolg haben, wird eine qualifizierte Nahversorgung und ein ausgeprägtes Frische- und Serviceangebot indirekt gewährleistet.

Bei ihren zahlreichen Vor-Ort-Untersuchungen stellte GfK GeoMarketing fest, dass Edeka bei ihren Modernisierungsmaßnahmen seit geraumer Zeit Wert auf innovative Licht-, Wegeführungs- und Typografiekonzepte sowie die Etablierung von Probiertheken und Gastronomie-Konzepten legt. Die Vorzeigeobjekte verfügen z.T. über durchgestylte Bereiche, die den Wünschen der Kunden nach Erlebniseinkauf voll und ganz gerecht werden.

Die Vertriebsschiene „Online“ hält auch Einzug in das Geschäft der deutschen Lebensmittler. Bei Amazon Lebensmittel, Edeka 24 und Tengelmann Lieferservice kann der Online-affine Kunde nahezu alle Waren des täglichen Bedarfs bestellen und sich nach Hause liefern lassen. Amazon und Edeka decken dabei ganz Deutschland ab. Tengelmann konzentriert sich derzeit auf Berlin und München.

Seit 2011 ist auch Rewe mit seinem Konzept Rewe Express in Köln-Klettenberg online. Der Unterschied zur Konkurrenz liegt bis dato darin, dass die Kunden ihren Warenkorb online zusammenstellen und an einem Drive-In-Schalter abholen können. Aber auch Rewe wird künftig anbieten, die Waren nach Hause zu liefern.

Es bleibt abzuwarten, welchen Stellenwert der Online-Vertriebskanal bei den deutschen Lebensmittelketten einnimmt und ob dieser langfristig akzeptiert wird. Insbesondere die Nischenzielgruppe der jungen Business People mit knappen Zeitbudgets dürfte das Online-Angebot nutzen.

Der sprichwörtliche „Wandel im Handel“ spiegelt sich in Konzepten, die den Zeitgeist der Konsumenten widerspiegeln. Aus Sicht von GfK GeoMarketing werden die klassischen Discounter, Super- und Verbrauchermärkte und SB-Warenhäuser auch weiterhin am Markt erfolgreich agieren, wenn die wichtigsten Erfolgsfaktoren Lage, Erreichbarkeit, stringente Angebotspolitik und Nähe zum Nachfragepotenzial gegeben sind. Allerdings zeigen die Wachstumsimpulse im Erlebnis- und Online-Einkauf, dass sich die Angebotsformen noch weiter ausdifferenzieren. Wer sich dieser Entwicklung verschließt, für den wird das „Stück am Kuchen“ zunehmend kleiner ausfallen.