In einem Jahr sind Jahrzehnte vergangen – Zinswende, Inflationswende, Immobilienwende und Preiswende im Gefolge der Zeitenwende

JOACHIM WIELAND, CEO AURELIS REAL ESTATE GMBH, IM GESPRÄCH MIT WERNER ROHMERT

Zusammengefasst von Werner Rohmert

Dr. Joachim Wieland ist seit 2007 CEO beim deutschlandweit tätigen Projektentwickler und Asset Manager Aurelis Real Estate. Seit 2007 hat Aurelis Wohnraum für 250.000 Menschen und Gewerbeflächen für über 153.000 Beschäftigte geschaffen und 15 Mio. Brachflächen zur Baureife geführt.

Herr Wieland, im November letzten Jahres, als die EZB-Zinswende gerade erst begonnen hatte, und der Leitzins mit 1,5% noch weniger als die Hälfte der heutigen 3,25% ausmachte, glaubte die Branche noch an eine schnelle „Normalisierung“. Sie prognostizierten bereits in einem Vortrag auf der Handelsblatt Jahrestagung: „Preise im Sinkflug“ und rechneten eine zu erwartende Halbierung der Grundstückspreise für Projektentwicklungen vor. Was hat sich seitdem getan?

Dr. Wieland: Seitdem sind gefühlt noch einmal „Jahrzehnte“ vergangen. Die Befürchtungen des letzten Herbstes stabilisieren sich. Der Markt hat bereits deutlich reagiert, das sehen wir an den Angeboten, die uns erreichen. Dennoch sträuben sich gerade viele Entwickler davor, der Realität ins Auge zu blicken – besonders dann, wenn sie den „point of no return“ schon passiert haben. Das heißt, es besteht bereits eine vertragliche Verpflichtung das Projekt dem Mieter zu liefern, der Baubeginn ist erfolgt aber das Projekt wurde noch nicht verkauft. Die Zinswende gibt maßgeblich das Ausmaß der Preiskorrekturen im Exit vor. Wenn die Finanzierung jetzt nicht für den kompletten Projektverlauf gesichert ist, kann das Projekt auf der Kippe stehen. Das ergänzende Risikoumfeld beschreiben Sie ja regelmäßig.

Andererseits bietet die Situation für neue Investitionen, insbesondere für Grundstücke und Value Add oder sogar opportunistische Investitionen, gute Chancen. Das bedingt natürlich ein neu justiertes, risikoadäquates Preisniveau. Aurelis hat die letzten Jahre aufgrund der hohen Preise nur punktuell gekauft und dagegen viel verkauft. Wir beginnen jetzt, uns verstärkt mir Akquisitionen zu beschäftigen. Bis wir zu einem neuen Marktgleichgewicht kommen, dauert es allerdings noch etwas. Viele Deals, die laut Maklerberichten zum Jahresbeginn noch Stabilität der Transaktionsvolumina und der Preisniveaus signalisierten, stammen tatsächlich aus einer anderen Zeit.

Was erwarten Sie konkret in Zahlen? Vor der Expo Real letzten Jahres hatte ich selber schon einmal mit der Finanzmathematik gespielt und in die Historie geschaut. Während der Expo Real trat bereits Ernüchterung in der Branche auf, aber es blieb in meinen Gesprächen eher bei einer mathematikfernen Betrachtungsweise der Hoffnung auf stabile Nutzermärkte und einer Erholung der Preise. Sie waren der erste, der konkret rechnete und auf einem anderen Weg zum vergleichbaren Ergebnis kam wie wir.     

Dr. Wieland: Der erste Blick, um sich der Preis-Prognose anzunähern, geht in die Vergangenheit – und damit meine ich nicht nur das zurückliegende Quartal. Der EUROBOR lag im November 2022 auf dem Niveau von 2011. Heute liegt er noch einmal deutlich höher auf dem längerfristigen Niveau der „normalen“ Zinsjahre vor der Finanzkrise. Die Spitzenrendite für Büro lag 2011 und 2012 knapp unter 5,0%. Der Spread zur risikofreien Anlage lag damals bei ca. 2,5 bis 3%. Ca. 5% Anfangsrendite entspricht auch dem längerfristigen Durchschnitt für erstklassige Büroimmobilien seit den 90er Jahren, ein Wert, der lediglich durch den kurzen Hype vor der Finanzkrise und eben in der Niedrig-/Nullzinsphase unter 3% gedrückt wurde. Das zeigt die Entwicklung auf. Werte deutlich jenseits der 30-fachen Nettojahresmiete bis hin zur 40-fachen bei Topimmobilien sind bei heutigen Verkäufen nicht mehr realisierbar. Wem es nicht gelungen ist, bis etwa Mitte 2022 „prior market“ zu verkaufen, steht jetzt im „current market“ unter Druck, sofern das Projekt nicht mehr Spielraum bietet.

Bedenken Sie, internationale Investoren habe konkrete Renditevorstellen, die bei 50% LTV und 6,5% Kapitaldienst mit 2% Tilgung bei einem 5%-Investment ohne massive Mieterhöhung nicht aufgehen. Beim Kauf von Entwicklungsgrundstücken ohne Baurecht muss auf Grund der Risiken und des Eigenkapitalbedarfs deutlich über 10% IRR kalkuliert werden.

Was sind denn die Ergebnisse Ihrer Modellrechnungen?

Dr. Wieland: Wenn ein Investor 2021 noch völlig korrekt mit einem Exit zur 29-fachen Jahresmiete kalkuliert hat, muss er heute eher mit der 22-fachen rechnen. Für Grundstücksankäufe sind die Entwicklungen besonders stark gehebelt. Denn gleichzeitig steigt auch der Kostendruck auf Bauland durch immer weitergehende Auflagen für Abbruch, Dekontamination, Erschließung, soziale Infrastruktur und sozial gebundenen Wohnungsbau. Wer heute bereits im Bau ist, hat die Kostensteigerungen für Energie und Baustoffe im vergangenen Jahr mitbekommen. Dem können die Mietentwicklungen allerdings nicht Schritt halten. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Mietverträge der heute im Bau befindlichen Projekte schon vor Baubeginn abgeschlossen wurden. Bei Grundstückspreisen werden wir deshalb in vielen Fällen eine Halbierung sehen müssen. Einige Projektentwickler werden hierdurch in Schwierigkeiten geraten. Wer in den letzten Jahren vor der Zinswende Grundstücke zur Entwicklung auf Vorrat gekauft hat, muss deutlich abschreiben, falls sich andere Parameter nicht anpassen lassen.

Aber die Grundstückspreise steigen doch unaufhörlich, liest man regelmäßig. Für mich hatte das nie Logik.

Dr. Wieland: Richtig, es wird oft berichtet, dass die Grundstückspreise ständig steigen. Das hat auch für mich nie wirklich Sinn ergeben. Die Sache ist die: Grundstückspreise sind Residualgrößen, die sich errechnen aus dem realistischen Exit oder der angestrebten Zielrendite bei „develop and hold“ abzüglich aller Kosten und Risikomargen. Bei steigenden Kosten, steigenden Zinsen, steigenden Risiken und steigenden Verkaufsrenditen bzw. sinkenden Multiplikatoren hat das stark gehebelte Auswirkungen auf den Preis, den ein Entwickler für das Grundstück zahlen kann. Dies ist besonders relevant, wenn in Hype-Phasen wie in den letzten Jahren immer höhere Erwartungen in die Zukunft gesetzt werden. Das kann die Grundstückspreise weiter in die Höhe treiben. Viele Familiendynastien oder Eigenkapitalinvestoren sind davon weniger betroffen. Sie lassen die Grundstücke bis zum nächsten Zyklus einfach liegen und wechseln auf die Käuferseite. Das wird den Markt etwas beleben. Wer dagegen eine Bankfinanzierung zu bedienen hat, wird neu nachdenken müssen, oder die Bank wird ihm das Nachdenken abnehmen.

Am Rande, wie ist denn eigentlich die Kursentwicklung der Aktiengesellschaften zu erklären. Da spielen doch viele andere Faktoren eine Rolle. Oder hat das Management gar keine Bedeutung bei der Bewertung?

Dr. Wieland: Die Kursentwicklung von Aktiengesellschaften wird von vielen Faktoren beeinflusst, und das Management spielt dabei zweifellos eine entscheidende Rolle.  Es ist wichtig zu analysieren, wie der Gewinn für die Aktionäre erwirtschaftet wurde – ob durch das operative Geschäft oder durch andere Faktoren, wie beispielsweise durch Bewertung der Assets, die ebenfalls Marktschwankungen unterliegen kann. Bedenken Sie, vor zwei Jahren diskutierte der Markt noch über Perspektiven. Heute sprechen wir nur noch über das „Ist“. In Boom-Phasen lässt sich der Börse eine „Story“ verkaufen. In schlechten Zeiten schaut die Börse nur noch auf das Portfolio und die Risiken. In beide Richtungen kommt es zu Übertreibungen.

Wo liegen jetzt bei Aurelis die Perspektiven?

Dr. Wieland:  Sie wissen ja, wir sind Spezialist für „light industrial“. In diesem Segment ist die Mietnachfrage nach wie vor gut. Hier sehen wir vor allem unsere Chancen. Der Einfluss des E-Commerce und der Ausbau von Lagerflächen durch Industrieunternehmen setzt sich fort. Natürlich wirkt sich die Zinswende auch auf die Logistikbranche aus und führt zu Wertkorrekturen. Wir investieren mit viel Erfahrung in gute und zukunftsorientierte Lagen. Bei einigen Projekten konnten wir in den vergangenen 12 Monaten deutliche Mietsteigerungen erzielen, wodurch negative Effekte zum Teil kompensiert werden konnten.  Da wir keinen Ballast der Vergangenheit mitschleppen müssen, freuen wir uns auf die „neuen“ Zeiten tradierter Immobilienwirtschaft. Das wird spannend.

Herr Dr. Wieland, vielen Dank für die Einblicke in das Denken von PE-Investoren. Ich freue mich auf Ihren Vortrag vor unserem „Verband“ der Immobilienjournalisten, immpresseclub, im Juni.