KAUM EIN TAG OHNE INSOLVENZMELDUNG

Ein Rohmert-Potpourri aus Mipim, Dominanz der „großen Jungs“, Pleiten, die jetzt Fonds erreichen, Domino-Türmen und Wohnungsabwertungen

Für Immobilien-Neugierige war die Mipim zuletzt so interessant wie die Besichtigung von Computergehäusen auf einer Software-Messe. Aktuell steht die Mipim im Zeichen der deutschen Streikwelle. Diesmal „dürfen“ wohl eher nur „die großen Jungs“ dahin, formulierte schmunzelnd Researcher Thomas Beyerle im Podcast. Dessen Stichworte haben wir oben zusammengefasst. Seien wir ehrlich, die kostenorientierte Auslese war es, die die Mipim in den 00-er Jahren attraktiv machte, bis sie zu einer Erfolgs-Massenshow verkam.

Apropos „große Jungs“. Der „immobilienmanager“ (IM) interviewte in der letzten Ausgabe sieben Top-Marktkenner der Frankfurter Immobilienwirtschaft – ausschließlich Männer. Bei Immobilien-Marktkenntnis gendert anscheinend nur die Moderatorin. Wir schauen uns einmal die MIPIM-Teilnehmerliste an. Da dominierten diesmal wohl die grauen Haare, analysierte Top-Analyst Beyerle empirisch. Aber natürlich hatte IM auch fachlich Interessantes zum Nachdenken zu bieten. Zum einen lag die bundesdeutsche Metropolen-Belegungsquote von Büros im September 2023 bei 63% gegenüber 79% vor Corona (Quelle: IM/JLL). In Frankfurt ist der Gap mit 57% zu 79% größer. Das könnte der Stadtstruktur geschuldet sein. In den USA wirkt sich Homeoffice auch dramatischer aus als in deutschen Städten, die vergleichsweise immer noch gut erreichbar sind. Die EZB meldete diese Woche, gleichfalls durch Umzug in das Galileo-Hochhaus Flächen zu sparen. Die Bundesbank hatte bereits letztes Jahr den Neubau gestoppt. Zum anderen machte der 90%-Einbruch des Verkaufs von Neubau-Eigentumswohnungen in Frankfurt von 377 im ersten Halbjahr 2021 auf 38 im HJ 1 2023 die Dramatik für Wohnungsentwickler deutlich (Quelle: Gutachterausschuss). Das hatten wir zwar von Developerverkäufen schon gehört, aber nicht vom Gesamtmarkt.

Mit der Restrukturierung bzw. Teilinsolvenz von Soravia und die davon betroffene One Group erreicht jetzt die Pleitewelle auch die AIF-Welt. Die tatsächlich überraschende Project Gruppe Pleite der theoretisch „unfallierbaren“ Eigenkapital-Wohnungsfonds hatte letztes Jahr Vertriebe zeitweise zum Erliegen gebracht. Die Folgen sind immer noch nicht klar. Jetzt trifft es Kredite der One Group Fonds an Gewerbeprojektentwicklungen. Die machten mit Nachrangdarlehen in großem Maßstab, was Schwarmfinanzierer in kleinem Maßstab machen. Die Fonds-Informationsplattform investmentcheck von Stefan Loipfinger verweist schon seit über 2 Jahren auf Probleme der Immobilien-Schwarmfinanzierungen. „Der Immobilienbrief“ wies schon in Bestzeiten darauf hin, dass es dafür nicht zum Crash kommen müsse, sondern schon eine Marktkonsolidierung für Schwarmprobleme ausreiche. Das könnte noch presse- und politikwirksam werden, wenn die, den Anlegerschutz konterkarierenden „Welpenschutz“-Regelungen für Schwarmfinanzierungen den Kleinanleger erreichen. Aber noch erreichen uns 8%-Zinsversprechen der Schwarmplattformen für Wohnungsprojekte, die in zwei Jahren auf den Markt kommen sollen.

 

Der Gesamtmarkt der geschlossenen Gewerbefonds mit wenigen Objekten müsste wohl auch vor einer doppelten oder dreifachen Zerreißprobe stehen. Die Zeitzünder sind hier auslaufende Mietverträge, auslaufende Zinsfestschreibungen und ESG-Sanierungspflichten. Das dürfte Politik und Medien in den kommenden Jahren beschäftigen. Problemlösungen sehen wir im aktuellen Umfeld unter Druck geratener Mieten bei B-Objekten, nicht rechenbarer ESG-Sanierung außerhalb der Spitzenmietobjekte oder zunehmender Risikoaversion bei Banken nicht.

Corona jährt sich in diesen Tagen zum 4. Mal. 2020 fiel die Mipim aus. Nach Anfangsschock schwadronierte die Branche von Resilienz. Tatsächlich erreichten die Bewertungen zum Jahreswechsel 2021/2022 den Höhepunkt. Seither schlägt das Pendel mit der Zinswende zurück. 2019 und 2021 lagen die 10 Jahre Hypothekenzinsen zwischen 0,75 und 1%. Heute sind es 3,5%, die wohl schon eine Leitzinssenkung von derzeit 4,5% antizipieren. AG Bilanzen leben bei Wohnen noch vom stabilen Cash flow. Das relativiert die Bewertungsherausforderungen. LEG hat auf eine Brutto-Mietrendite von 4,8% bzw. einen daraus zu errechnenden Bewertungsmultiplikator des Portfolios von knapp 21 abgewertet. TAG meldet eine Abwertung auf 6,3% Bruttoanfangsrendite. Vonovia nutzt, wie schon im letzten Jahr den MIPIM-Rückreiseslot der Immobilienanalysten für eine durch Fachanalysten ungestörte Zahlenpräsentation. Letztes Jahr präsentierte sie noch über 29-fach, nahm seither aber Abwertungen vor.

Unser Archiv (siehe unten Deutsche Bank Immobilien Tabelle „DB ImmobilienMultiplikatoren-Tableau“ aus 2008 („Der Immobilienbrief“ v. 29.5.2008) bzw. „Der Immobilienbrief“ Nr. 549 mit Vonovia-Analyse und Original-Ankaufsmultiplikatoren der 00er Jahre) zeigt für frühere Portfoliowerte vor der Finanzkrise eher Werte zwischen 10 und 15-fach, wobei letzteres schon Boomaufschläge für Portfoliozusammenstellungen enthielt. Damals waren die Klimaherausforderungen noch kein Thema.

Nächstes Thema werden sicherlich Abwertungen bei den großen Bürotürmen „mit Lebenserfahrung“ insbesondere auch in Frankfurt betreffen. Das trifft nicht nur deutsche und insbesondere auch internationale (Nachrang-) Finanzierer, sondern auch Versicherungen, die sich mit Frankfurter Türmen eingedeckt haben. Noch stehen die stabil wie Dominosteine eng beieinander im Bankenviertel. Vorne wackelt es jedoch schon. Aber das betrifft nicht die Bankbilanzen, sondern geht ohne Verkaufsdruck in den Anlagevolumina der Versicherungen unter. Aber, die MIPIM wird es zeigen: Der Markt belebt sich. ■