Arcandor-Sanierung: Insolvenzverwalter im Sichtflug

Als Insolvenzverwalter Horst Piepenburg an jenem 9. Juni vor der Arcandor-Hauptverwaltung noch voller Optimismus über die Rettungs-Chancen verkündete: Dies sei der größte Insolvenzfall Deutschlands, wäre es wohl treffender gewesen, festzuhalten, dass Arcandor wohl einer der kompliziertesten Insolvenzfälle Deutschlands sein dürfte. Zahllose Einzelgesellschaften – jedes Warenhaus ist z.B. eine eigene Gesellschaft -, machen es schon schwer, überhaupt die Übersicht zu behalten. Die Zahl der Mietverträge beläuft sich auf über 700.

In diese Richtung geht auch die jüngste Feststellung von Insolvenzverwalter Klaus Hubert Görg (Foto) bei der Pressekonferenz in Nürnberg, als er mitteilt: „Über den gesamten Konzern hinweg wurden zahlreiche Vermögenswerte in den vergangenen Jahren verpfändet. Nahezu jede Maßnahme für ein Sanierungskonzept oder einen Investmentprozess müssen mit den entsprechenden Pfandgläubigern abgestimmt werden.“

Das wirft auch ein Licht darauf,  dass die Unternehmensstrategien in der Vergangenheit im Wesentlich darin bestanden haben, die stillen Reserven des Konzerns zu heben. Das fing bei Wolfgang Urban an, der im September 2004 einen Konzern hinterließ, bei dem 60% des Immobilienvermögens beliehen und das Geld verbrannt war. Und wie Görg in einem Zeitungsbericht der „Welt am Sonntag“ sagte,  sei der dienstliche Aufwand des früheren Vorstandes für ein Unternehmen in einer solch schwierigen Verfassung unangemessen hoch gewesen. Im Nachhinein wertet er auch die Aufstockung des Aktienanteils an Thomas Cook in der Ära von Thomas Middelhoff als Fehler, da sie dem Unternehmen weitere Substanz entzogen habe, die für die Sanierung des Warenhaus- und Versandbereichs gefehlt habe.

Bereits im April hatte Arcandor-Chef Karl Gerhard Eick moniert, dass bei Middelhoffs Strategie zu wenig Wert auf die operative Kärrnerarbeit und zu viel Wert etwa auf strategische Kooperationen gelegt wurde. In dem Zeitungsbericht machte Görg weiter deutlich, dass rechtliche Schritte gegen frühere Vorstände nicht ausgeschlossen werden. Wichtige Hinweise würden derzeit gesammelt und zur gegebenen Zeit bewertet. Dafür bleiben ihm 3 Jahre Zeit. Zunächst ist der Insolvenzverwalter aber primär damit beschäftigt, den Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten.

Für das Sanierungskonzept gilt der Satz: „Alles ist möglich“  

Bei dem Sanierungs-Konzept, das Görg nach der Mitarbeiterversammlung bei Quelle am 13. August vorgestellt hat, passt am treffendsten die Headline: „Alles ist möglich!“ – aber bisher nur weniges klar absehbar: Nur eins steht inzwischen fest: Dass Arcandor-Chef Eick mit seinem Versuch, in diesen schwierigen Zeiten einen Investor für den Gesamtkonzern zu finden, gescheitert ist. Damit dürfte auch die Holding mit ihren 93 Mitarbeitern in der jetzigen Form auf Dauer nicht mehr benötigt werden.

Dabei erinnert das von Görg vorgelegte Sanierungskonzept an einen Piloten, der in schwieriger Wetterlage versucht, auf Sicht zu fliegen. Das passt zu diesem komplizierten Insolvenzfall, bei dem in der Tat aus heutiger Sicht nicht absehbar ist, was genau geht: Von Etappe zu Etappe muss neu entschieden werden, welcher Sanierungsweg eingeschlagen werden kann.

Die Eckpunkte des von Görg vorgelegten Sanierungskonzepts für die einzelnen Unternehmensteile  sehen so aus: Die Karstadt Warenhaus GmbH soll mittels Insolvenzplanverfahren saniert werden, nachdem die Warenhäuser laut Görg stabilisiert werden konnten und das überaus wichtige Weihnachtsgeschäft gesichert ist. Das sei zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres nicht der Fall gewesen, stellt er fest. Sein Plan würde die Rettung des Unternehmens als Ganzes bedeutet, wenn der notwendige Sanierungsbeitrag – sprich: Forderungsverzicht – der Gläubiger geleistet wird: So wird mit den Arbeitnehmervertretern, Dienstleistern und Lieferanten über Sanierungsbeiträge und Anpassung bestehender Verträge verhandelt werden müssen.

Auch bei den Vermietern wie dem Highstreet-Konsortium, dem der größte Teil der Warenhaus-Immobilien gehört, wird er anklopfen, um über niedrigere Mieten zu verhandeln. Hier besteht allerdings das Problem, dass der z.T. fremd finanzierte Kredit zum Immobilien-Kauf – wie üblich – verbrieft und am Kapitalmarkt platziert wurde. Highstreet ist gezwungen, die Zertifikate entsprechend zu bedienen, hat insofern wenig Spielraum für Mietsenkungen.

Andererseits dürfte es auch im Interesse des Highstreet-Konsortiums liegen, dass sein Mieter Karstadt so stark wie möglich aus der Insolvenz herauskommt. Denn sollte das angestrebte Insolvenzplanverfahren scheitern und das operative Karstadt-Geschäft beispielsweise an den Metro-Konzern, der sein Interesse an einer Reihe von Karstadt-Standorten jüngst bekräftigt hat, verkauft werden, würde das die Position des neuen Eigentümers gegenüber dem Highstreet-Konsortium ungemein stärken. Denn, wie es heißt, zahlt Kaufhof niedrigere Mieten als Wettbewerber Karstadt. Zudem würden bei dieser Lösung zahlreiche Karstadt-Häuser aufgegeben. Und der Verkauf von Immobilien dürfte angesichts der Fülle an Warenhäusern, die nach der Hertie-Liquidation auf dem Markt ist und auf Grund der bestehenden Kreditklemme nicht gerade leicht werden.

Im Rahmen seines Sanierungskonzepts hat aber auch Görg 19 der 126 Sport- und Warenhäuser identifiziert, die womöglich geschlossen werden müssen – auch wenn er grundsätzlich versichert, dass so viele Häuser wie möglich erhalten werden sollen. So hat er auch die 3 neuen Karstadt-Sporthäuser in Münster, Essen und Dresden übernommen. Zudem wird er, wie es in dem „Welt-am-Sonntag-Bericht“ weiter heißt, die 3 Top-Häuser KaDeWe (Foto), Oberpollinger und Alsterhaus nicht mehr einzeln verkaufen. Diese Premium-Häuser seinen attraktive Bestandteile des Warenhausportfolios und nur für Attraktives zahlten die Investoren.

Vor der Sanierung von Quelle/Primondo steht die Sicherung der Finanzierung. Denn die Zwischenfinanzierung, die nach dem Insolvenzantrag mit der Valovis-Bank vereinbart wurde, läuft nur noch bis 9. September. Für eine Verlängerung der Finanzierung benötigt die Bank ein Fortführungsgutachten für das Unternehmen. Das sollte nach Angaben eines Sprechers des Insolvenzverwalters Mitte August eingereicht werden. Allerdings müssen die Konditionen im Factoring mit der Valovis-Bank laut Görg neu verhandelt werden: „Die derzeitigen Konditionen, die wir zu akzeptieren hatten, sind sehr kompliziert und so teuer, dass sie auf Dauer nicht zu finanzieren sind“, stellt er fest. Ziel ist es, dieselben Konditionen wie vor dem Insolvenzantrag zu erreichen. „Die Gespräche darüber werden wir zeitnah führen“, so Görg.

Für den Versand mit seinen 6 Mio. Kunden sieht er durchaus Überlebenschancen, nachdem sich das Geschäft stabilisiert hat, der E-Commerce-Bereich trotz Negativschlagzeilen um 10% über Vorjahresniveau liegt und die Warenbelieferung wieder hergestellt ist. Um die Kosten zu senken, sieht der Sanierungsplan den Abbau der Stellen von 10 500 auf 6 400 vor. Zudem werden, das hatte Arcandor-Chef Eick bereits in seinem Restrukturierungskonzept im April geplant, die 109 defizitären Quelle-Technik-Center geschlossen und die Zahl der Quelle-Shops von 1 450 auf 1 000 gesenkt.

Positiv ist, dass die ertragreichen Spezialversender wie Peter Hahn, Madeleine oder Baby Walz – die zuletzt organisatorisch von Quelle getrennt waren – und die von der Insolvenz ausgenommen sind, von Görg wieder mit dem Universalversender zusammengeführt werden. Denn im geregelten Bieterverfahren für Karstadt und Primondo, mit dem Görg Investmentbanken beauftragt hat, soll der Gesamtkomplex angeboten werden, wodurch das angebotene Versandpaket für Investoren eindeutig attraktiver wird. Bislang hatte die Hamburger Otto Group Interesse an einzelnen Spezialversendern bekundet. Das würde aber dazu führen, dass sich die Käufer nur die Rosinen herauspicken. Übrig bleibe dann der unverkäufliche Rest.

Doch der Insolvenzverwalter hat nach deutschem Insolvenzrecht die primäre Aufgabe, für die Insolvenzgläubiger so viel wie möglich herauszuholen. Deshalb hat Görg mit seinem Sanierungskonzept jetzt auch das Maximal-Paket geschnürt: Eine sanierte Karstadt Warenhaus GmbH und einen sanierten Versandbereich mit attraktiven Spezialversendern. In der ersten Novemberhälfte will er den Gläubigerversammlungen plausible Sanierungskonzepte zur Abstimmung vorlegen können. Ob die Sanierung auf diesem Wege gelingt, wird maßgeblich von der Bereitschaft der Gläubiger abhängen, ihren Beitrag zu leisten. Aber im Grunde haben sie gar keine andere Wahl. Denn bei der Liquidation eines Versenders und eines Warenhauskonzerns ohne Immobilien und mit weitgehend verpfändeten Vermögenswerten bleibt bei der Liquidation nichts mehr zu verteilen. Der Fall Hertie zeigt beispielhaft, dass zunächst nicht einmal Geld für einen Sozialplan übrig blieb. Insofern dürfte die Entscheidung der Gläubiger nicht schwer fallen.