EHI Shopping-Center-Kongress – Beim „Essen gehen“ stößt das Internet an Grenzen

Die technischen Möglichkeiten des Internets scheinen derzeit unbegrenzt. „Die Welt ändert sich in allen Bereichen“, konstatiert Jonathan Dougthy, Managing Director des britischen Beratungsunternehmens Coverpoint Foodservice Consultants: „Ich glaube, dass es eine neue Weltordnung geben wird.“ Dass für die Menschen in dieser virtuellen Welt „essen“ und „Essen gehen“ immer wichtiger wird, ist für Dougthy dagegen keine Überraschung, da man niemals „online“ essen kann. Essen gehört zu den wenigen Tätigkeiten, die nicht durchs Internet ersetzt oder modifiziert werden können.

Mit diesen plakativen Worten und einem realen Croissant demonstrierte Dougthy beim Shopping-Center Kongress 2013 des EHI Retail Institutes in Köln die Grenzen des Internets und die großen Chancen der Shopping-Center-Industrie, ihren Besuchern etwas zu bieten, das ihnen die Online-Konkurrenz  niemals bieten kann. Dabei geht es aber nicht einfach nur um das Angebot von Gastronomie, Einzelrestaurants oder Food Courts, die irgendwo auf den weniger prominenten und damit billigeren Flächen versteckt sind, weil die Gastronomie-Branche mit ihren niedrigen Umsatzrenditen keine hohen Mieten bezahlen kann.

Es geht nach Erfahrung des Unternehmensberaters mit Spezialisierung auf Food Courts darum, an prominentem Platz im Shopping-Center eine reale gastronomische Welt für viele unterschiedliche Ansprüche zu schaffen: Hier wollen die Besucher sehen und gesehen werden. Wichtig sind die Vielfalt des Angebots, die ansprechende Gestaltung und der Erlebnischarakter. Die Shopping-Center sollten zu Experience-Center (Erlebnis-Center) werden, findet Dougthy. Dabei spiele auch die Außengastronomie eine wichtige Rolle.

Die Erhöhung des Gastronomie-Anteils von früher etwa 5% auf heute zwischen 10 und 15% hat für die Center-Betreiber natürlich auch einen wirtschaftlichen Aspekt. Denn gerade die exponierten Flächen lassen sich gut an renditestarke Handelsmarken etwa aus der Modebranche vermieten, die hohe Mieten zahlen können. Das kommt der Rendite zugute.

Andererseits profitieren laut Dougthy die Einzelhändler im Center von der wachsenden Attraktivität, der höheren Frequenz und der längeren Verweildauer, die sich wiederum in höheren Einzelhandelsumsätzen niederschlagen. Ein besonderes Beispiel für ein zukunftsweisendes Gastronomie-Konzept bietet aus Sicht des Unternehmensberaters das neue Westfield in London. Dass auch Deutschland sehr gute Food-Konzepte hervorbringt, zeigen aus seiner Sicht etwa die Bäckereien mit ihren außergewöhnlich vielfältigen Angeboten.

Wie die deutsche Shopping-Center-Industrie das Thema bei ihren neuesten Projekten aufgreift, zeigte Marc Blum, Director Creative Design bei der ECE, anhand von Objekten wie dem Skyline Plaza in  Frankfurt, der Galeria Bydgoszcz in Polen und dem geplanten Aquis Plaza in Aachen. Beim Skyline Plaza befindet sich der Food Court in ganz zentraler Lage, am Schnittpunkt aller Zugänge, im Herzen des Centers. Hinzu kommt der Skyline Garden mit 7 300 qm auf dem Dach des Centers vor der Frankfurter Skyline. Bei der Galeria Bydgoszcz befindet sich der Food Court mit großen Bäumen und viel Grün gleich im Eingangsbereich, während er im Aquis Plaza einen urbanen Charakter mit Straßen-Cafés bietet.

Laut Blum bilden bei der ECE exakte Marktstudien das Fundament für die Konzeption der heutigen Gastronomie-Bereiche: „Die neuen Food Courts müssen stark emotionsgeladen sein“, bestätigt er. Für die Vermietungsabteilung der ECE sei es wichtig, dass die Food Courts eine „Story erzählen“ und ein Alleinstellungsmerkmal bieten. Die Beispiele lassen sich um Gastronomie-Konzepte anderer Center-Spezialisten wie Sonae Sierra oder Unibail Rodamco ergänzen, was zeigt, dass in der Szene viel in Bewegung kommt.

Dass die Deutschen dazu neigen, sehr prozessorientiert zu denken, gab Markus Krämer, Head of Architecture bei Orsay in Willstätt, in seinem Vortrag zu bedenken. Bei Engländern sei dagegen die Bereitschaft zum „story telling“ – „zum Geschichten erzählen“ – bei Handel und Architektur viel größer. Vor diesem Hintergrund mahnte er mit Blick auf das Thema Stadtentwicklung: „Wer mit Leidenschaft plant, der lebt. Wer mit Vernunft plant, der existiert.“ Krämer vermisst im deutschen Städtebau die klare Orientierung.

Die Diskussionen in der Shopping-Center-Industrie über die neuen Generationen von Shopping-Centern oder im deutschen Einzelhandel über die erlebnisorientierten Alternativen zum ausschließlich preisorientierten Verkauf, zeigt inzwischen jedoch, dass sich unter dem Druck des Online-Handels vieles bewegt.

Auf diesem Weg wäre die konsequente Markenbildung, wie sie die Shopping-Center-Branche auf internationaler Ebene längst verfolgt, nach den Worten von Reinhard Winiwarter, Geschäftsführer der österreichischen sma (Standort Marketing Agentur) auch hierzulande ein wichtiger Meilenstein. Verstärkt wird auch hier der Druck zur Marken-Profilierung durch den Online-Handel. Um das Profil zu schärfen sind neben den harten Fakten wie Lage, Branchenmix, Infrastruktur, Center-Management und Betriebsführung, die immer berücksichtigt werden, auch weiche Faktoren wie Ambiente und Architektur sehr wichtig. Markenbildung heißt für Winiwarter, eine Story zu erzählen.

Center-Branche kann von den Markenherstellern lernen

Das erläutert er am Beispiel von Nespresso. Ausgangspunkt war der lösliche Nescafé Gold. Mit dem Schauspieler George Clooney als Werbeträger wurde um die Innovation des Produkts eine Markenwelt entwickelt, die das Ansehen der Linie eminent gesteigert hat. Gerade von den Markenherstellern kann die Branche aus Sicht des Experten viel lernen.

Wie sich der deutsche Shopping-Center-Markt rein zahlenmäßig in den nächsten Jahren weiter entwickeln wird und wo neue Center entstehen, haben Marco Atzberger, Mitglied der EHI-Geschäftsleitung und Rainer Pittroff, Projektleiter Shopping-Center bei der EHI, bei Vorstellung des neuen Shopping-Center Reports 2013 gezeigt. Demnach stieg die Zahl der Center von 444 (2012) in diesem Jahr um 9 Eröffnungen auf 453. Nach Schätzung der Experten werden es 2015 hierzulande etwa 475 Einkaufszentren sein. Damit verlangsamt sich laut Atzberger das Tempo der Neueröffnungen: 1970 waren es gerade mal 14 Center, 1990 insgesamt 93, zur Jahrtausendwende 279 und 2010 bereits 428.

Die gesamte Center-Fläche summiert sich 2013 auf 14,2 Mio. qm. Bis zum Jahr 2016 sind laut Studie etwa 54 Objekte in der Planungsphase, von denen der größte Teil (25) im Jahr 2014 auf den Markt kommen dürfte. Die Durchschnittsgröße liegt bei 25 900 qm – es sind also auch viele kleinere dabei.

Shopping Center müssen heute eine Story erzählen

Shopping Center müssen heute eine Story erzählen

Seit der Jahrtausendwende hat sich die Ansiedlung neuer Shopping-Center schwerpunktmäßig auf die Innenstädte verlagert: Hier wurden damals 46 Einkaufszentren eröffnet gegenüber 38 in Stadtteilen und 16 auf der grünen Wiese. Zwischen 2010 und 2011waren die Verhältnisse mit 78 in der Innenstadt, 17 in Stadtteillagen und nur 5 auf der grünen Wiese noch viel eindeutiger. Mit der Verlagerung in die Innenstadtlagen ist laut EHI-Studie aber auch die Durchschnittsfläche von 34 000 qm im Jahr 1965 auf 31 300 qm (2013) gesunken.

Nachdem in den großen Städten – insbesondere in Berlin – schon zahlreiche Center entwickelt wurden, belegen die Neueröffnungen, dass sich das Interesse nun verstärkt auf die Klein- und Mittelstädte richtet. In der Kategorie 25 000 bis 50 000 Einwohner wurden 2012/13 insgesamt 7 Center eröffnet. Dazu gehören Friedrichsdorf, Baunatal, Meißen, Meppen, Datteln, Mettmann und Wittenberg. In den Millionenstädten Berlin und München sind es insgesamt 3 Center, genauso viel wie in der Kategorie 100 000 – 200 000 Einwohner (Hildesheim, Koblenz, Solingen). Schließlich sind es in Frankfurt und Leipzig (über 500 000 Einwohner) 2 und eins in Speyer (50 000 – 100 000 Einwohner).

Bei den 7 Shopping-Centern, die in diesem Jahr an den Start gehen werden oder bereits eröffnet wurden, handelt es sich um die Königshof Galerie in Mettmann, das Quartier Hofstatt in München, die Meppener Einkaufs Passage (MEP), das Taunus Carré in Friedrichsdorf, das Skyline Plaza in Frankfurt, der Hofgarten in Solingen und Bikini Berlin. Insgesamt kommen 214 500 qm neu auf den Markt.